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Ausgabe:

1907 Nr. 10

Spalte:

301-302

Autor/Hrsg.:

Pargoire, J. Aug.

Titel/Untertitel:

L‘église byzantine de 527 à 847 1907

Rezensent:

Meyer, Ph. L.

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30i

Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 10.

302

VVortfpiel crcdulitas — crudclitas erinnerte. — Im Anfang
des Kondolenzbriefes S. 193 muß es nicht heißen,
her Tod fei ein opus roboris, fondern ,eine gefürchtete
Sache'. Nett ift der Ausdruck S. 217, die bifchöfliche
Kaffe fei augenblicklich ein Beutel voll tohu vabohu.
Auch über das Auftreten und Verhalten der Araber
kommen lehrreiche Notizen, z. B. S. 251. Gute Regifter
erlauben derartiges zu finden; aber ungefchickt ift, daß
die Bibelzitate nur bei der Überfetzung, nicht auch beim
Texte flehen.

Maulbronn. Eb. Neftle.

Pargoire, J. Aug., L'eglise byzantine de 527 ä 847. (Bi-
bliothcquedel'enseignement del'histoire ecclesiastique.)
Paris, V. Lecoffre 1905. (XX, 405 p.) 8° fr. 3.50
Es ift ein Band aus der ,Bibliothcque de Penseigne-
ment de PHistoire ecclesiastique'. Diefe Sammlung ift
fchon 1897 begonnen und geht in ihrem Urfprung zurück
auf eine Anregung des Papftes Leo XIII. in dem Schreiben
an die Kardinale de Luca, Pitra und Hergenröther. Der
Anregung des Papftes entfprechend gilt als Ziel die
composition d'une Jtistoire ecclesiastique universelle, mise
au point des progres de la critique de notre temps'. Der
Verfaffer, dem die Aufgabe geworden ift, die byzanti-
nifche Gefchichte bis auf das Zeitalter des Photius zu
bearbeiten, ift feiner Gelehrfamkeit nach ohne Frage für
diefelbe fehr geeignet. Er beherrfcht dieOuellen und wohnt
auch an einem Orte, wo ihm manches zugänglich ift, was
andere nie zu fehen bekommen. Denn Konftantinopel ift
noch immer der Mittelpunkt des griechifchen Orients. Doch
zunächft ein Überblick über den Inhalt des Werkes. Es
zerfällt in drei Kapitel. Das erfte fchließt die Gefchichte
vom Regierungsantritt Juftinians (527) bis zur Vernichtung
des Perferreichs (628) ein. Im zweiten werden wir bis an
den Ausbruch der Bilderftreitigkeiten geführt (725). Das
letzte Kapitel Bellt das Zeitalter der Bilderftreitigkeiten
dar. Die Abfchnitte beginnen mit der Schilderung der
äußeren Verhältniffe, foweit folche in Betracht kommen,
dann gehts zu den theologifchen Streitigkeiten. Daran
fchließt fich die Verfaffung, das kirchliche Leben, Liebes-
tätigkeit, Kultus, Kunlt, Literatur. Doch ift hiermit der
Gang nur im allgemeinen gezeichnet. Man möge daraus
aber erkennen, wie univerfell das Buch darfteilt.
Auf 370 Seiten in 12° einen folchen Stoff zu bewältigen,
ift eine Kunft. Wir werdem dem Verfaffer gern die Anerkennung
ausfprechen, daß er nichts Wefentliches über-
fehen hat. Aber es liegt in folchen überfichtlichen Darftellungen
eine Gefahr. Es ift die Gefahr einfeitiger
Darftellung. Die Kürze geftattet häufig nicht, Licht und
Schatten gleichmäßig zu verteilen. So ift doch auch der
Verfaffer diefer Gefahr nicht entgangen. Und, wie mir
fcheint, in wichtigen Punkten. Es fcheint doch, als ob ge-
fhffentlich hervorgehoben würde, wie in dem ganzen
Zeitraum der Primat des Papftes in der orthodoxen Kirche
anerkannt fei. Gewiß ftützt fich Verfaffer dafür auf die
Quellen. Aber es hätte auch hervorgehoben werden
niüffen, daß mindeftens fchon feit den chriftologifchen
Streitigkeiten Orient und Okzident gefchieden war. Nach
des Verfaffers Darfteilung muß nun Photius als einer datierten
, der das Schisma willkürlich herbeigeführt. Aber
er zog doch nur die Konfequenzen von dem, was fchon
beftand. Und zum Andern. In den Bilderftreitigkeiten j
find Leo III. und Konftantin V. und überhaupt die
Bilderfeinde wohl zu fchlecht beurteilt. Man hätte doch
v ünfehen müffen, daß Verfaffer fich wenigftens mit feinem
Landsmann Lombard auseinanderfetzte, der zuletzt (1902)
die Partei der bilderftürmenden Kaifer genommen hat.
I-'egen nach diefer Seite hin Schwächen des Buchs, die
auch als eine gewiffe Voreingenommenheit gedeutet
v/erden können', fo ift die Arbeit des Verfaffers
jur die Schilderung des inneren Lebens der Kirche fehr
lehrreich. Es find zahllofe J'itae sanetorum verarbeitet. 1

Jeder, der fich mit diefer Literatur befchäftigt hat, weiß,
wie große Stoffmengen dort noch unverarbeitet liegen.
Hier hat Verfaffer einen dankenswerten Anfang gemacht.
Namentlich ift diefe Darftellung auch dem Mönchtum zu-
ftatten gekommen. Aber auch für andere Gebiete, wie
Kultus etc. ift hier manches zu lernen.

Hannover. Ph. Meyer.

Boehmer. Prof. Heinrich, Luther im Lichte der neueren
Forfchung. Ein kritifcher Bericht. (Aus Natur und
Geifteswelt. 113. Bändchen.) Leipzig, B. G. Teubner
1906. (156 S.) 8° Geb. M. 1.25

Im Jahre 1905 vor Lehrern und Geiftlichen gehaltene
Vorträge unterbreitet Boehmer in feinem kritifchen Berichte
der Öffentlichkeit. Formell fehr lebendig und gewandt
, werden fie ihre Wirkung auf die Zuhörer nicht
verfehlt haben; wie die Diskuffion fich geftaltete, erfahren
wir leider nicht, in der fcharfen Zufpitzung, die wir noch
kennen lernen werden, hat vermutlich manches zum
Widerfpruch gereizt. In einem erften Abfchnitt behandelt
B. ,das alte Lutherbild und die Entwickelung der Luther-
forfchung'. Hier müffen wir uns zunächft ,mit der Erkenntnis
befreunden, daß wir nicht viele, fondern kein
einzig wirklich gutes und ganz ähnliches Porträt des
Reformators, nicht hunderte, fondern nur ganz wenige
Lutherbilder von der Hand des berühmten Kranach befitzen
' (S. 6.) Kaum beffer foll es mit den literarifchen
Lutherporträts flehen, auch fie find ,nicht im ftrengen
Sinne des Wortes Porträts, fondern Darftellungen eines
Typus. Nur hat man nicht einen, fondern zwei Typen
zu unterfcheiden, einen idealifierenden, bei deffen Ge-
ftaltung die Liebe, und einen karikierenden Typus, bei
deffen Entftehung der Haß als ftiller Mitarbeiter tätig
gewefen ift'. (S. 7) In offenfichtlichem Anfchluß an die
Eckartfche Sammlung: Luther im Urteil berühmter
Männer (1905) werden die beiden Typen in der Gefchichte
aufgewiefen, der des Haffes ift der katholifche. Der
zweite Abfchnitt führt den Titel: .Luthers En Wickelung
zum Reformator bis zu feiner Achtung durch Kirche und
Reich'. Hier wird in Auseinanderfetzung mit Denifle das
Problem: .Luthers Bekehrung' zu löfen gefucht. Auf
Grund der Tatfache, daß in den Randbemerkungen zu
den Sentenzen des Petrus Lombardus Luther einmal
Rom. 1, ic. 17 anführt, dabei verweifend auf die glossa
ordinaria, die die richtige Auslegung Auguftins u. a.
enthielt, andererfeits auf Grund der Äußerung Luthers,
er fei zuerft ,in diefem Turme', d. h. der Turmftube des
Wittenberger Klofters, durch eigenes Nachdenken auf
den richtigen Sinn gekommen, fügt B. (S. 33) ,nicht in
den Sommer des Jahres 1515, fondern fchon in den
Winter des Jahres 1508/09 fallt, wenn diefer Ausdruck
erlaubt ift, die Geburtsftunde der Reformation, und nicht
im Erfurter Auguftinerklofter, fondern in dem längft ver-
fchwundenen Turme des Wittenberger Lutherhaufes
haben wir die Geburtsftätte der welthiftorifchen Bewegung
zu fuchen'. Aber ich glaube kaum, daß diefe Fixierung
der Geburtsftunde angängig ift. Ein Blick auf Luthers
Randbemerkung (W. A. IX, 90), zeigt nur zu deutlich,
daß ihn der Begriff iustitia dei damals gar nicht befchäftigt
hat, wohl aber das: de fide in fidem; für diefes
weift er auf Lyra und die Gloffe und führt dann ver-
fchiedene Auslegungen vor. Hätte er aber gefchwiegen,
wenn ihm damals im Turmftübchen, bei der Vorbereitung
auf die Vorlefung, plötzlich ein folch entfeheidendes
Verftändnis des Begriffes iustitia dei aufgegangen wäre:!
Dreierlei ift möglich: I. entweder die Entfcheidung ift
vorher gefallen, fodaß ihm dem ihm feftflehenden Begriffe
gegenüber keine Randbemerkung mehr nötig fcheint.
2. oder die Entfcheidung fällt fpäter, und Luther hat damals
unbefangen im Anfchluß an die Tradition interpretiert
, ohne aus feinem Begriffe Folgerungen zu ziehen.