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Ausgabe:

1907 Nr. 8

Spalte:

245-247

Titel/Untertitel:

Briefe an Desiderius Erasmus von Rotterdam 1907

Rezensent:

Bossert, Gustav

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245

Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 8.

246

.Neuen Archivs für fächf. Gefchichte' 1905) abfchließend
gehandelt hat, wird bekannt fein. Alles in allem
unterrichtet die mit drei Bildern gefchmückte Biographie
vortrefflich über alles, was das Lutherfche Haus in
weitefiem Umfange betrifft.

Gießen. Köhler.

Briefe an Desiderius Erasmus von Rotterdam. Herausgegeben
von Oberlehr. Prof. Dr. L. K. Enthoven. Mit
1 Lichtdrucktafel. Straßburg, J. H. E. Heitz 1906.
(XIV, 223 S.) 40 M. 10 —

Horawitz hatte beabfichtigt, die reiche Sammlung
von Briefen an Erasmus herauszugeben, welche der
Codex Rehdigcranus 254 der Breslauer Stadtbibliothek
enthält, nachdem er in den Wiener Sitzungsberichten
eine Überficht über 81 diefer Briefe von 1520—36 gegeben
hatte; aber die Arbeit an dem Briefwechfel des
Beatus Rhenanus und dann fein frühzeitiger Tod verhinderte
die Ausfuhrung des Planes, während der verdienft-
volle Erasmusforfcher Max Reich 1904 infolge von
Krankheit von der von ihm beabfichtigten Ausgabe der
Erasmusbriefe abfehen mußte. Jetzt hat Enthoven den
Codex Rehdigeranus durch feine forgfältige, fchön gedruckte
Ausgabe der Forfchung erfchloffen. Er fand in
feiner Vorlage 166 Briefe, von denen 42 von Clericus im
dritten Band der opera Erasmi ganz oder teilweife veröffentlicht
find. Zu 13 derfelben bietet Enthoven bedeutende
und wertvolle Zufätze. 24 weitere Briefe find
anderweitig, teilweife an fehr entlegenen Orten, wie von
Bauch in der ungarifchen Zeitfchrift Törtenelmi Tär zum
Abdruck gebracht; deren Texte ebenfo wie den der
Clericusausgabe hat Enthoven neu verglichen. Unbekannt
waren bisher 100 Briefe, womit jetzt unfer Wiffen ungemein
bereichert ifl. Die Briefe führen uns bald in die
Niederlande, bald nach England, bald nach Burgund,
nach Frankreich, in die Schweiz, nach Italien und in die
flavifchen Länder, und machen uns mit neuen Verehrern
des Erasmus in Deutfchland bekannt, unter denen einer der
intereffanteften Chriftoph Freisleben ift, der kein anderer
ift als jener bedeutende Führer der füddeutfchen Täufer,
den fie Chriftoph von Wien nannten, und der 1528 jene
eindrucksvolle Schrift ,Vom warhafftigen Tauff Joannis,
Chrifti und der Apofteln' unter dem Namen Stoffel Eleu-
therobios fchrieb, welche unter den Täufern fo beliebt
war, daß fie 1550 noch einmal gedruckt wurde. Von
ihm und feinem Bruder Leonhard hat Ref. im Jahrbuch
für Gefch. d. Proteftantismus in Öfterreich 1900, 132 ff.
gehandelt und dort Linz als ihre Heimat nachgewiefen.
Jetzt wiffen wir, daß er fchon 1530 in den Schoß der
alten Kirche zurückgekehrt war und der Schule zu S.
Mauricius in Augsburg vorfland, fo daß fich auch verliehen
läßt, daß er 1539 ein Schaufpiel in Ingolftadt aufführen
laffen konnte. Sehr erfreulich ift das Licht, das
auf den Charakter des Erasmus fällt, wie auf verfchiedene
feiner Freunde und Gegner. Auffallend ängftlich und miß-
trauifch muß fich Erasmus gegenüber von Chriftoph Praus
wegen feines Verhältniffes zu Eppendorf gezeigt haben
(S. 46). Für diejenigen, welche fich gerne mit der Frage
von Luthers Trinkbarkeit befchäftigen, empfiehlt fich die
Berückfichtigung desBedürfniffes eines Erasmus an ftarkem
Burgunderwein, über das wir jetzt Licht empfangen
(S. 183, 208). Zur Charakteristik Ecks vgl. S. 51, wo
Botzheim ihn gloriosissimus omnium theologus nennt, und ,
S. 119, wo Joh. Fabri Erasmus mahnt, fich nicht durch
Ecks Heftigkeit, noch durch feine gloriae ac minae co-
micae einfchüchtern zu laffen. ,Qucm per litteras nuper
sedule admonui, ne sus Mineruam, ac ne te in pulchern-
mis htis laboribus et studio pio ac valde quam Christiano
impcdiret'. Von Fabri aber klagt Botzheim: vult sibi j
blandiri, vult rogari, vult videri et posse et vclle. Sehr j
hübfch ift die Zeichnung der Pfründenjäger (S. 148), die I

Erasmus für einen der ärgften derfelben, Ambr. von
Gumppenberg, entwarf. Ein befonders anziehendes Bild
erhalten wir durch den kaiferlichen Orator in England
Euftach Chapuys von Katharina von Arragonien, der
frommen Dulderin, und ihrem Ende in dem unfreundlichen
, fumpfigen Kimbolton (S. i7off.), wie von Maria von
Ungarn durch ihren Hofprediger Henckel (S. 90). Ein
kleines Idyll entwirft Kon. Peutinger von jenem zweiten
Adventfonntag, da er von feinen Münzftudien fich zu
Tacitus' Hiftorien flüchtete, während feine Gattin Margarete
neben ihm des Erasmus lateinifche Überfetzung
und eine vorreformatorifche deutfche Überfetzung über
Matth. 20 verglich und bemerkte, daß Erasmus v. 22
noch die aus Marci 10, 38 flammenden Worte bot: et
baptismate, quo baptizor, a) baptizari, b) baptizamini, worauf
die Gatten des Erasmus Hieronymusausgabe zu der Stelle
zu Rate zogen und hierauf Origenes und Chryfoftomus
nachfchlugen; aber der Wiffensdurft der gelehrten Frau
ruhte nicht, fie mußte ihre textkritifchen Bedenken Erasmus
felbft mitteilen (S. 11). Intereflant ifl die völlige Ge-
finnungsänderung Stunicas gegen den einft heftig angegriffenen
Basler Gelehrten (S. 109). Den Schwaben muß
das Lob Tübingens als locus tum situs amenitate tum
aeris tempcrie tum etiam rerum copia atque hominum
conversatione commodissimus et iucundissimus erfreuen
(S. 136).

Der Text, den Enthoven bietet, ift zuverläffig, das
beweiit eine Stichprobe durch Vergleichung feines Textes
mit dem, welchen Kalkoff Archiv für Ref.-G. 1906, 77 ff.
von dem durch Clericus nicht abgedruckten Teil des
Briefes Jakob Zieglers gibt. Die Übereinftimmung im
großen ift erfreulich, bei kleinen Abweichungen bietet
K. einzelne beffere Lesarten. Z. B. S. 23 Z. 12 v. u.
mimum E. minimum, Z. 10 v. u. Lovanii, E. Lovonii.
S. 22 Z. 30 obsequentes, E. obsequenter. Dagegen lieft
E. wohl richtig S. 18 Z. 4 ambitiosis{simis), Z. 6 percu-
piam, K. praecapia/n S. 22 Z. 12 absistat, K. obsistat.
Z. 22 aridas, K. avidas. S. 23 Z. 7 v. u. ipsum, K. ipsam.
S. 24 Z. 15 comicum, K. comitum. S. 25 Z. 21 upud aedes,
K. aedes.

Das Bild von den Zähnen, das Joh. Crucius in Löwen
am 28. Jan. 1522 in dem Ausdruck dcntatis chartis braucht,
wird nicht aus Luthers Reichstagsreden flammen, fondern
Luthers ,ohne Zähne', wie des Niederländers chärtae mit
Zähnen werden dem Titel von Erasmus Apologia nihil
habens neque nasi neque dentis neque stomachi neque
unguium, qua respondet duabus invcctivis Ed. Lei. Antv.
Mich. Hillenius 1520 ihren Urfprung verdanken. S. 53 Z. 2
ift Botzheim ganz gut unterrichtet. Im Nov. 1524 weilte
Herzog Ulrich von Württemberg in Zürich und plante die
Wiedereroberung feines Landes, die er durch einen Einfall
im Frühjahr 1525 auszuführen fuchte. Heyd, Ulrich 2, 149,
194. S. 93, Z. 23, 31 ift Tan und Boyon nicht verfchrieben
und ftatt Boyon nicht Noyon zu lefen, das nicht in die
Reiferoute paßt. Gemeint ift Thann im Elfaß, Moyon
bei Luneville, das die Reifenden bei volkstümlicher
dumpfer Ausfprache wie Boyon vernehmen konnten.
Von da ging der Weg nach dem früher bedeutenden Stapelplatz
S. Nicolaus = S.Nicolas au port S. 94 Z. 1. Zu
Melch. Hoffmann S. 146 Anm. 5 durfte neben Knöpfler in
Wetzer u.Weltes Kirchenlexikon 6, 155L der fchöne Art.
Heglers R.-E. 83, 222—227 nicht überfehen werden. S. 190
Z. 1 1. Maldeghem. S. 189 f. ift doch wohl Gallinarius
ftatt Callinarius zu lefen, denn gemeint ift Joh. Henner,
Pfarrer in Breifach. Vierordt, Gefch. der Ref. in Baden
1, 280 Anm. Der Brief wird wohl in das Jahr 1523 fallen,
nachdem Joh. Grieninger die Assertio Heinrichs VIII gedruckt
hatte. Denn er ift doch wohl der Calchographus
Z. 30. Die Antwort Luthers auf Heinrichs Angriff 1522
kennt Gallinarius noch nicht. Zu beachten ift die Bewunderung
, welche er Heinrich zollt, den er den deut-
fchen Fürften und Bifchöfen als befchämendes Beifpiel
vorhält. Noch fei befonders auf den Brief von K. Hedio