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Ausgabe:

1907

Spalte:

239-244

Autor/Hrsg.:

Ney, Julius (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Die Appellation und Protestation der evangelischen Stände auf dem Reichstage zu Speier 1529 1907

Rezensent:

Köhler, Walther

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Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 3.

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fich befchränkend auf das, was das eigentlich Charakteri-
ftifche ift, hat L. um diefe beiden Angelpunkte: Ablaß-
ftreit — Wormfer Reichstag die ganze Gefchichte des
erften Stadiums gruppiert, und auch in den beiden
Kapiteln, welche den getarnten Stoff feit der Rückkehr
von der Wartburg", bis zum Augsburger Religionsfrieden
umfaffen, find es nur die bekannten Hauptpunkte, welche
markant hervortreten. Man wird es bedauern, daß der
gewiegte Beurteiler, wie es fcheint infolge von Rückfichten
auf den Umfang, nicht in der Lage gewefen ift, dem, was
unter der Überfläche vor fleh ging, näher nachzugehen —
die treibenden Momente hat er doch kurz herausgeftellt
in den Kapiteln 6 und 8, dort für die Organifation des
Kirchenwefens, die neue Form des Gottesdienftes und
das fittliche Leben, hier in einer vortrefflichen Darlegung
über ,die religiöfen Prinzipien, welche die Reformation
hervorbrachten'. Es wird da die alte Theorie befeitigt,
daß die erwachte Kritik den Anftoß gegeben habe, und
es werden der Reihe nach die religiöfen Faktoren —
allgemeines Prieftertum, Rechtfertigung aus dem Glauben,
Schriftprinzip, perfönliche Stellung des Gläubigen zu
Chriflus und neuer Kirchenbegriff — in ihrer produktiven
Kraft vorgeführt. Zwilchen die beiden Kapitel ift noch
als 7. gefetzt: ,Die Lutherifche Reformation außerhalb
Deutfchlands' — genauer würde der Titel lauten: Die
Begründung Lutherifchen Kirchentums außerhalb Deutfchlands
, da nur Skandinavien behandelt wird, in dem
letzteres aufgerichtet wurde, nicht aber von dem fo be-
deutfamen Einfluß gehandelt wird, den die deutfehe Reformation
auch in faft allen übrigen Ländern ausgeübt
hat. Der Verf. Hellt in Ausficht, daß mit diefem der
zweite Band es zu tun haben wird. Und wenn er zugleich
(S. VIII der Vorrede) verfpricht, dort von den
Strömungen zu handeln, deren Wurzeln rückwärts in
dem Boden des Mittelalters zu fuchen find, fo hoffen
wir, daß er auch Anlaß nehme, die Frage zu prüfen, die
mit fo großem Eclat durch Troeltfch aufgerollt worden
ift, und bei deren Behandlung man die Beteiligung eines
Mannes von fo gewiegtem Urteil wie L. nur willkommen
heißen wird.

Königsberg. Benrath.

Luthers Sermo de poenitentia 1518. Herausgegeben von
Studieninfpektor Lic. Ernft Fr. Fifcher. (37 S.) M. — 80

Die Appellation und Proteltation der evangeiilchen Stände auf

dem Reichstage zu Speier 1529. Herausgegeben von
Oberkonfiftorialrat D. Jul. Ney. (96 S. mit 1 Fak-
fimile-Tafel.) 8° M. 1.80

(= Quellenfchriften zur Gefchichte des Proteftantismus.
Zum Gebrauch in akademifchen Übungen in Verbindung
mit anderen Fachgenoffen herausgegeben von J.
Kunze und C. Stange. 4. und 5. Heft.) Leipzig, A.
Deichert, Nachf. 1906.
Hunzinger, Lic. Dr. A. W., Lutherltudien. Erltes Heft und
Zweites Heft, 1. Abteilung. Leipzig, A. Deichert,
Nachf. 1906. gr. 8° M. 4.85

I. Luthers Neuplatonismus in der Pfalmenvorlefung von 1513 —
1516. (X, III S.) M. 2.25. — 2. Das Furchtproblem in der katho-
lifchen Lehre von Auguftin bis Luther. (IV, 127 S.) M. 2.60.

Als viertes Heft der Stange-Kunzefchen Quellen-
fammlung bietet Lic. Ernft Friedrich Fifcher Materialien
zur alterten Bußlehre Luthers, gruppiert um den sermo
de poenitentia von 1518, der, auf dem Titel allein angeführt
, im Texte an erfter Stelle fleht, während die übrigen
Stücke als ,Beilagen' figurieren, obwohl fie faft die Hälfte
ausmachen. Geboten werden Luthers Brief an Staupitz
vom 30. Mai 1518, ein Stück aus dem Abfchnitt de
poemtentia der Leipziger Disputation, aus den Refolutionen
zu derfelben, aus adversus exsecrabilem antichristi bullam,

aus assertio omnium articulorum per bullam Leonis X

......damnatorum, aus confutatio Lutheriana rationis

Latomianae, aus de captivitate bdbylonica, aus den Refolutionen
zu den 95 Thefen, aus dem sermo de indulgen-
tiis 1516, aus dem sermo de circumeisione et iustitia fidei,
aus decem praeeepta 1518, aus dem erften sermo de pas-
sione Christi 1518, aus dem sermo de digna praeparatione
cordis pro suseipiendo sacramento eucharistiae 1518, aus
,wider die Antinomer' 1539, aus dem Galaterbriefkom-
mentar 1519 — die Auswahl ift an fich vortrefflich, nur
ift mir ein Motiv für die bunte Durcheinanderwürfelung
der Reihenfolge nicht erfichtlich geworden, ftrenge Einhaltung
der Chronologie war geboten. An Druckfehlern
habe ich mir notiert: S. 13 Z. 14 gehört ein Komma
hinter alia, desgl. S. 16 Z. 7 hinter praestantius. S. 18
Z. 18 lies fomicator. S. 19 Z. 22 confessus aut, S. 20
Z. 16 gehört ein Komma hinter contritos, S. 25 Z. 14
lies eum; ebda Z. 31 ift das Komma hinter poenae zu
ftreichen und S. 26 Z. 1 origine (kleines o!) zu lefen;
S. 27 Z. 17 lies fiat; S. 30 Z. 10 lies dum ftatt dem;
ebda Z. 22 ift hinter coneuti entweder ein Punkt oder ein
Semikolon zu fetzen. S. 32 Z. 13 fehlt hinter fit ein
Komma, desgl. S. 33 Z. 1 v. u. hinter sciens; S. 35 Z. 21
lies cognitio. Sehr erwünfeht und leicht einzurichten
wären Zeilenzähler am Rande, ferner wird, wie im erften
Hefte der Sammlung, auch Angabe der Zitate vermißt.
Für den Text der Leipziger Disputation hätte die Ausgabe
von Seitz (1903) benutzt werden müffen.

Im Gegenfatz zu Stange im erften Hefte, ganz dem
Wunfche unferer Kritik entfprechend, ift Fifcher in den
Erläuterungen äußerft fparfam; die Studenten, für die
die Sammlung primo loco benimmt ift, follen an der
Lektüre zu arbeiten haben. Die Probleme entrollt F.
in einer gut gefchriebenen Einleitung über die Forfchun-
gen zu Luthers Bußlehre, fchließt dabei allerdings fchon
mit der 1900 erfchienenen Schrift Galleys ab. Sein eigenes
Urteil hält F. — mit Recht — fern. Hier ein folches zu
geben, kann untere Aufgabe nicht fein, nur andeuten
möchte ich, daß die von Ritfehl und Herrmann vertretene
Auffaffung einer doppelten Periode in Luthers Bußlehre
— die eine bedingt in der Ableitung der Buße aus der
Liebe zum Guten, die andere aus den Schrecken des Ge-
fetzes — vor den Quellen nicht beliehen kann. Die angeblichen
Entwickelungsftufen gehen von Anfang an nebeneinander
her und find auch miteinander verknüpft. Luthers

! Grundprinzip ift: poenitentiam nullius esse momenti nisi
in fide et caritate fieret (S. 28 Z. 13). Dazu bedarf , es
der contritio {contritio coepit vocari vera poenitentia inferior
(S. 13 Z. 8). Sis ergo certus, simul dum homo
conteritur, simul et gratia infunditur et in medio terrore
diligit justitiam, si vere poenitet. .. Probavi (bei Fifcher
Druckfehler: probarf) enim saepius infusionem gratiae
fieri cum magna animi coneussione. Üm aber die Er-
fchütterung anzubahnen, ift das Gefetz dienlich. Lex
enim introduxit et nos obruit peccato, per cognitionem, quo

fecit, ut ab Mo liberari peteremus et gratiam suspiraremus
(S. 31). Von da aus kann Luther fchon 1520 fchreiben:
Admitto sane crassos Mos induratos impios, qui nondum
conscientias habent, terroribus Ulis sicut servos indomitos
urgeri ad poenitentiam, sicut magis tratus gladio
coercet sceleratos (S. 29). Immer aber hat das Gefetz
nur pädagogifche Bedeutung, als Hinleitung auf die poenitentia
interior, keine felbftändige: at qui sua vel legis
solius virtute poenitet, coneutitur quidem, sed fingit odium

j peccati, quia stat sententia: virtus peccati lex (S. 30). Lex
peccatum cognoscere facit, sed Christus per fidem sanat et
in gratiam dei reducit (S. 31). Und wenn Ritfehl und
feine Nachfolger die poenitentia ex amore iustitiae als bahnbrechende
Meinung Luthers werteten, fo hat die ausgezeichnete
, fogleich zu befprechende Abhandlung Hunzingers
gezeigt, daß Luthers Sprachgebrauch wie Inhalt
der Bußlehre fich von Auguftin und der Scholaftik thetifch
wie antithetifch die Probleme haben ftellen laffen. —