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Ausgabe:

1907 Nr. 9

Spalte:

263-265

Autor/Hrsg.:

Appel, Heinrich

Titel/Untertitel:

Die Komposition des äthiopischen Henochbuches 1907

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 9.

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Appel, Lic. theol. Paftor Heinrich, Die Komposition des | zeit betrifft, fo find die fämtlichen hier verarbeiteten
äthiopischen Henochbuches. (Beiträge zur Förderung Quellen jünger als die Hauptmaffe von c. 1—36; für die

chriftlicher Theologie. Herausgegeben von Prof. ■ Quell^n 1 "nd U> ™elc£e die Köni§et "nd Mächtigen be-
_ . „ , , j t> r r% tT- t -x. 7 , kämpfen, kommt die Regierungszeit der den Frommen

D. A. Schlatter und Prof. D. W. Lutgert. Zehnter ! feindlich gefonnenen Söhne Johann Hyrkans in Betracht,
Jahrgang. Drittes Heft.) Gütersloh, C. Bertelsmann aif0 ungefähr das Jahr IOO v. Chr., während die Redak-
1906. (101 S.) 8° M. 1.80

Daß das Buch Henoch kein einheitliches Werk ift,
ift wohl allgemein anerkannt. Der Verf. diefer Studie
geht aber in der Quellenfcheidung viel weiter, als irgend
einer der bisherigen Kritiker.

Das ältefte Stück ift nach ihm c. 1—36. Aber auch
diefes ift nicht ein Werk von einer Hand. In dem ge-
fchichtlichen Abfchnitt über den Fall der Engel c.6—16
durchkreuzen fich zwei Traditionen. Nach der einen be-
fteht die Sünde der Engel darin, daß fie fich die Menfchen-
töchter zu Weibern genommen und mit ihnen Riefen
gezeugt haben, welche die Menfchen töteten, Cap. 7;
91—2; 10 n—15, nach der anderen darin, daß fie die Menfchen
durch den Verrat himmlifcher Geheimniffe zu Sündern
gemacht haben, 81-3; ICH—7; 131-2; 162-4. Von diefen
beiden Traditionen ift die erfte an den Namen des Sem-
jaza, die andere an den des Azazel geknüpft (S. 15f.).
Die Azazelftücke, die von geringerem Umfange find,
find als fpätere Interpolation anzufehen (S. 18 f.). Dem-
felben Interpolator begegnen wir auch in dem Bericht
über Henochs vifionäre Wanderungen durch alle Orter
des Himmels und der Welt überhaupt (c. 17—36). Hier
ift c. 17—19 eine Dublette zu dem folgenden c. 20—36
und mit Rückficht auf diefen umfangreicheren Bericht
gefchrieben, alfo ebenfalls vom Interpolator (S. 20—22).

tion der Quellen vielleicht kurz nach dem Tode des
Herodes anzufetzen ift (S. 78). Chriftliche Beftandteile
enthält das Buch nicht. Der Menfchenfohn von Quelle
I und II hat mit dem chriftlichen nichts zu tun (S. 78).
Der Redaktor des ganzen Stückes c. 37—71 ift vermutlich
identifch mit dem Interpolator von c. 1—36 (S. 76).

Der dritte Hauptteil unferes Henochbuches c. 72—108
zerfällt wieder in mehrere Stücke, die fich nach Inhalt
und Form von einander unterfcheiden: das aftronomifche
Buch c. 72—82, die Traumgefichte c. 83—90, die Lehr-
und Strafreden c. 91 —105, endlich die Stücke c. 106—
107 und c. 108.

Mit dem aftronomifchen Buch c. 72—82 fleht es nach
Appel ähnlich wie mit den Bilderreden: es ift voll innerer
Widerfprüche. Zur Erklärung derfelben genügt nicht
die Annahme, daß eine Grundfchrift interpoliert worden
fei; vielmehr ift das Stück ,in ganz derfelben Weife zu-
flande gekommen' wie die Bilderreden. Mindeftens vier
Quellen find auch hier verarbeitet, welche fämtlich die
phyfikalifchen Geheimniffe behandelten. Von diefen
werden aber auch nur Bruchftücke gegeben (S. 85). Unter
den Quellen ift eine dadurch charakterifiert, daß in ihr
Henoch öfters feinen Sohn Methufalah anredet (76, u.
791. 82 if.) oder den Auftrag erhält, die Offenbarungen
feinem Sohn Methufalah mitzuteilen (81 5). Die fämtlichen
Quellen des aftronomifchen Buches gehören einer älteren

Diefem Interpolator hat die Hauptmaffe von c. 1—36 j Traditionsfchicht an als die der Bilderreden, find aber
fchon als ein Ganzes vorgelegen. In diefem ganzen I jünger als c. I—36 (S. 88).

Stück herrfcht diefelbe theologifche Grundanfchauung. j Das einheitlichfte Stück im ganzen Henochbuch find
Vom Meffias hören wir nichts. Gott ift Richter, die er- j die Traumgefichte c. 83—90. ,Der Grund, weshalb gehoffte
Glückfeligkeit eine diesfeitjge (S. 22f.); Das Stück I rade die Traumvifion fo wenig vom Schlußredaktor gelitten
, ift nicht fchwer anzugeben. In der zweiten Vifion,
welche den überaus größten Teil des Ganzen einnimmt,
wird die Gefchichte des Reiches Gottes unter dem Bilde
von Tieren dargeftellt, und zwar kommen hierbei fo
ziemlich alle bekannten zahmen und wilden Tiere zur
Verwendung. Dadurch aber war die Möglichkeit, die

ift wegen diefes ganz primitiven Charakters feiner Escha
tologie alt, aber doch jünger als Daniel (S. 23 f.).

Viel komplizierter find nach Appel die Quellenver-
hältniffe in den fogenannten Bilderreden c. 37—71. Hier
ftoßen wir faft Kapitel für Kapitel, oft Vers für Vers,
auf Widerfprüche, die fich nicht vereinigen laffen und

darauf hinweifen, daß hier verfchiedene Quellen wirr in- j Vifion nachzuahmen, fo gut wie ausgefchloffen, und fo
einander gefchoben find. Das ganze Stück (c. 37—71) ■ fehlte es dem Redaktor — gewiß zu feinem allergrößten

bildet .ein wüftes Durcheinander' und ift ,leider das Werk
eines oder mehrerer Redaktoren elendeften Kalibers'
(S. 47). Dem Scharffinn des Verfaffers gelingt es aber,
das wüfte Durcheinander ziemlich reinlich zu entwirren.

Bedauern — an Parallelen' (S. 89). Da auch in diefem
Stück Methufalah angeredet wird (83 1. 10. 85 1), fo ift anzunehmen
, daß die Methufalah-Quelle des vorigen Stückes
mit den Traumgefichten zufammen ein Ganzes gebildet

Als Leitfaden dient ihm dabei zunächft ein von Beer ] hat (S. 87. 89). In ihren theologifchen Anfchauungen
ausgefprochener aber nicht weiter verfolgter Gedanke, berühren fich die Traumgefichte zwar mit c. I—36,

Er findet es auffallend, daß der Engel,, der den Henoch
geleitet und ihm alle Geheimniffe zeigt, bald ,der Engel,
der mit mir ging' heißt, bald ,der Engel des Frie

weichen aber doch auch wieder ab, und find darum nicht
von demfelben Verfaffer (S. 89t). Das große Horn, bis
zu welchem die Vifion c/o<>ff. geht, ift Johannes Hyrkan

dens'. Bei näherer Betrachtung zeigt fich, daß damit ; (S. 90). Auf eine Verwandtfchaft mit den Bilderreden

wirklich ein Fingerzeig für die Ausfcheidung zweier
Quellen gegeben ift, welche A. als Quelle I und II bezeichnet
. Aber auf diefe beiden Quellen läßt fich keineswegs
alles Material zurückführen. Als eigenartig fallen
namentlich noch folche Stellen auf, welche fich auf die
Weisheit beziehen; fie flammen aus einer dritten Quelle
(Quelle III oder Weisheitsquelle). Außerdem find aber
mindeftens noch zwei Quellen zu unterfcheiden, eine
kleine Apokalypfe = Quelle IV und die noachifchen
Stücke, die längft von den meiften Forfchern als fremdartige
Beftandteile der Bilderreden erkannt find. Nach

weift nichts hin. ,Vielmehr haben wir die wichtige
Differenz zu konftatieren, daß der Meffias der Traumvifion
nach dem Gericht auftritt, während er nach den
Quellen der Bilderreden beim Gericht gegenwärtig ift'(S.cp).

Die ,Lehr- und Strafreden' c. 91—105 mit ihren endlos
fich wiederholenden Strafandrohungen für die Sünder
und Gottlofen find nach Appel ,in derfelben Weife zu-
ftande gekommen, wie c. 37—71 und 72—82', alfo aus
einer größeren Zahl von Quellen von einem Redaktor
zufammengearbeitet, und zwar ift hier derfelbe Redaktor
tätig gewefen, wie in den früheren Büchern (S. 96). Nach

der ganzen Anlage des Buches ift es jedoch ,nur zu den Nachweifungen Appels S. 90—94 find ,mindeftens
wahrfcheinlich, daß noch viel mehr Quellen darin | fünf Traditionen in unferm Abfchnitt auzuerkennen'
verarbeitet find, als die von uns nachgewiefenen' 1 (S. 94). Eine der Quellen ift, wie c. 911—10 zeigt, identifch
(S. 67 f.). Nachdem A. das jeder Quelle Zugehörige nach- j mit der Methufalah-Quelle, die uns bereits aus c. 72—82
gewiefen hat (S. 48—67), gibt er S. 71 eine Tabelle, ; bekannt ift und die namentlich das umfangreiche Stück
welche recht deutlich zeigt, wie bunt das Gewebe ift, ; c. 83—90 enthalten hat (S. 97). Auch die hier verar-
das der Redaktor hergeftellt hat. — Was die Entftehungs- beiteten Quellen find jünger als c. 1—36. .Alles deutet