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Ausgabe:

1907 Nr. 1

Spalte:

10-11

Autor/Hrsg.:

Kluge, Otto

Titel/Untertitel:

Die Idee des Priestertums in Israel-Juda und im Urchristentum 1907

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. I.

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fieren, oder endlich zu zeigen, wie fich in den Königsbüchern
die fein gezeichneten Prophetenlegenden und
die farbenreichen ephraimitifchen Königsgefchichten von
den nüchternen hiftorifchen Notizen und dem deuterono-
miftifchen Rahmenwerk fcharf abheben. Erft bei einer
folchen Behandlungsweife würde der Lefer einen wirklich
tief fitzenden Eindruck von der Kompofition der
altteftamentlichen Bücher und ihren einzelnen Beftand-
teilen gewinnen. Ähnlich liegt die Sache bei dem fonft
fo ausführlich behandelten Pentateuch. Auch hier überwiegt
das Regiftrierwerk. Der Lefer erfährt zwar ganz
genau, daß der Pentateuch aus mehreren Quellen zu-
fammengefetzt ift, er bekommt fogar eine forgfältige Ana-
lyfe nach Kapiteln und Verfen und in einer wunder-
fchönen Tabelle eine überfichtliche Sprachftatiftik
(S. 46—57) vorgelegt, aber trotz alledem kann er von
den einzelnen Quellenfchriften, namentlich vom Jahviften
und Elohiften,~ keinen lebendigen Eindruck gewinnen,
weil der Verf. über dem Regiflrieren von Einzelheiten
es verfäumt hat, den Lefer in den Geift der Quellen
einzuführen. Bei den Propheten macht fich der gleiche
Mangel geltend. Wir bekommen zwar recht forgfältige
Einzelangaben über ihr Leben und Wirken, über den
Inhalt ihrer Schriften und die mancherlei kritifchen
Fragen, die fich an diefe Schriften knüpfen, aber wir
bekommen keinen Eindruck von ihrer Perfönlichkeit,
wie fie fich doch auch in der literarifchen Eigenart ihrer
Reden, im Stil und in der Darftellungsweife ausgeprägt
hat. Daran hätte ein Einleitungswerk aber um fo weniger
vorübergehen dürfen, als gerade das ftiliftifche Moment
für die Beurteilung der Echtheit oder Unechtheit mancher
Propheten von ausfchlaggebender Bedeutung fein kann.
Auch den poetifchen Büchern ift Str. in diefer Beziehung
nicht gerecht geworden. Er fleht den Büchern des A.T.
eben zu fehr mit den Intereffen eines etwas einfeitigen
Theologen gegenüber, der diefe Bücher lediglich als Urkunden
einer Heilsgefchichte und als Repertorien von
Heilswahrheiten zu würdigen gewohnt ift.

Nach dem bisher Ausgeführten wird man begreifen,
daß Ref. die Einleitung von Str. trotz Anerkennung aller
ihrer Vorzüge und trotz gefliffentlichfter Ausfchaltung
des Bewußtfeins von dem theologifchen Gegenfatze, in
dem er fich zu dem Verf. weiß, nur unter gewiffen Ein-
fchränkungen empfehlen kann. Das Buch eignet fich
gewiß zur erften Einführung in das an Problemen fo
reiche Gebiet der altteft. Einleitung. Es ift ein Buch,
aus dem man fehr viel Tatfächliches lernen kann, ein
Buch, das für Repetitionen des Wiffensftoffes gewiß ausgezeichnete
Dienfte leiftet und mit feinen eingehenden
Inhaltsangaben ficherlich geeignet ift, den Studierenden
die Bekanntfchaft mit dem Inhalte des A. T., mit der
es heute vielfach geradezu kläglich beftellt ift, aufzu-
frifchen oder zu vermitteln (vorausgefetzt natürlich, daß
die Studierenden die kurforifche Lektüre des A. T. nicht
durch ein flüchtiges Durchfliegen von Strs. Summarien
erfetzen, fondern des A. T. unter Benutzung diefer Summarien
felbft gewiffenhaft lefen, wenn auch z. T. nur
in der Kautzfch'fchen Überfetzung). Es ift endlich ein
Buch, das man immer wieder gern nachfchlagen wird,
wenn man fich über einen Punkt fchnell und zuverläffig
orientieren will. Aber zu einem tiefer eindringenden
Studium, zur Gewinnung einer felbftändigen Stellung zu
den mancherlei fchweren Problemen, die das A. T. nach
der literarifchen Seite hin bietet, reicht das Buch nicht
aus. Wem es um ein tieferes Studium zu tun ift, wird
doch zu den Werken von Cornill, Driver-Rothftein oder
Baudiffin und König greifen müffen.

Auf Einzelheiten einzugehen, muß Ref. fich vertagen.
Zum Schluß fei nur noch bemerkt, daß der Verf. auch
diefes Mal wieder im Vorwort feinen Glauben an
,Wunder und Weisfagungen' mit Nachdruck zur
Geltung bringt und die ,wiffenfchaftlichen Ergebniffe1
[man beachte hier die etwas boshaft anmutenden An-

führungsftrichel] feiner Gegner, mit denen fich die Str.s
übrigens häufig genug doch merkwürdig nahe berühren,
in Baufch und Bogen als die notwendigen Ausfiüffe
einer nicht-pofitiv-gläubigen Stellung charakterifiert und
ihnen darum allgemeine Verbindlichkeit abfpricht. Wir
können derartigen nun einmal nicht tot zu machenden
Auslaffungen gegenüber nur immer wieder von neuem
betonen, daß wir es für methodologifch falfch und darum
für verhängnisvoll halten, irgend welchen Glaubensüberzeugungen
, die ihren fubjektiven Charakter nun einmal nie
verleugnen können, auf hiftorifche und literarifche For-
fchungen einen beftimmenden Einfluß zu gewähren, und
daß wir deshalb auf möglichfte Ausfchaltung derartiger
Überzeugungen bei Behandlung hiftorifcher Probleme
dringen müffen. Wir kennen aus prinzipiellen Gründen
weder eine pofitiv-gläubige noch eine liberale noch eine
ungläubige, fondern nur eine hiftorifch-kritifche Einleitung
in das A. T. und verlangen von ihr, daß fie Ergebniffe
bietet, die auf genauefter Beobachtung und ge-
wiffenhafter Verwertung des gegebenen Tatfachenmaterials
beruhen. Dabei können wir uns natürlich fehr wohl
vorftellen, daß je nach der religiöfen Stellung der Verf.
die Art der Behandlung unferer Disziplin eine recht
verfchiedene fein kann, und daß fpez. eine ,ehrerbietige'
Behandlung der altteftamentlichen Überlieferung, wie Str.
fie verlangt, auch bei unferer Auffaffung der Disziplin
möglich ift.

Druckfehler find Ref. nur wenig aufgefallen. S. 71,
in der 1. Zeile von § 19 lies 2 b für 210, S. 76 ZI. 8 v. u.l.
§ 19» 3 für § 19. I-

Jena. B. Baentfch.

Kluge, Dr. phil. Otto, Die Idee des Prieltertums in Israel-
Juda und im Urchriltentum. Ein religionsgefchichtlicher
und biblifch-theologifcher Vergleich. Leipzig, A. Dei-
chert'fche Verlagshandlung Nachf. 1906. (VIII, 67 S.)
gr. 80 M. 1.60

Nachdem Karl Lamprecht dem Satz, daß auch die
Ideen im Erdboden wurzeln, für die allgemeine Ge-
fchichte Geltung verfchafft hat, will ihn der Verf. fpeziell
für die Gefchichte des Prieftertums im Alten wie Neuen
Teftament verwerten durch den Nachweis, daß dasfelbe
als eine Volksinftitution von rein ftellvertretendem Charakter
zu verliehen fei. Der vierfache Beweis dafür wird
geführt aus der Herkunft und Erwählung des Stammes
Levi, der vom ganzen Volk zur Bedienung der Priefter
Gott dargebracht wird, aus der Zeremonie der Levitenweihe
durch Handaufftützung von feiten des Volks und
der damit analogen Priefterweihe, aus der amtlichen Be-
ftimmung des Prieftertums, mit den Sühnemitteln, nämlich
Opfer und Gebet, Gott zu nahen und von ihm Gnade
und Segen für das Volk zu erwirken, endlich auch aus
den Vorfchriften über feine leibliche Befchaffenheit,
Lebensordnung und Lebensunterhalt. Es fei hier nur
hervorgehoben, daß der ftellvertretende Charakter beim
Opfer fomit den zwifchen Gott und dem Volk vermittelnden
Prieftern, nicht aber dem als Sündopfer ge-
fchlachteten Tier eignet (S. 17 f.). Von Wert find in
diefem Abfchnitt befonders die vergleichenden Seitenblicke
auf verwandte Erfcheinungen in andren Religionen.
Den Übergang zum Chriftentum vermittelt der deutero-
jefajanifche Gottesknecht, fofern ,diefe wunderbare Ge-
ftalt das Bild des Priefters, welcher fich felbft zum Opfer
für die Welt bietet, das Bild des Propheten, der durch
feine Gotteserkenntnis Gerechtigkeit bringt, und das Bild
des Königs, welcher verklärt und feiig die Frucht feiner
Leiden genießt, vereinigt' (S. 30). Natürlich, daß dann
im Neuen Teftament vorzüglich der Hebräerbrief in
Betracht gezogen wird, von deffen Inhalt der Verf. eine
an Delitzfch und Riehm, Beyfchlag und Kähler erinnernde
Darfteilung gibt und bei diefer Gelegenheit den Brief-

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