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Ausgabe:

1907 Nr. 1

Spalte:

403-404

Autor/Hrsg.:

Steinmann, Alphons

Titel/Untertitel:

Die Abfassungszeit des Galaterbriefes 1907

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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Seite 1

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403 Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 14, 404

kennen, um über das Gefetz der Ausgleichung, die in I
feinem Geift ftatthatte, befriedigende Auskunft erteilen
zu können (S. 14. 353). Wie die Dinge einmal liegen,
muß fich unfer Verf. begnügen, das ,kontradiktorifche' I
Verfahren des Evangeliften von Fall zu Fall nachzuweifen,
und das gefchieht in der Tat mit einer unvergleichlichen I
Folgerichtigkeit, ja zähen Hartnäckigkeit z. B. S. 74. 90. I
98. 142t. 174h 2oof. 204t. 214. 225. 234f. 249. 263f. 280.
289. 294. 308f. 357. 362f. 367. Überall durchkreuzen fich
religiös-ethifche und metaphyfifche Tendenzen, gefchicht-
liche Erinnerung und sub specie aeternitatis entworfene
Konftruktion, ideale Zielpunkte und kirchlichen Zwecken
dienende Umgrenzungen. Das Evangelium ift zugleich
die univerfalfte und die exklufivfte Schrift des Neuen
Teftaments (S. 112 f. 115 f.). Zu den felbftändigften Ausführungen
des Werkes gehört gerade der Nachweis, daß
der Evangelift nicht bloß Zuftände und Aufgaben feiner
kirchlichen Gegenwart in das Lebensbild Jefu zurückträgt
(S. 69f.), fondern fich felbft als Vertreter der Kirche
fühlt und gibt (S. 24f. 68f. 104f. 118. 3 56 f.}. Unter diefem
Gefichtspunkt erfahren befonders die antijüdifche Polemik
(S. 70f. 354) und das Verhältnis zur Gnofis (S. 86f.) eine
umfichtige und maßvolle Beurteilung, und wird auch der
Gegenfatz zur Schule des Täufers ebenfo richtig erfaßt,
wie auf feine wirkliche, untergeordnete Bedeutung be-
fchränkt (S. 77 f.). Eben dahin gehört auch der richtig
beobachtete und im Zufammenhang mit der Grundtendenz
gewertete Widerfpruch eines bloß fymbolifch und
eines effektiv gedachten Sakramentsbegriffs (S. 124f. 127f.).
Schließlich fei, um den Gehalt des Werkes zu würdigen,
nicht vergeffen, daß auch die altteftamentlichen, fynop-
tifchen und paulinifchen, daneben auch die philonifchen
Vorftufen und Beiträge zur johanneifchen Begriffsbildung
eingehende Beachtung finden, natürlich aber auch immer
wieder zurücktreten hinter dem originellften und weit-
reichendften Gedanken des vierten Evangeliften, der Identität
des gefchichtlichen und des ewigen, in feinen Gläubigen
fortlebenden Chriftus (S. 351 f. 358f.)

Baden. H. Holtzmann.

Round, Douglass, M. A, The Date of St. Paul's Epistle to

the Galatians. Cambridge, University Press 1506.
(VII, 72 p.) 8° s. 2 —

Steinmann, Dr. Alphons, Die Abfaffungszeit des Galater-
briefes. Ein Beitrag zur neuteftamentlichen Einleitung
und Zeitgefchichte. Münfter i. W., Afchendorff 1906.
(XVII, 200 S.) gr. 8° M. 3.60

Der anglikanische und der katholifche Theolog Schreiben
gegeneinander, ohne Sich zu kennen und zu nennen.
Jener vertritt die Südgalatienhypothefe und infolge deffen
ein früheres, diefer ein fpäteres Datum der Abfaffung
im Zufammenhang mit der Nordgalatienhypothefe. Aber
weniger mit diefer hat es der englifche Schriftfteller zu
tun, als vielmehr mit dem von ihm hochgefchätzten, weil
gleichfalls für Südgalatien eintretenden Ramfay. Nach
beiden ift der Galaterbrief in Antiochien abgefaßt; aber
nach Ramfay erft im Moment Act. 18 22 vor Antritt der
dritten, nach Round fchon im Zeitpunkt Act. 1428
nach beendigter erfter Miffionsreife, fo daß Gal. 2 1—10
nicht auf das Apoftelkonzil, mit dem der Brief vielmehr
als gleichzeitig gilt, fondern auf die Act. 1130 erwähnte
Jerufalemfahrt (anno45) zurückfieht und die Frage, warum
Paulus diefer Reife dort nicht Erwähnung tut, belanglos
wird. Dafür muß man nun freilich fragen, warum die
Apoftelgefchichte das wichtigfte, was von jener Zwifchen-
reife zu fagen gewefen wäre, mit Stillfchweigen übergeht.
Die gelegentlich in einer Anmerkung (S. 5) gegebene Antwort
lautet: Paulus habe für unnötig befunden, den Lukas
von den Vorgängen auf diefer Privatkonferenz zu
unterrichten, daher diefer nur den öffentlichen Akt berichte
. Dem Apoftelkonzil blieb fonach nur übrig, die

fchon vereinbarte Gefetzesfreiheit der Heidenchriften zu
beftätigen, diefen aber nachträglich noch mit Aufstellung
der vier Jakobusklaufeln (eigentlich nur zwei, da die
zweite und dritte nur als Anhang zur erften in Betracht
kommen) ein gewiffes Entgegenkommen auf Punkten, wo
das mofaifche Gefetz die allgemeine Moral vertritt, nicht
fowohl zu gebieten (daher unerwähnt in 1. Kor.), als
vielmehr zu empfehlen. Da der Verf. das von Ramfay
betonte jcqoxeqov Gal. 413 aus der Zurückreife Act. 14
21—23 erklären zu können glaubt (S. 9. 34 f. 50), meint
er höchftens in vuäg 25 eine noch im Refft bleibende
Schwierigkeit zu finden (S. 38. 71). Ob, wie er hofft,
Ramfay Sich damit eines Befferen belehrt finden wird,
möchte freilich fehr zweifelhaft erfcheinen.

Beffer Steht es mit den Ausfichten auf Erfolg bei
der zweiten Schrift, einer von jenen zurzeit nicht mehr
feiten begegnenden Leiftungen katholifcher Theologen,
welche das auf diefer Seite beftehende und offenbar zunehmende
Beftreben nach ernfthafter und allfeitiger Er-
faffung der Probleme, nach methodifcher Forfchung und
nach Auseinanderfetzung mit der proteftantifchen Wiffen-
fchaft auf Grund einer umfaffenden Vertrautheit mit dem
Stoff bezeugen. Wer auch nur den fieben Seiten langen
Literaturnachweis überblickt, wird geliehen müffen; Mehr
kann man nicht verlangen, und was etwa noch fehlt, kann
feinen Platz in einem weiteren, hier fchon angekündigten
Werk finden, deffen Gegenstand der Leferkreis des Ga-
laterbriefes fein wird. In welcher Richtung dasfelbe gehen
wird, läßt fich fchon jetzt bestimmen bei dem engen und
vom Verf. mit Recht geltend gemachten Zufammenhang,
in welchem die beiden Sich gegenfeitig bedingenden Fragen
nach der Entftehungszeit und nach der Adreffe miteinander
Stehen. Wenn, was hier noch einmal ausführlichst
nachgewiefen wird, Gal. 2 1—10 nicht mit Act. 11, 30 =
1225, fondern nur mit Act. 15 parallel läuft, fo kann
der Brief nur um 54 oder 55 in Ephefus abgefaßt fein
und fällt damit jene Südgalatientheorie, der zufolge feine
Entstehung vor das Apoftelkonzil fallen würde. Um diefes
letztere dreht fich die ganze Beweisführung in erfter Linie.
Richtig wird eine Privatverhandlung unterfchieden von
der ,Generalverfammlung' (S. 61. 89), nüchtern und finngetreu
auch die Galaterftelle erklärt und dabei mehr als
ein Kunftftück abgelehnt, womit fich auch proteftantifche
Gelehrte darum verdient zu machen gedachten. Die Geschichtlichkeit
der Kollektenreife wird festgehalten, weil
jzctliv nicht öevxeqov ift (S. 86). Nicht minder auch das
Dekret felbft, darin die dogmatifche Frage (Ablehnung
der Heilsnotwendigkeit der Befchneidung) als von abfo-
luter Bedeutung (S. 78 f.) von der disziplinaren (Jakobusklaufeln
) als nur ,auf einem ganz bestimmten Gebiet'
Geltung beanfpruchend (S. 178) zu unterfcheiden verfucht
wird. Im übrigen wird behauptet: ,Nicht nur gleichberechtigt
ift das paulinifche Evangelium mit dem des
Petrus; es ift vollständig dasfelbe wie das des Apoftel-
fürften' (S. 103). Darin macht unfern Verf. auch der
mit Recht in feiner kontextmäßigen Stellung nach dem
Apoftelkonzil feilgehaltene Auftritt in Antiochia nicht
irre, fofern hier Petrus feine innere Überzeugung nur
zeitweilig (S. 148) verborgen haben Soll ,aus liebevoller
Rückficht auf die jerufalemitifchen Ankömmlinge' (S. 14).
Die katholifche Tradition allein entfcheidet fogar für die
Beziehung des xönoq, Act. 1217 auf Rom (S. 40 f.), wie
fie auch bezüglich des petrinifchen Bistums in Antiochia
recht zu haben fcheint (S. 45). Und fo ift durchweg die
,una sancta catholica ecclesia'(S. 106) nicht etwa nur im Anzug
, fondern fchon da. Eine Anftrengung koftet immerhin
noch die Zurechtlegung der Kornelius-Epifode (S. 63 f.).
Aber dem Verf. fehlt es auch an bedenklichenStellen nicht
an Gründen, die jenfeits der konfeffionellen Parteidisziplin
liegen, und Zuverficht erweckt in diefer Beziehung fein
faft durchgängiger Gegenfatz zu Belfer, während er fich
gern an feinen Lehrer, den Bifchof Schäfer, hält.
Baden. _ H. Holtzmann.