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Ausgabe:

1907 Nr. 11

Spalte:

323-326

Autor/Hrsg.:

Glaue, Paul

Titel/Untertitel:

Die Vorlesung heiliger Schriften im Gottesdienste 1907

Rezensent:

Gregory, Caspar René

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Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 11.

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Jeremia die erften 23 Jahre feiner Tätigkeit nicht fchrift-
ftellerifch gewirkt habe, warum foll man diefes Zeugnis
verfchmähen? 7 -j- 12 + 4 find ja beinah 23 Jahre. In der
Analyfe des Einzelnen kann ich mich vielfach der Überein-
ftimmung mit Corn. freuen, wie ich auch in meiner zweiten,
jetzt erfchienenen Aufl. hervorzuheben nicht unterlaffen
habe. Namentlich ift es mir lieb gewefen, zu fehen, daß i
meine Anfetzung der fogen. Konfeffionen Jeremias (wie
fie Erbt genannt hat) während der Verfolgungszeit unter
Jojakim und z. T. unter Sedekia vielfach die Zuftimmung
Cornills gefunden hat.

Umgekehrt kann ich ihm das Verdienft zurechnen,
daß er vermittelnd zwifchen Duhm und mir gewirkt hat,
was die Überarbeitungen im Jeremiabuch anlangt. Ich
bin durch ihn auf eine Reihe von Ergänzerftücken auf-
merkfam gemacht worden, bei denen Duhm durch feine
abfprechende Art, zu reden, mir ein entgegengefetztes
Urteil nahe gelegt hatte. Zwei Punkte habe ich bedauert:
1) daß es Cornill nicht gelungen ift, mich in bezug auf
die Metrik zu überzeugen. Ich hatte doch feine ,Me-
trifchen Stücke' ausführlich angezeigt in der Theologifchen
Literaturzeitung und ihm dadurch Veranlaffung gegeben,
auf meine Gegengründe ausführlich einzugehen; doch ich
weiß fchon aus früheren Erfahrungen, daß er kein Mann
der wiffenfchaftlichen Disputation ift, fondern am liebften
(wie Ewald) ,immer gleich das Richtige' fagt. Ich habe
es nun auch in meiner zweiten Aufl. fo gemacht, aber
fchade ift es doch, daß Leute, die einander fonft wiffen-
fchaftlich nahe flehen, fo an einander vorbei reden. —
Das Gleiche beklage ich mit Rückficht auf die Septuaginta-
frage. Vielleicht, daß diefer Wunfeh in einer textkriti-
fchen Bearbeitung des Jeremia, die Cornill in Ausficht
ftellt, Befriedigung findet. Ich habe meine Anficht über
die LXX daher in meiner zweiten Aufl. einfach wieder
abgedruckt, wenn mir auch an einzelnen Stellen meine
Löfung nicht mehr als die abfolut entfeheidende erfchien.
Aber wir müffen doch verfuchen, zum Verftändnis zu
gelangen. — Im einzelnen könnte ich natürlich unzählige
Stellen teils zuftimmend, teils ablehnend zur Sprache
bringen. Aber die Aufgabe einer Anzeige ift m. E. die,
den allgemeinen Charakter eines Werkes zur Anfchauung
zu bringen. Und fo möchte ich zum Schluß hervorzuheben
nicht unterlaffen, daß Cornills Kommentar fich
als xaTtyrnv gegenüber N. Schmidt und Duhm charak-
terifiert. Er hält die Berufungsvifion in K. 1 im wefent-
lichen für hiftorifch, er nimmt eine gute gefchichtliche
Grundlage für K. 3 an, er weift die mächtige Tempelrede
K. 7 in ihrer Grundlage als gefchichtlich nach, läßt auch
in K. 13 wefentliche Teile vor der Kritik beftehen, K. 25
gibt er Schwally und Duhm nicht vollftändig preis, fondern
refumiert p. 287: /Demnach enthält das ganze K. 25
in feinem erften und zweiten Teil einen jeremianifchen
Kern: daß Jeremia im 4. Jahre Jojakims wirklich den
Auftrag erhielt, Juda und den umliegenden Völkern den
Zornesbecher Jahves zu kredenzen, fleht abfolut feft'.
Das find doch weitgehende Befchränkungen der Duhm-
fchen Pofitionen. Ich kann daher nur wieder hervorheben
, daß Cornills Kommentar einen wichtigen Faktor
in der modernen Jeremiakritik bietet. Zum Schluß hebe j
ich gern hervor, daß ,die Weisfagung vom neuen Bunde'
K. 31 auch von Cornill im wefentlichen für echt jeremi-
anifch erklärt wird.

Königsberg. F. Giefebrecht.

Glaue, PHv.-Doz. Lic. Paul, Die Vorlerung heiliger Schriften
im Gottesdienfte. I. Teil. Bis zur Entftehung der alt-
katholifchen Kirche. Berlin, A. Duncker 1907. (VII,
86 S.) gr. 8° M. 2 —

Diefe Schrift, eine Gießener Habilitationsfchrift, bildet
die Einleitung zu einer Arbeit über die griechifchen
Perikopenbücher. Gerade was die weitere Arbeit um-

faffen foll, geht nicht deutlich aus dem Vorwort hervor.
Einmal wird ein Beitrag zur Textgefchichte, einmal einer
zur Gefchichte der Vorlefung, wobei befonders auf die
Lefebücher hingewiefen wird, und fchließlich einer zur
Gefchichte der Vorlefung von anderer Seite her erwähnt.
Hoffentlich hat der Verfaffer das Alles noch im Sinne.
Nach einer Einleitung über die Vorlefung in der Synagoge
bis zur Zeit Jefu, folgen vier Teile über die Vorlefung
bei den Chriften: a. in der apoftolifchen Zeit; —
b. in der nachapoftolifchen Zeit; — c. in Rom um 150; —
d. bis zur Entftehung der altkatholifchen Kirche. S. 10
fetzt der Verfaffer ,Tierhäute, Pergament', als ob das
dasfelbe wäre, doch meint man, daß zu jener Zeit die
jüdifchen Rollen, wie fie es noch viel fpäter blieben,
hauptfächlich auf Leder waren. Sicher ift es nicht. Zu
S. 6 ift zu bemerken, daß es Regel in der griechifchen
Kirche ift, Knaben als Vorlefer anzuftellen; eigentlich
follen fie fchon zwölf Jahre alt fein. Die Anmerkung
S. 11 redet über Jefus und feine altteftamentlichen Studien
in einer viel zu genauen Weife; eine Einfchränkung wäre
dort am Platze. Zu der apoftolifchen Zeit, S. 13—30,
wäre zu bemerken, daß die Annahme, fämtliche Apo-
ftel feien nicht im Stande zu lefen gewefen, fchwerlich
richtig ift. Die Gründe, die angeführt werden gegen ihr
Lefenkönnen, gälten zweimal fo ftark für Jefus. Ich
halte es für ficher, daß Matthäus, Petrus und Johannes
lefen konnten, halte es für wahrfcheinlich, daß alle lefen
konnten, f. S. 4, Anm. 6. S. 20 foll Jona am Karmittwoch
im 4. Jahrhundert gelefen worden fein, wie Joel bei
den Karaitjuden in der Krim zu Pfingften; dazu wäre zu
erwähnen, daß die griechifche Kirche feit Jahrhunderten
Jona am Karfonnabend und Joel am Vorabend zum Pfingft-
feft lieft. S. 22: fetze ich aus der fpäteren Gefchichte
voraus, daß man nicht nur Sonntags, fondern auch Sonnabends
, als am jüdifchen Sabbat und am Vorabend des
Sonntags, fich verfammelte. Woher weiß der Verfaffer
für jene frühe Zeit, S. 22 Mitte, daß man Säle mietete
oder errichtete? Der ganze Abfatz hat eine tödliche
Sicherheit, braucht aber ein ,vielleicht'. S. 23: bei der
vom Verf. immer wieder betonten geringeren Bildung
der Chriften wird wahrfcheinlich bei dem Pfalmen eher
an einen felbftgewählten als an einen felbftgedichteten zu
denken fein. S. 24: die Vorlefung ift gewiß als felbftver-
ftändlich in allen chriftlichen Gefellfchaften vorauszufetzen.
Soweit ich fehen kann, ift es allein richtig, S. 27, anzunehmen
, daß die Vorlefung des Alten Teftamentes ur-
fprünglich genau nach Synagogenart ftattfand. Es war
das das Gegebene. Die Chriften waren zuerft Juden,
blieben zuerft wahrfcheinlich häufig noch mit in der
Synagoge, und werden bei der erften Trennung von der
Synagoge, fo weit der Befitz von Rollen es geftattete,
an nichts anders gedacht haben als die gewöhnte Vorlefung
. Gegen den Gedanken, S. 29, daß zu Pauli Lebzeiten
feine Briefe nur einmal oder höchftens ein paarmal
vorgelefen wurden, ift zu fagen, daß bei dem Gewicht
diefer Briefe, bei dem Mangel an Prediger und Predigten
und bei der großen Anzahl der wöchentlich fich wiederholenden
Verfammlungen man vorausfetzen muß, daß
die Briefe immer wieder vorgelefen wurden. Die Vorlefung
z. B. von Klemens ein Jahrhundert fpäter weift auf
eine folche Neigung zurück.

Für die nachapoftolifche Zeit wären noch andere
Vermutungen mit aufzuftellen. S. 33 ift die Darftellung
des Vorlefers als etwas Neues vielleicht zu ftark betont.
In den Synagogen wird der Vorlefer häufig, befonders
in kleinen Gemeinden, ein einzelner, das einzige dazu
j fähige Glied der Gemeinde gewefen fein. In der Er-
! örterung des Vorlefers hier, auch S. 35, verwirrt der
Verf. die Sache dadurch, daß er die verfchiedenen Teile
j des Gottesdienftes, die verfchiedenen Standpunkte, von
■ denen aus irgend etwas in einem Gottesdienfte zur Vor-
[ lefung gelangen konnte, nicht von vornherein dargelegt
; hat. Übrigens ift das Wort Anagnofe fchlechthin über-