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Ausgabe:

1907 Nr. 12

Spalte:

352-354

Autor/Hrsg.:

Zellinger, Johann B.

Titel/Untertitel:

Die Dauer der öffentlichen Wirksamkeit Jesu 1907

Rezensent:

Dobschütz, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 12.

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fleht er Totenklage, Tonfur (als Haaropfer), Körperein-
fchnitte, Totenmahlzeiten und Grabopfer. Das Faften
dagegen führt er — wohl richtig —■ wenigftens feiner ur-
fprünglichen Bedeutung nach lieber wieder auf die Furcht
zurück, tabuierte Nahrung zu fich zu nehmen; dem ent-
fpricht, was er mit überzeugenden Analogien dartut,
dieSitte, daß den Trauernden Nahrung von Außenflehenden
gebracht wurde (vgl. II Sam 3, 3S(?) Jer 16, 7). Die Tatfache
der Unreinheit der Toten und ihres Grabes läßt
er nicht als reinen Proteft des Jahwismus dem alten Totenkult
gegenüber gelten; fie ift ihm ihrem Urfprung
nach — vielleicht mit Recht — wieder Ausdruck der
alten Furcht vor dem Totengeift.

Das dritte Kapitel handelt von Grab und Scheol.
,Le mort, pour Vancien Israelite, continue a sentir, a agir,
a vivre, et il a droit a une veneration religieuse1 (I 184):
diefer Glaube ift, wie L. aus den mit dem Grabe fich
verbindenden Vorfiellungen und Riten nachweift, noch
bis auf einen gewiffen Grad in der hiftorifchen Zeit
lebendig. Was Scheol anbelangt, fo urteilt L.: ,Les ori-
gines de Videe du Scheol nc sout probablement ni aussi
simples, ni aussi modernes qu'on le dit souvent; et il faut
admettre provisoirement que les anciens Hebreux ont pu,
comme tant de pcuples fort peu developpes, la former
de tres bonne heure, longtemps avant leur entree en Pa-
lestine' (I, 212). Der Nachweis, wie wenig die prekäre
Lage der Scheolbewohner es ausfchließt, das fie Ö^iTbfct j
find, leitet zum vierten Kapitel über: le culte rendu aü
mort apres l'ensevelisseme.nt'. L. zweifelt nicht, daß es
fich um wirklichen Totenkult gehandelt habe. ,Les morts
sont des dieux, d'un rang tres inferieur sans doute, des
sortes de genies familiaux ou locaux, mais enfin des
elohim. Iis sont doues d'un savoir et dun pouvoir sur- I
humains; on leur offre des sacrifices; ils ont leurs lieux
saints, leurs temps sacres; on leur demande des oracles,
(I 263). Dabei muß L. einräumen, daß die Spuren häuslichen
Totenkultes, ohne zwar ganz zu fehlen, doch
ziemlich unbeftimmt feien. Er erklärt es aber damit, '
daß der Totenkult vor dem vordringenden Jahwismus
feine Stelle im häuslichen Heiligtum leichter geräumt !
habe als am Grabe, das in der alten Zeit den heiligen
Ort xax ?-§,o%'hv iür ihn gebildet habe.

Nachdem die Tatfache israelitifchen Totenkultes
für den Vf. feftgeftellt ift, geht er im dritten Teil
feines Werkes (Band 2) dem Problem des Zufammenhanges
diefes Kultes mit der Organifation von Familie und Ge-
fchlecht bezw. Stamm in Altisrael nach. Diefe Unter-
fuchung führt natürlich zu einer Auseinanderfetzung mit
Stade's Theorie, daß die altisraelitifche Familie, der
indogermanifchen entfprechend, ihrem Urfprung nach als
Kultgen offen fchaft zu verftehen fei, zufammengehalten
durch das Einigungsband des Kultes des Familienahns, I
daß ferner der Stamm durch ein äußerliches Sich aneinander
Ballen diefer urfprünglich autonomen Familien
entllanden fei. Vorausfetzung diefer Theorie ift die pa-
triärchalifche Familienorganifation. Dem gegenüber führt
nun aber L., R. Smiths Spuren verfolgend, den Nachweis,
I. daß dem Patriarchat bei den Israeliten eine Stufe des
Matriarchates vorausgegangen fei, wenn jenes auch aus
den Baal-Anfprüchen des Mannes auf das in Raub- oder
Kaufehe gewonnene Weib herauswachfend, bis in die
Zeiten vor der Teilung der verfchiedenen femitifchen
Zweige zurückreiche, und 2. daß die riFötiE (nach einer
dem Vf. perfönlich mitgeteilten Vermutung Schwallys =
der Clan, der als Mittelpunkt die nriSC = die Frau der
matriarchalen Epoche hat) älter als die Familie fei. Das
bedeutet aber nicht eine Aufhebung der Stade'fchen
Theorie, fondern bloß ihre Modifikation: der Kult männlicher
Ahnen hat nämlich die Familie zwar nicht begründet,
aber im langen Verlauf der Jahrhunderte zwifchen dem
Augenblick, wo das Patriarchat das Matriarchat ablöfte,
und den eigentlich hiftorifchen Zeiten ihre foziale Organifation
beeinflußt. Das weift L. nach aus dem heiligen

[ Charakter des Familiengrundftückes und des Erftgeburts-
; rechtes, aus der Schätzung männlicher Nachkommenfchaft,
aus Adoption und Levirat (für deffen Erklärung er der
intereffanten Theorie von Jacques Flach folgt, vgl. Annales
des sciences politiques 1900, 316—340), fowie aus der
1 Blutrache. Und was fich ihm aus dem Studium der
israelitifchen Familie ergibt, beftätigt eine Unterfuchung
der umfaffenderen fozialen Gruppen: ,Pendant la periode
d'Organisation patriarcale, le culte des morts, bien que
libre de s'adresser a tous, specialement aux morts puissants,
aux heros, tendait ä se concentrer sur cenx qui etaient
I tenus pour les ancetres de la famille, de la mispahah, de
la tribu, de la nation, le mot ancetre etant pris ici au sens
precis de generateur humain par filiation paternelle du
I groupe en questioii (II, 105 f.). Für die vorpatriarchalifche
1 Zeit aber gelangt L. zum Schluffe: ,Certains indices font
penser que l'on rendait des l'epoque du regime maternel un
veritable culte non seulement aux morts en general, mais
d'une part aux ancetres dans le sens que ce mot peut avoir
dans les societes a filiation uterine, et d'autre part aux
esprits des kommes qui pendant leur vie avaient fait
preuve de quelque puissance surnaturelle' (II 124).

Ich halte diefe allgemeinen Refultate für richtig;
aber nicht nur fie begründen den Wert des vorliegenden
Werkes; er beruht nicht minder in der forgfältigen Flin-
zelunterfuchung, auf der jene aufgebaut werden. Ich
verweile z. B. auf die ausführliche Befprechung der
Wafferlibation I Sam 7,6 (I 172—174), deren Ableitung
aus einem urfprünglichen Leichenritus fehr plaufibel ift.
Dagegen fcheint mir (I, 269) die Abweifung der Stade'fchen
Behauptung, auch in Israel werde der weitverbreitete
Glaube, daß der Unbeftattete in die Unterwelt nicht ein-
gelaffen werde und ruhelos auf Erden fchweifen müffe,
vorhanden gewefen fein, trotz Gen 37,35 (I Sam 28,19
ift textlich unficher) unberechtigt. Aus eben jenem Glauben
erkläre ich mir Dtn 21, 221. Ob fich die altisraelitifche
Hochzeit wirklich ohne religiöfe Riten vollzogen habe
(II, 57), ift mir doch fraglich; denn das Hochzeitsmahl
hat urfprünglich wohl fakralen Charakter, und das Schmücken
der Braut erinnert daran, daß man fich zur Kulthandlung
fchmückte. Zu den I, 47 aufgeführten Beifpielen,
wonach die Seele in einem Gewände aufgefangen werden
kann, verweife ich auf den chinefifchen Brauch, fich zum
Zurückrufen der Seele des Verftorbenen feines Gewandes
zu bedienen {Liki Sang-ta-ki, I, 3—4). Bemerkenswerter
Weife benutzte man diefes Gewand weder um den Toten
damit zu bekleiden noch auch um ihn im Sarge zu bedecken
! Zur Erklärung des Teraphim fei noch die neuerdings
durch Greßmann (Urfprung der israel.-jüd. Escha-
tologie 345 A 2) mitgeteilte Vermutung Georg Hoffmanns
erwähnt, er fei die Gefichtsmaske.

Lods hat uns mit feiner erfchöpfenden Behandlung
des von ihm unterfuchten Problemes zu lebhaftem Dank
verpflichtet.

Bafel. Alfred Bertholet.

Zellinger, Johann B., Die Dauer der öffentlichen Wirkfamkeit
Jefu. Münfter i. W., Afchendorff 1907. (IV. 107 S.)
gr. 8° M. 2 —

Der in Nr. 2 Sp. 39 d. lauf. Jahrg. befprochenen Arbeit
von Fendt ift die hier vorliegende gleichbetitelte auf dem
Fuße gefolgt. Dem gleichen Preisausfehreiben der Münchener
Fakultät entfprungen hat fie vor jener den Preis
davongetragen; warum eigentlich, das fieht der unbeteiligte
Beurteiler nicht recht ein. Sie fteht im Umfang (trotz
des größeren Formats) jener nach und kommt ihr auch
bei gleicher Gründlichkeit in der Verarbeitung des pa-
triftifchen Materials und der modernen Literatur nicht
gleich in Klarheit der Anordnung und Präzifion der Formulierung
. So muß es die Beurteilung des Stoffes, das
Refultat gewefen fein, was hier Billigung, dort Mißbilligung
hervorgerufen hat; Fendt ftellt fich entfchloffen auf die