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Ausgabe:

1907 Nr. 11

Spalte:

332-336

Autor/Hrsg.:

Goguel, Maurice

Titel/Untertitel:

Wilhelm Herrmann et le Problème religieux actuel 1907

Rezensent:

Bornhausen, Karl

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33i

Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. lt.

332

Jundt, Andre, Lic. en theol., Le Developpement de la Pensee
religieuse de Luther jusqu'en 1517. D' apres des documents
inedits. Paris, Fischbacher 1906. (VII, 253 S.) gr. 8°

Diefe Parifer Lizentiatenarbeit behandelt das Problem
der religiöfen Jugendentwicklung Luthers, das, wie
Verf. wohl weiß, durch Denifle neu brennend geworden
ifl. Hätte er nur ihn tiefer auf fich wirken laffen! Er
gruppiert: I. Point de depart (1509—1512), inhaltlich
benimmt durch Einflüffe der Scholaftik und Auguftins.
2. Petape (1513—1515), Einflüffe Bernhards v. Clairvaux
und Auguftins. 3. le point d'arrivee (1515—I5I7): der
Paulinismus, negativ und pofltiv wirkend. Die einzelnen
Perioden find fehr breit dargeftellt; dabei wird gerne,
wie das franzöflfche wiffenfchaftliche Art ift, kombiniert,
ohne daß die Tatfachen es erlauben. Anderes wieder
ift hübfch formuliert. Ich hebe, der Reihenfolge des
Buches nachgehend, Richtiges und Unrichtiges heraus.
Unrichtig ift die Behauptung (S. 60): Luther s'est trouve
des l'origine, dans une Situation essentiellement dijfercnte
{seil, als Staupitz). Le mysticisme et la scolastique lui sont
apparus en contradiction absolue. Diefer Gegenfatz ift
erft geworden infolge der Polemik feiner Gegner, nicht
von Anfang an gewefen. Wird man fagen dürfen: Ce
qu'on appelle le principe formel de la theologie evangelique,
derive donc en droite ligne de la doclrine nominaliste ? (S. 69).
Gut ift der Satz (S. 96): la theodicee nominaliste a forme
le cadre tout trouve de la religion nouvelle. Die Belege
aber — und ohne fie vermag ich nicht anzuerkennen —
vermiffe ich zu folch fchwerwiegenden Sätzen: ,il est
infiniment probable, que Paugustinisme fut l'obstacle, qui
Pempecha de comprendre pleinement des Porigine les ex-

pressions de s. Bernard et de s. Paul.....Les idees

mystiques d' Augustin ramenaient Luther a la notion ca-
tholique de la justification et lcloignaient d'autant de la
doctrine de s. Paul' (S. 97h). Gut ift die Beobachtung
von zwei Gedankenkreifen in den Erläuterungen zu den
Sentenzen, der eine ftark betonend die menfehlichen, der
andere die göttlichen Kräfte. Aber es geht wieder zu
weit, zu fagen: nouspouvons conclure, qu'en ce qui concerne
la doctrine de la justification, Luther ne se separe en rien
de la tradition catholique CS. 109), der katholifche
Verdienftbegriff fehlt doch! Auf der Romreife (die falfch
in die Zeit 1512/13 gefetzt wird) foll Luther den pau-
linifchen Gerechtigkeitsbegriff gewonnen haben, den dann
der Sermon für den Leitzkauer Propft ausfprechen foll
(S- 114fr.) — ficherlich ift beides überfchätzt. Treffend
andrerfeits ift gefagt (S. 143): Le point de depart de la
justification, c'est le don de lagräce. Mais Pefiet de ce don
est, non d'eveiller le libre arbitre, qui permet a P komme
de dien agir, mais de faire naitre en lui le sentiment de
sa misere. Le point d'arrivee, c'est la gräce a recevoir,
qui confere a Phomme Pentree dans la vie eierneile. Wenn
es richtig ift, daß Luther mit dem Paulinismus Gott als
Liebe faßt, fo hat er doch die nominaliftifche puissance
mysterieuse nicht völlig überwunden (gegen S. 172). Weit
über das Ziel hinaus fchießt das über Luthers Verhältnis
zum Humanismus (S. 194 namentlich) Gefagte. Z. B.
Luther renonce definitivement a la methode allegorique ....
il 7ie commente pas la pensee paulinienne, mais se borne
ä Pexposer fidelement. Un exemple a suivre, et rien que
cela, voilä ce qu' Erasme cherche en Cehii, que Luther
invoque comme son Sauveur. Falfch ift, daß Luther vor
1515 nur die myftifchen Schriften Auguftins und die
enarrationes in psalmos gelefen hatte (S. 201, vgl. dazu
Weim. Ausg. IX, 2 ff).

Das Ganze ift fleißig gearbeitet, man kann auch
allerlei daraus lernen, aber es führt kaum weiter. Schon
die Gruppierung ift nicht glücklich. Hunzinger und Hermelink
konnte J. noch nicht kennen, aber es ift doch
zum minderten naiv, von Denifle zu reden und dann die
von ihm beanftandeten Äußerungen Luthers unbefehen
wieder anzuführen. Im Anhang bietet Verf. eine Über-

fetzung feiner These: quid de via salutis Johannes de
Paltz docuerit.

Gießen. Köhler.

Goguel, M.. Wilhelm Herrmann et le Probleme religieux
actuel. Paris, Fifchbacher 1905. (259 S.) 8° fr. 7.50

Es ift für jeden Gelehrten eine fehr reizvolle Aufgabe
eine auswärtige wiffenfchaftliche Autorität durch
monographifche Darfteilung in einen Bildungskreis einzuführen
, in dem fie bisher nicht allgemeine Beachtung
fand. So hat fich M. Goguel des fchöne Ziel gefetzt,
W. Herrmanns Bedeutung für die proteftantifche Theologie
Frankreichs zu größerem Einfluß zu bringen. Mit
gutem Recht verbindet der Verfaffer damit eine Dar-
ftellung des modernen religiöfen Problems, wie es fleh
gerade im Anfchluß an Herrmanns Theologie herausgebildet
hat. Dementfprechend teilt fich die Schrift in
zwei große Abfchnitte, von denen der erfte die Theologie
Herrmanns befchreibend darftellt, der zweite die hiftorifche
und kritifche Stellungnahme des Verfaffers bringt. Der
erfte klar gruppierte und mit reicher Benutzung aller
Schriften Herrmanns gearbeitete Teil ift am wichtigften
für den, der Herrmanns Syftem überfichtlich kennen
lernen will. Für den deutfehen Theologen wird wohl
der zweite Teil der wichtigere fein, in dem der Verfaffer
zu den einzelnen Problemen der Herrmannfchen Theologie
das ganze Material der Polemik fammelt und
darauf aufbauend feine eigene kritifche Stellung darlegt,
die im wefentlichen ftark an Herrmann gebildet ift.

Zunächft behandelt Goguel das Problem von Religion
und Metaphyflk, wie es ja auch bei Herrmann grundlegend
ift (S. 162—178). Mit Recht erweift er Herrmanns
Begriff der Metaphyflk als zu eng und ihre Aus-
weifung aus der Theologie als zu ftreng. Allerdings hat
Herrmanns klarer Verzicht auf jede Metaphyflk in der
Theologie ihn zu der fchroffen Scheidung von Glauben
und Wiffen befähigt, die fowohl der Religion als der
Wiffenfchaft volle Freiheit zufichert. Aber diefe Kluft
zwifchen Glauben und Wiffen kann doch nicht dauernd
offen gehalten werden. Auch ftellt fich die Metaphyflk
jetzt nicht mehr indifferent zu dem Unterfchied von
Natur und Geift, noch muß fie den hiftorifchen Charakter
des Chriftentums verkennen, wie Herrmann annimmt.
Vielmehr wird die rechte Metaphyflk, welche die Vereinigung
und Syftematifierung aller menfehlichen Einficht
über das Univerfum fich zum Ziel fetzt, auch ftets
den hypothetifchen und proviforifchen Charakter behalten
, der fie die Eigenart anderer Gebiete und Einrichten
refpektieren läßt (S. 177). Herrmanns Stellung
wird immer das unbezwingbare Bollwerk bleiben, das
der theologifchen Arbeit ihre Freiheit und Selbständigkeit
fichert. Aber gerade im Vertrauen auf diefe Rückzugslinie
müffen fich doch die Theologen wieder auf den
Kampfplatz hinauswagen, um der Religion durch wiffenfchaftliche
Auseinanderfetzung und Verftändigung mehr
Einfluß auf andere Erkenntnisgebiete zu erobern.

Wichtiger als diefe Stellungnahme Goguels find uns
aber feine Darlegungen S. 183 —188, in denen er Herrmanns
Begriff vom Dogma kritifiert. Der Verfaffer fleht
in den Dogmen nicht nur Glaubensformulierungen der
Vergangenheit und Gegenwart, fondern er faßt fie als
Glaubenswerte, die auch die religiöfe Erfahrung des einzelnen
wecken können. So gibt er dem Dogma eine
pädagogifche Bedeutung und faßt es als gedankliche
Fixierung des religiöfen Glaubens, die eine Beihülfe zur
Realifierung diefes Glaubens bei anderen zu leiften vermag
. Das Dogma foll damit nicht Ausläufer, fondern
Mitbegründer des Glaubens fein; wenigftens meint Goguel,
daß es bei der Majorität von Chriften diefe Rolle fpiele.
Und da Herrmann diefe pädagogifche Bedeutung des
Dogmas verkenne, komme er dazu, den Glauben, der
fich an die Dogmen anfchließe, für minderwertig zu