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Ausgabe:

1907 Nr. 10

Spalte:

311-313

Titel/Untertitel:

Kirchen und Sekten der Gegenwart 1907

Rezensent:

Schön, Paul

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3ii

Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 10.

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Augufta faft ununterbrochen auch zugleich Mitglieder des j
han. Kirchenregimentes; feit dem zuletzt genannten Jahre
befteht ein folches Verhältnis zwifchen den beiden Korporationen
nicht mehr. 2. In dem Loccumer Gutachten
wird der Hannoverfche Landeskatechismus von 1790 zu
den Bekenntnisfchriften gerechnet, ,aus welchen fich der
Glaube des Volkes nährt'. Heute hat man in der hannov.
Landeskirche nicht nur auf den Gebrauch diefes, fondern
jedes andern Katechismus qua Landeskatechismus verzichtet
und ift mit dem Surrogate eines Spruchbuches
zufrieden, das der Kirche feitens der Schulbehörde dargeboten
werden foll. Diefe Hervorhebung vorhandener
Differenzen zwifchen früher und jetzt hat die Lektüre
der Meyerfchen Schrift veranlaßt. Ihre Bedeutung ift
felbftverfländlich nicht darin, fondern in der auf Urkunden
fich gründenden Darftellung einer intereffanten Epifode aus
der Gefchichte der hannoverfchen Landeskirche zu fuchen.
Was mit ihr erftrebt ift, hat der Verf. in vollem Maße erzielt
, und ich darf nur noch den Wunfeh ausfprechen, daß
auch die übrigen evangel. Landeskirchen Hiftoriker finden
möchten, welche das Verhältnis derfelben zu der Einheitsbewegung
, um die es fich hier handelt, in gleich
tüchtiger Weife darzuftellen vermögen, wie es hier bezüglich
der hannov. Landeskirche gefchehen ift.

Göttingen. K. Knoke.

Kirchen und Sekten der Gegenwart. Unter Mitarbeit ver-
fchiedener evangelifcher Theologen herausgegeben
von Pfr. Ernft Kalb. Zweite erweiterte und ver-
befferte Auflage. Stuttgart, Buchhandlung der Evang.
Gefellfchaft 1907. (XV, 655 S.) gr. 8° M. 5 —;

geb. M. 6 —

Daß diefes Buch einem lebhaft empfundenen Bedürfnis
entgegengekommen ift, zeigt fchon der Umftand,
daß in der kurzen Zeit von 2 Jahren eine Neuauflage
von ihm nötig geworden ift. Die erfte Auflage des Werkes
ift in diefer Zeitung (Jahrg. 1905, S. 678) von einem
Theologen fehr eingehend und anerkennend befprochen.
In der vorliegenden Auflage find die Wünfche diefes
Rezenfenten berückfichtigt. Neu aufgenommen ift der
bisher vermißte Abfchnitt über die fkandinavifch-luthe-
rifchen Kirchen, bearbeitet von Seminardirektor Stocks
in Kropp (Schleswig), in dem anfehaulich und überficht-
lich die Verhältniffe in Schweden, Finnland, Dänemark
und Norwegen gefchildert werden, und desgleichen ein
Abfchnitt über die theologifche und religiöfe Eigenart
Luthers und der lutherifchen Kirche, bearbeitet von
Stadtpfarrer Herzog in Eßlingen und vom Herausgeber.
Völlig neubearbeitet ift der Abfchnitt über die griechifche
Kirche fowie der über den Spiritismus. Umgearbeitet
find die Abfchnitte über die Heilsarmee, den Baptismus
und über Dowie. Der Artikel über die Templer ift dagegen
aus nicht erfichtlichen Gründen gekürzt. Den
Wert und den praktifchen Nutzen, den das Buch für die
Theologen wie für jeden hat, der fich mit kirchlichen
Fragen befchäftigt, fchlage ich ebenfo hoch an wie der
Rezenfent der erften Auflage; im einzelnen jedoch fcheinen
mir beiden Auflagen noch Mängel anzuhaften, die nicht
genügend beachtet find. Dahin gehört vor allem die
unbefriedigende Angabe von Literatur. In einem kurzgefaßten
Nachfchlagebuch wie dem vorliegenden kann
natürlich nicht die gefamte Spezialliteratur bearbeitet
oder auch nur angegeben werden, allein bei jedem Abfchnitte
oder Kapitel muß doch die wichtigfte in Betracht
kommende Literatur, an deren Hand der Lefer fich weiter
orientieren kann, zufammengeftellt fein, was allerdings
eine eingehende Kenntnis diefer Literatur bei den Ver-
faffern vorausfetzt. Sehen wir auf dies Erfordernis
hin das vorliegende Werk an, fo finden wir nur an der
Spitze einzelner Abfchnitte zweckentfprechende Literaturnachweife
, fo z. B. bei den Kapiteln über die Sekten der

ruffifch-orthodoxen Kirche S. 48, über die nordifchen
lutherifchen Kirchen S. 300ff., über den Proteftantismus
in englifch-amerikanifcher Geftalt S. 328, 344, 352ff. ufw.
Zu anderen Abfchnitten ift gar keine Literatur angegeben,
fo z. B. zum Kapitel über die Union, oder doch eine
fehr mangelhafte und willkührliche Auswahl aus diefer, fo
vor allem zu dem Kapitel über die rechtliche Stellung
der evangelifchen Kirche in Deutfchland. Hier ift eine
Menge kleiner Schriften angeführt, die keine allgemeine
Bedeutung haben, eine grundlegende Arbeit, wie Richters
Gefchichte der evangelifchen Kirchenverfaffung, ift dagegen
nicht genannt. Desgleichen nicht Mejers bekannte Darftellung
des Rechtlebens der deutfehen evangelifchen Landeskirchen
, die jedem, auch dem Nichtjuriften, ein treffliches
Bild der heutigen Kirchenverfaffung gibt. Was aber die
größeren Lehrbücher des Kirchenrechts anlangt, fo ift
auch hier die Auswahl eine fehr willkürliche. Da ift das
Kirchenrecht von Kirchenheim, ein Buch von nur geringer
wiffenfchaftlicher Bedeutung genannt, die anerkannten
Lehrbücher aber find nicht erwähnt, nicht einmal
das gerade jungen Theologen fehr zu empfehlende
kleine Lehrbuch des evangelifchen Kirchenrechts von
Köhler, das in der Sammlung von Lehrb. der praktifchen
Theologie erfchienen ift. Was aber Darftellungen des
partikulären Kirchenrechts anlangt, fo hat der Verfaffer
hier nur ein paar unbedeutende Abhandlungen über das
württembergifche Kirchenrecht angeführt. Warum ift
nicht das gute heffifche Kirchenrecht von Köhler genannt
? Warum nicht die größeren Darftellungen des
Rechts der preußifchen Landeskirchen? Leider fcheint
Verfaffer diefe Literatur allerdings gar nicht zu kennen,
denn er hat fie nicht nur dem Lefer nicht angegeben,
fondern, wie aus dem Anfange feiner Literaturnachweifung
hervorgeht, auch felbft nicht einmal ,benützt'. Auf die
zahlreichen Einzelheiten, die mir aufgeftoßen find, einzugehen
, ift hier nicht Raum. Nur wenige Punkte will
ich daher hervorheben, und zwar greife ich fie alle aus
dem in Rede flehenden Kapitel über die rechtliche
Stellung der Kirche heraus, da diefes meines Erachtens
vom Referenten über die erfte Auflage zu Unrecht als
das gelungenfte bezeichnet ift. Bei den Erörterungen
über die Parität ift zwar gefagt, daß Preußen in ihrer
Anerkennung den anderen Staaten vorangegangen ift,
nirgends ift aber das Religionsedikt oder auch nur das
allgemeine Landrecht genannt, die den Grundfatz der
Parität zuerft gefetzlich anerkannt haben, während
mehrere Zitate aus füddeutfehen Verfaffungsurkunden
gebracht werden. S. 177 ift gefagt, daß nur in Mecklenburg
und Lübeck die katholifche Kirche nicht anerkannt
wird. Das ift aber falfch; es gibt noch heute eine ganze
Reihe Kleinftaaten, die nur die evangelifche Kirche als
Landeskirche anerkennen (vgl. mein Ev. Kirchenrecht I,
S. 166 Anm. 1). Seite 180, 186 ift gefagt: ,Die Bildung
neuer Religionsgefellfchaften fleht frei; fie bilden fich nach
Vereinsrecht. Ihren Gottesdienft können fie öffentlich
halten wie die Kirchen'. Diefe Sätze gelten wohl in
Preußen, Württemberg und einigen anderen Staaten,
aber nicht allgemein, z. B. nicht in Bayern, Baden u. a.
S. 187 lieht der Satz: Im Landtag find die Kirchen
durch ein oder mehrere Mitglieder vertreten; er gilt
gleichfalls nur in einzelnen Staaten, nicht allgemein.
Ebendafelbft fpricht Verfaffer davon, daß der moderne
Staat .immer noch ein chriftlicher Staat' ift und führt zum
Beweife dafür an, daß er den Eid beibehalten hat. Dabei
ift aber überfehen, daß der Prozeßeid heute ganz
akonfeffionell gefetzt ift, keinen fpezififch chrifllichen Gehalt
hat, ebenfo wie von Chriflen von Juden und Athe-
iften verlangt wird, alfo mit der chrifllichen Qualifikation
des Staates gar nicht zufammenhängt. In innerem
Zufammenhang mit diefer unrichtigen Beurteilung des
Eides fleht aberwohldie dann im folgenden ausgefprochene
ganz unverftändliche Behauptung, daß ,unfere öffentliche
Rechtspflege auf der Religion ruht'. S. 199 wird uns