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Ausgabe:

1907 Nr. 12

Spalte:

354

Autor/Hrsg.:

Clemen, Carl

Titel/Untertitel:

Die Entstehung des Neuen Testaments 1907

Rezensent:

Wernle, Paul

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353

Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 12.

354

in der proteftantifchcn Wiffenfchaft weitverbreitete, im Hort, van Bebber u. a. feftzuhalten, wobei es nicht ohne
katholifchen Lager neuerdings durch van Bebber und gewaltfame Interpretation der einfehlägigen Stellen aus
Reifer vertretene Einjahranficht; Zellinger folgt der Irenaus, Origenes, Cyrill von Alexandrien abgeht1); das
durch die johanneifche Darfteilung nahegelegten, von Feft Joh. 51 läßt er unbeftimmt; nur als Paffah will er
der fpäteren kirchlichen Tradition faft ausnahmslos be- es nicht anerkennen. So kommt die Exegefe fchließlich
vorzugten Theorie mehrjähriger Dauer. Ref., kein An- auf die von drei Paffahfeften umfchloffenen zwei Jahre
hänger der Einjahranficht, muß doch geftehen, daß ihm des Apollinaris von Laodicea heraus, und dies foll die
Fendts ruhige, zurückhaltende Darlegung mehr zufagt chronologifche Fixierung betätigen. Lk. 31 und Joh. 2 20
und höheres Lob zu verdienen fcheint als die auf eine fetzen, richtig interpretiert, den Beginn vor Ottern 28;
beftimmte kirchlich-exegetifche Meinung hinarbeitende der Tod läßt fich mit Achelis und van Bebber auf
von Zellinger. I 7- Apr. 3° berechnen — alfo die gewünfehten zwei Jahre!

Beide Bearbeiter haben die gleiche Zweiteilung: erft Daß diefen allerdings nicht ohne Vorbehalte, im ganzen
Gefchichte der Tradition (Z. mit dem ungefchickten Titel: aber doch mit der des Zieles im voraus ficheren Zu-
die Dauer der öffentlichen Wirkfamkeit Jefu in der Ge- verfichtlichkeit vorgetragenen Ausführungen die eine
fchichte, F.: das Zeugnis der Apoftel und Väter); dann große Objektivität allen Theorien gegenüber ermög-
eigner Löfungsverfuch (Z.: exegetifche Löfung der Frage, lichende Skepfis Fendts wiffenfehaftlich vorzuziehen ift,
F.: die Mittel und Wege zu felbftändiger Löfung der darüber ift Ret nicht im Zweifel. Das Problem felbft
Frage). Beide kommen in dem erflen Teil zu dem Re- j hat weder Fendt noch Zellinger gelöft; es wird auch
fultat, daß es eine gute gefchichtliche Tradition in diefer umfiritten bleiben, folange noch auf diefem Gebiete geSache
nicht gibt, daß fich die Meinungen der Väter allefamt forfcht wird.

als Refultate exegetifcher Kombination ergeben. Das Alles in allem darf man aber die Münchener Fakultät

einfehlägige Material wird mit überrafchender Überein- nur beglückwünfehen zu fo tüchtigen Preisarbeiten,
ftimmung von beiden vorgeführt — kaum hier und dort Straßburg i. E. von Dobfchütz

etwas, was dem andern fehlt —, eine auffallende Er- : -°__•_

fcheinung, die fich wohl aus der Anlehnung an die Vor- Giemen, Prof. Lic. Dr. Carl, Die Entltehung des Neuen Tefta-
arbeiten von E. Nagl, J. van Bebber Belfer u a. erklärt; { (Sammlung Göfchen 285.) Leipzig, G.J. Göfchen-

wird doch eben diefe chronologifche Frage in der kathoh- } * >> ca «« ^ i o

fchen Wiffenfchaft mit erftaunlichem Eifer diskutiert. Als fche Verlagshandlung 1906. (167 S.) 8« Geb. M. 80
ein Zeichen guter methodifcher Schulung fällt dabei an- Nichts Geringeres als eine ganze N.T.liche Einleitung

genehm auf, wie ficher die Traditionsreihen beftimmt, der | wird hier auf dem gedrängten Raum von 165 kleinen
Hinnuß der älteren Exegeten auf die folgenden, das Be- Seiten in popularifierter Form den Lefern dargeboten,
ftimmtfein der Jüngeren durch ihre Vorgänger klargeflellt Die nötigen Vorbedingungen, völlige Stoffbeherrfchung
wird. Die ,geringe Originalität'(S. 55) ift ja charakteriftifch und klare präzife Darftellungsgabe befitzt der Verfaffer
für diefe ganze Periode, und nicht bloß in diefer FYage. in hohem Maß; dennoch fcheint mir fein Popularifierungs-
Hiftorie iß feiten frei von fubjektiven Urteilen: das verfuch verunglückt infolge einer gerade durch die Gezeigt
der Vergleich diefer beiden Arbeiten fchon in dem 1 lehrfamkeit verfchuldeten falfchen Verteilung der Haupt-
fein hiftorifchen erften Kapitel: Fendt freut fich der Ein- und Nebenfachen. Die üblichen Einleitungsfragen: Ort,
jahranficht, wo er fie trifft, obwohl er objektiv genug ift, Zeit, Adreffe, Vorausfetzungen werden mit großer Aus-
auch die entgegenftehende Anficht gefchichtlich zu wür- I führlichkeit behandelt, 4 Seiten des kleinen Buchs zur
y'gen; Zellinger kämpft entfehieden für die letztere, fchon Begründung der füdgalatifchen Hypothefe; daß 1. Petrus-
in diefem hiftorifchen Überblicke, er redet von dem ,Fort- I brief den Hebräerbrief, Ephefer den 2. Petrusbrief benützt
Wuchern der Geminidatierung und tr-tcmroc-Exegefe im hat und die Apokalypfe fpäter als 1. Petrus fällt, wird
Abendland', von dem endgültigen Sieg der johanneifchen ~—- 1-..— n-:—*

Chriftologie'. Auguftin, von dem Fendt S. 65 lagt: ,Es
bat nichts zu bedeuten, wenn er etwas geheimnisvoll
verfichert. man könne zwar auch in den Evangelien etwas
»merken". Er beweift ja durch die Tat, daß dies nicht
ausreicht', wird bei Zellinger (49 f.) faft zum ftillfchwei-
genden Vertreter der johanneifchen Chronologie: ,er ahnt

das richtige Prinzip zur Löfung der Frage, fcheint fich ander! Auf das öfters diskutable Detail einzugehen, ift
aber des Bannes der Geminidatierung nicht entfchlagen hier nicht der Ort; das ift auch Nebenfache. Aber wenn
zu können'. So verfolgt Z. die Traditionsgefchichte auch fchon wir Theologen unter diefen ganz gewiß notwen-
weiter als F.: er gewinnt an den Ausläufern der Patriftik, digen, aber an und für fich tödlich langweiligen Ein-
Caffiodor, Gregor v. Tours, Ifidor, Beda noch eine ftatt- leitungsfragen zu leiden haben, den Laien find wir etwas
b.che Zeugenreihe für die Mehrjahrtheorie. Ein kurzer 1 anderes fchuldig, wenn ihnen das N.T. lieb oder auch
Überblick über die nachpatriftifche Zeit (56—60) Hellt nur intereffant werden foll.

bas Wiederaufleben der Ffinjahranficht im 17. Jahrh. dar. Bafel p Wernle

Von ihrer ungemeinen Verbreitung in der neueren progenau
notiert. Aber der Inhalt wird ganz kurz fkizziert,
und von den lebendigen Menlchen, welche aus all
diefen Schriften zu uns reden, und von ihrem Denken und
Wollen und ihrer Religion erfährt man faft nichts. Und
doch kann, foll das allein einen Laien wirklich interef-
fieren; was fcheren ihn Süd- oder Nordgalatien und
fämtliche Abhängigkeitsverhältniffe der Briefe unterein-

teftanVifc^ ift nicht die Rede. j Weber, Lic. Emil, Die Beziehungen von Rom. 1—3 zur
Im zweiten Teil gehen beide Bearbeiter entgegen- Miflionspraxis des Paulus. (Beiträge zur Förderung chrift-
gefetzte Wege. Fendt zeigt, daß weder dje,Chr°n°loS!e licher Theologie. Herausgegeben von A. Schlatter
noch die Exegefe zu ficheren Refultaten «hrt t? „icn? und W. Lütgert. Neunter Jahrgang 1905. Viertes Heft.)
^£,.tf£ SÄSt! Gütersloh, C Bertelsmann^- U^gr^ M. 2.40
digung des unchronologifchen Charakters der johannei- j Djere Schrift verdient es, bei der Exegefe des Römer-
fchen Lfezählung die Einjahrtheorie (mit zwei Paffahfeften) , brjefs ernftlich berückfichtigt zu werden, obfehon weder
als die wahrfcheinlichfte zu behaupten. Z andrerfeits | -_

Hellt die Mehriahrtheorie als die exegetlfch allein zu- 1) Eine in der bisherigen Diskuffion noch nicht berückfichtigte

läffipe ern, Hen Svnontikern dann aus Johannes zu Inäanz bietet das fahidifche Marienleben c. 22 (bei Forbes Robinfon,

u>ke erlt aus den SynopilKern, uami « J Cottic apocryphal gosptls [Texfs and studies IV 2I ?, dazu iXq- hier

beweifen: er beruft fich darauf, daß auch krit.fche Exe- 1 JA fü/da7fonft fuf dasTempelweihfeft gefetzte JOpfer oachhns dal

geten, die fonft das johanneifche Zeugnis ablehnen, aus 1 Pafrah der Juden, das Laubhüttenfeft, genannt, eine Kombination, die aus

den Synoptikern einen längeren Zeitraum erfchloffen • den zwei Lesarten Joh. 6« entflanden fein kann, vielleicht aber auch

haben, und fucht das Paffah Joh. 64 gegen If. VofflUS, fo zu deuten ift, daft Paffah generell als ,Feft' verftandeu wurde.

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