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Ausgabe:

1907 Nr. 10

Spalte:

296-298

Autor/Hrsg.:

Bonnassieux, F.-J.

Titel/Untertitel:

Les Évangiles synoptiques de Saint Hilaire de Poitiers 1907

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 10.

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gerichteten Briefe gefchrieben hätte wie Eph. 6 12fr., daß
fie mit folchen Geifiwefen zu ringen hätten (S. 22). Aber
man kann darin eben fo gut eine Beftätigung dafür fehen,
daß Paulus eben Eph. überhaupt nicht gefchrieben hat.
Ewald hält Eph. entfchieden für paulinifch. Schon aus
dem Grunde, weil der von ihm ebenfalls als echt an-
gefehene I. Pt. literarifch von Eph. abhängig ift (S. 28 f.).
Das Auffallende der viel befprochenen Stelle Eph 2 20
fucht er dadurch wegzudeuten, daß er überfetzt (S. 149):
,auf dem Grunde von Apofteln und Propheten1 (nicht !
,der Apoftel1). Dadurch wird der Ausdruck im Munde
des Paulus erträglicher gemacht. Aber wie hätte der
Verfaffer fchreiben follen, wenn er fagen wollte: auf dem
Grunde der Apoftel? Daß von einer unpaulinifchen Über-
fchätzung der Apoftolates hier nicht die Rede fei (S. 150),
mag man zugeben. Aber die zeitliche Entfernung i(t
doch deutlich. Dem Gefühl, daß der Epheferbrief fich
ftiliftifch ,anders lieft als die übrigen Paulusbriefe', hat
auch Ewald fich nicht verfchließen können. Er glaubt
fich durch die Annahme helfen zu können, daß Paulus
diefen Brief anders wie fonft eigenhändig gefchrieben
habe, und zwar in einer Zeit nervöfer Depreffion (S. 49fr.).
Ich hätte nur gern auch eine Erklärung dafür gelefen,
daß Eph. 6 2if fo gut wie buchftäblich gleich lautet mit
Kol. 4 7f.

Man wird es Ewald felbftverftändlich Dank wiffen,
daß er die befonders durch Klöpper und Plaupt begründete
und verbreitete Auffaffung vom Zweck des
Kolofferbriefes einer fcharfen Kritik unterzieht. Er weift j
auf verfchiedenes hin, was mehr als bisher beachtet zu
werden verdient. So z. B., daß die Irrlehrer fich fchwer-
lich die Eingel als Verföhnungsmittler gedacht hätten,
daß man wegen 2 10 und 15 bei ihnen vielmehr Dämonenfurcht
als das vorherrfchende anzunehmen habe. Aber
nun die agyal und sgovöiai überhaupt als böfe dämonifche
Mächte aufzuraffen, fcheint mir doch fehr gewagt. Die
uns Modernen fo nahe liegende fcharfe Scheidung in
gute Engel und Dämonen läßt fich meines Erachtens
bei den antiken Engeln gar nicht fo unbedingt durchführen
. Sie tragen, entfprechend ihrer Herkunft als
Depotenzierungen alter Volksgottheiten, fittlich indifferente
Art und etwas Unheimliches, Dämonifches an fich. —
Auch fonft kann ich nicht fagen, daß Ewalds Beftrei-
tungen der von mir bisher angenommenen Auffaffungen
mich überzeugt hätten. Nicht nur 1 9—13, auch 1 15ff. foll
keine Antithefe gegen Thefen der Irrlehrer enthalten.
Es ift nach Ewald ,überhaupt nicht glaublich, daß die
Irrlehrer wirklich jene Sätze, wonach Chriftus elxmv zov
■Oeov, üigmzözoxoq siaorjq xzioscoq ... ift, befiritten haben
füllten .... Sie kämen dadurch völlig außerhalb alles
chriftlichen Glaubens und Denkens zu flehen' (S. 316).
So meint Ew. wirklich, daß die in diefen Verfen zu Tage
tretende, fagen wir einmal kurz Logoschriftologie von
Anfang an allgemein chriftliche Überzeugung von Chriftus
gewefen fei? Nein, er verfteht fie eben anders; jcgojzozoxoq
xuarjq xzioscoq gilt ihm mit Hofmann nicht von zeitlicher
Priorität, fondern lediglich als Bezeichnung der bevorzugten
Rangftellung (S. 322). ,Philonifche Einfluffe'
(S. 328) weift er ab, — als ob die Hypoftafengedanken
nur auf literarifchem Wege durch Philo in das N. T.
hätten kommen können und nicht vielmehr fozufagen in
der Luft gelegen hätten! Die eigentliche Logosidee wird
weggedeutet. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren
, daß in den Ausführungen über den chriftolo-
gifchen Abfchnitt zuweilen mehr modern pofitive Dog-
matik als hiftorifche Kritik zu Worte kommt. — Etwas
verunglückt fcheint mir die Gefolgfchaft Hofmanns auch
Kol. 4 4f. zu fein, die er mit 2 1-3 zufammenfaßt als
gegen perfönliche Verdächtigungen gerichtet. Das
ztaQaZoyiL'so&cu ev jci&avoloyia fei fo zu denken: ,Man
wies darauf hin, wie der Apoftel von Ort zu Ort eile,
wie er fich bisher noch gar nicht um die phrygifchen
Gemeinden gekümmert habe. Man entfchuldigte dies |

eventuell damit, daß er ja freilich dazu auch nicht die
Zeit haben möge u. dgl., aber item es fei doch ein
Mangel da u. dgl. m.' (S. 361). Aber Paulus, der diefen
Brief nach Ewald von Rom aus fchreibt, ift ja feit Jahren
gefangen! Überhaupt, wie es fcheint, feit Gründung der
Gemeinde von Koloffae höchftens 1 Jahr oder wenig mehr
in Freiheit gewefen! — Für ozorysia zov xoGuov 2 s lehnt
Ewald mit Zahn die neuere Erklärung ,Elementargeifter,
Dämonen' ab und überfetzt wieder ,Anfängerweisheit',
,das Abc der Welt'. Die ü-QrjGxeia zo3v ayylXoiv 2 w faßt
er (ebenfalls mit Hofmann und Zahn) auf als ,engelgleiches
Frommfein1 und fieht darin einen Ausdruck der
Irrlehrer für die Enthaltung von allem finnlichen Wefen.
Die Möglichkeit diefer Erklärung will ich nicht unbedingt
in Abrede ftellen. Wenn er aber (mit Berufung auf
Th. Zahn) andeutet, daß die Behauptungen eines Engelkultus
bei den Juden möglicherweife fämtlich aus Miß-
verftändnis diefer Kolofferftelle fich herleiten (S. 396), fr>
möchte ich dem gegenüber doch hinweifen auf die Zeug-
niffe für jüdifche und chriftliche Engelverehrung, die ich
vor Jahren in meinem ,Michael1 S. 4—12 und 62—91 zu-
fammengeftellt habe. Die Neigung dazu lag näher, und
auch ,Pauli Anfchauung rechnete' ja, wie Ewald anerkennt
(S. 22), ,viel mehr mit diefen Elementen, als dem
modernen Bewußtfein lieb ift'.

Gern will ich bekennen, daß ich von der Sorgfalt
des Verfaffers im Auffuchen der Gedankengänge und
von feiner gründlichen Gelehrfamkeit manches gelernt
habe. Aber eine etwas größere Überfichtlichkeit und
eine weniger ermüdende Darftellung wäre doch vor allem
im Intereffe der Studenten fehr wünfchenswert. So wird
das Buch diefen fchwerlich große Luft zur Exegefe
machen.

Bardewifch (Oldbg.) Wilhelm Lueken.

Bonnassieux, F.-J., Les Evangiles synoptiques de Saint
Hilaire de Poitiers. Etüde et texte. Lyon, E. Vitte
1906. (V, 127 p.) gr. 8°

Die Aufgabe, dem Evangelientext des Hilarius von
Poitiers (f 368) feine Stellung innerhalb der verfchie-
denen Gruppen altlateinifcher Evangelientexte anzu-
weifen, ift lohnend, und der Verfaffer diefer Studie hat
zu dem Zweck fogar handfchriftliche Nachforfchungen
unternommen; aus dem freilich nur verftümmelt erhalteneu
Cod. Lugdun. 381=452 und dem dazu gehörigen Stücke
im Parisinus N. Acq. lat. 1593 hat er die in Zingerles
RezenfiondeshilarianifchenPfalmenkommentars vermißten
Varianten zu Bibelzitaten, foweit fie hierher gehören,
,avec le plus grand soin' beigebracht. Abgefehen von
den Abfchnitten, die über den Stand der Textkritik beim
N. T., insbefondere den altlateinifchen Überfetzungen des
N. T.s, und bei Hilarius orientieren, bietet B. von S. 43—72
eine Sammlung der in den ficheren Schriften des Hilarius
vorkommenden Zitate aus Mt., La, Ma, vergleicht diefe
Texte, oder vielmehr eine hierfür geeignete Auswahl aus
ihnen, mit den Itala-Handfchriften, und ftellt dabei feft,
daß eine auffällige Verwandtfchaft zwifchen Hil. und dem
Codex Usserianus I (r) befteht, daß fonach Hilarius der
fog. irländifchen Gruppe der europäifchen Textüberlieferung
zuzuweifen ift: daß damit die fpezififch
irifche Marke für jene Gruppe zu Fall kommt, verhehlt
er uns nicht; ihr Text wäre der in Mittelgallien um
350 herrfchende gewefen.

Gegen das Ergebnis ift vorläufig weniger einzuwenden
als gegen die Beweisführung. Die für folche Unttr-
fuchungen unentbehrliche Genauigkeit bis ins kleinfte
Detail ift B.s Sache nicht. Schon die Bibliographie, die
er feiner Abhandlung vorausfchickt, erweckt Mißtrauen:
Zingerles Pfalmenkommentar-Ausgabe, deren Titel auch
fonft recht mangelhaft wiedergegeben wird, ift nach ihm
zu Mailand als vol. VII einer nova series erfchienen:
in Wahrheit zu Wien als vol. XXII der einzigen series