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Ausgabe:

1907 Nr. 13

Spalte:

386-387

Titel/Untertitel:

Bullingers Gegensatz der evangelischen und der römischen Lehre 1907

Rezensent:

Wernle, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 13.

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freilich eine ganze Reihe folcher, die wohl im Papftbuche
oder fonfhvo erwähnt werden, von denen fich aber auch
nicht ein päpflliches Schreiben oder Privileg aus der
Zeit vor 1198 erhalten hat; beifpielsweife die Klöfter
St. Stephan S. 33, St. Eufebius auf dem Esquilin S. 38,
St. Andreas genannt in Exaiulo S. 58, die Kirchen St.
Abbacyrus S. 73, St. Blafius S. 85, Sant' Egidio S. 153
und viele andere. Wie bei den Kardinälen, den Notariats-
fchulen u. f. f. find auch hier in dankenswerter Weife
den einzelnen Inftituten kurze gefchichtliche Abriffe vorausgeschickt
, nebft ganz vorzüglichen Literaturzufammen-
ftellungen, die befonders die älteren und neueren italienischen
Schriften in großer Vollständigkeit bringen.

Der letzte Abfchnitt des erften Bandes trägt den
Titel ,Urbs Roma'. Er bringt die päftlichen Kundgebungen
an den Senat, an die römifche Bürgerfchaft, an
römifche Notabein und ,romani cives singuli' bürgerlichen
oder unbekannten Standes; auch die Leovorftadt, Johanno-
polis und die schola piscatorum stagni, die einzige aller
stadtrömifchen Zünfte, auf die fich ein päpftliches Schreiben
(iudicatutn expraecepto Paschalis II, 1115 nov. 24) bezieht
(S. 185), find hier eingereiht.

Wie dringend nötig eine Neubearbeitung der päpft-
lichen Regelten gewefen ift, wird durch die Zahlen des
vorliegenden Bandes bereits zur Genüge erwiefen: von
den 586 Regelten, die er bietet, würde man nicht
weniger als 393 bei Jaffe-K.-E.-L. vergeblich
fuchen. Die typographifche Ausstattung ift ausgezeichnet
, wie auch in der äußeren Anordnung alles darauf
abgeftellt worden ift, um das Buch zu einem Nachschlagewerk
zu gestalten, das Sich in jeder Hinficht auf der
Höhe der Zeit hält.

Bonn. Sigmund Keller.

Schmidlin, Dr. Jofeph, Die gefchichtsphilofophitche und kir-
chenpolitifche Weltanfchauung Ottos von Freifing. (Studien
und Darftellungen aus dem Gebiete der Gefchichte.
Im Auftrage der Görres-GefellSchaft und in Verbindung
mit der Redaktion des Hiftorifchen Jahrbuchs
hrsg. von Prof. Dr. Herrn. Grauert. IV. Bd., 2. u. 3.
Heft.) Freiburg i. B., Herder 1906. (XII, 168 S.)
gr. 8° M. 3.60

Schon öfters hat Sich Schm. Otto, den Vater der
mittelalterlichen Gefchichtsphilofophie, zum Gegenstände
kleinerer wiffenfchaftlicher Abhandlungen erkoren: im
Philo!. Jahrb. der Görresgefellfchaft XVIII, im Katholik
LXXXV, in der Zeitfchr. f. kath. Th. XXIX; auch die
,Kirchenpolitifchen Theorien des XII. Jh.' (Arch. f. Kath.
K.-R. LXXXIV) gehören hierher. Trotz diefer fachlichen
Qualifikation des Verf. muß es dahingeftellt bleiben, ob
der Zeitpunkt gerade günftig gewählt war, Otto v. Freifing
fchon wieder zum Gegenstände einer weitläufigen Untersuchung
zu wählen, nachdem erft vor kurzen Juftus Hashagen
mit der Löfung desfelben Themas allgemeine
Anerkennung geerntet hat und Haucks zufammenfaffendes
Urteil in feiner Kirchengefchichte unmittelbar zu erwarten
war. Die Auseinandersetzung mit Hauck ift übrigens
unterdeffen in einem bebänderen Auffatze im hiftorifchen
Jahrbuch der Görresgefellfchaft (XXVII) erfolgt.

,Meiu Erwarten geht dahin, heißt es im Vorworte,
daß jedermann aus vorliegender Abhandlung entnehmen
wird, welch wichtige Rolle unfer Schriftsteller im Gefamt-
gebäude der mittelalterlichen Weltanfchauung einnimmt,
wie vielfach er aber auch bisher mißverstanden worden
ift.' Erfteres möge Schm. gerne zugeftanden fein, obwohl
man selbstverständlich auch fchon vor ihm darüber einig
war, daß Otto zu den größten Gefchjchtsphilofophen
des Mittelalters zählte. Befonders in Öfterreich ift er
fchon frühzeitig fehr gefchätzt worden, wohl mehr um
feiner Abdämmung willen, als wegen feiner problematischen
Iiistoria austriaca.

Aber Schm. hat keine Mühe gefcheut, um alle nur
denkbaren Beziehungen Ottos, von Auguftin urid Orofius
angefangen, bis herab zu feinen Zeitgenoffen aufzudecken,
ganz befonders auch neben feiner Schon von Huber und
Hashagen des näheren nachgewiefenen asketifchen Veranlagung
und Gefchichtsfchreibung (durch die Gefchichte
eine Abkehr von allen weltlichen Dingen zu predigen)
Ottos fcholaftifche und myftifche Weltanfchauung eingehend
zu erörtern. Daß aber der V. gar fo viele ,Miß-
verftändniffe' feiner literarifchen Vorgänger aufgedeckt
hat, möchte ich entfehieden bezweifeln; bewiefen und
zwar überzeugend bewiefen, hat er m. E. nur feiten das
eine oder andere. Die Vorzüge und den wiffenfehaftlichen
Fortfehritt feiner Arbeit fehe ich vielmehr wefentlich
darin, daß er zum näheren Verftändnis der mittelalterlichen
Gefchichtsphilofophie im allgemeinen eine reiche
Fülle von neuen Gedanken beibringt; daß er es ferner
insbefondere verftanden hat, dank feiner umfaffenden
Belefenheit in Quellen und Literatur aller Art, das Bild,
welches wir uns bisher von Otto v. Freifing gemacht
haben, durch zahlreiche bisher unbeobachtet gebliebene
Einzelzüge und manigfache Streiflichter in intereffanter
Weife zu bereichern. Diefes unbeftreitbare Verdienft
wird leider dadurch wieder wett gemacht, daß Schm. es
bei diefer Vervollständigung des geiftigen Porträts
von Otto nicht hat bewenden laffen, vielmehr auch der
ganze Grundton bei ihm verändert erfcheint. Man hat
fich bekanntermaßen bisher damit befchieden, Otto v.
Freifing eine Mittelstellung anzuweifen im Widerftreite
kaiferlicher und päpftlicher Prätenfionen. Faft ängftlich
war er allzeit bemüht, jeden Anftoß hüben und drüben
zu vermeiden und verfuhr aufs fchonungsvollfte denen
gegenüber, die fich durch feine Äußerungen irgendwie verletzt
fühlen konnten (man vergleiche als befonders charak-
teriftifch feine Äußerungen bei der Bannung Heinrichs IV).
Schm. aber weift ihm eine andere Stellung zu: er reklamiert
ihn als ausgefprochenen Kurialiften, als ,Gregorianer'.
Und es ift eine billige Methode, die Schm. beliebt, wenn
er feine literarifchen Gegner kurzerhand damit abtun
will, daß er alle diejenigen, welche nicht ,von wefentlich
denfelben Anfchauungen getragen, ja in ihnen aufgewachten'
find (S. 3) für nicht genügend determiniert zu einer vorurteilslosen
Beurteilung Öttos erklärt. Ja, wenn es nur
zweifellos feftftünde, daß die kirchenpolitifchen und
gefchichtsphilofophifchen Anfchauungen, in denen Schm.
groß gezogen worden ift, daß die ,fubjektive Auffaffung',
mit der er operiert, wirklich auch die Ottos gewefen find!
Das möchten wir eben bewiefen fehen, aber Schm. ift
m. h. über eine petitioprineipii nirgends hinausgekommen
und ich wenigftens vermag in den Ausführungen des
Verf. keinen Anlaß zu finden, von der herrfchenden Auffaffung
in diefer Grundfrage abzugehen. Von der Wiedergabe
von Einzelheiten darf an diefer Stelle wohl
abgefehen werden, zumal diefelben nur fchwer aus dem
Ganzen lösbar find; auch wird, wie ich höre, in nächfter
Zeit von berufender Seite, nämlich von Hashagen, eine
ausführliche Entgegnung auf Schm. erfolgen.

Bonn- Sigmund Keller.

Bullingers Gegenratz der evangelifchen und der römirchen
Lehre. Nach dem Heidelberger Druck vom Jahr 1571
neu herausgegeben von Conftantin von Kügelgen.
(Zeitgemäße Traktate aus der Reformationszeit.
Heft 7.) Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 1906.
(XX, 26 S.) gr. 8° M. 1.40

Weshalb diefe Schrift Bullingers gerade als zeitgemäßer
Traktat neu gedruckt wurde, ift mir aus dem
Vorwort des Verfaffers nicht deutlich geworden. Es
ift mir kaum denkbar, daß fie in der Los von Rom-
Bewegung dem Proteftantismus viel nützen wird. Obfchon
fie fich durchweg durch anftändige Polemik auszeichnet,