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Ausgabe:

1907 Nr. 8

Spalte:

236-237

Autor/Hrsg.:

Hellmann , S.

Titel/Untertitel:

Sedulius Scottus. I. Sedulius Scottus, Liber de rectoribus Christianis. II. Das Kollektaneum des Sedulius Scottus in dem Kodex Cusanus C 14. III. Sedulius und Pelagius 1907

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 8.

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Volles Lob verdienen, wenn man den durch die
Natur diefer ,Texte' gegebenen Rahmen berückfichtigt,
aus der Einleitung die §§ 6 und 7, Gefchichte des Textes
und Bibliographie; gegen die vorangehenden Abfchnitte
hätte ich mehr einzuwenden. § 2 ,über einige Punkte
in der Lehre des Chryf., die durch de sacerd. beleuchtet
werden' hat für den Nichtanglikaner kein Intereffe, § 3
,andere alte Abhandlungen über Paftoraltheologie', worin
Gregor von Nazianz mit der oratio de fuga den Anfang
und Bernhard von Clairvaux den Schluß machen, mag für
Studierende nützlich fein. § 4 über den Stil von de
sacerd.' enthält ein par wertvolle Bemerkungen, auch eine
fchüchterne Kritik (S. XXXIII n. 1): hier hätte aber offen
gefagt werden follen, daß der Dialog als folcher gänzlich
mißlungen ift. Nicht bloß im Ton wird die Kunft in ,de
sacerd.' oft zur gefchraubten Künftelei; die ganze Situation,
die der Dialog vorausfetzt, ift unnatürlich, eine unglückliche
Erfindung. Jener Bafilius, der durch eine pia fraus
feines Freundes Chryfoftomus die Ordination empfangen
haben foll, während Chryfoftomus fich ihr beharrlich entzieht
, hat von diefem Gefpräche keinenfalls etwas zu
verantworten; ich meine fogar, er hat nie exiftiert. N.
identifiziert ihn wieder einmal, bloß auf den Namen hin,
mit dem für 381 bezeugten Bifchof Bafilius von Raphanea
in Syria; aber die fyrifche Überlieferung der Akten von
Konftantinopel, die der lateinifchen mindeftens gleichwertig
ift, nennt jenen Bifchof Bafilinus, und eine grie-
chifche Überlieferung exiftiert nicht. — Für die Abfaffungs-
zeit glaubt N. in § 1 ein neues, entfcheidendes Indicium
entdeckt zu haben. In einer feiner Ufia-Predigten bricht
Chryf. nämlich die Darftellung der Superiorität des Prie-
ftertums vor dem Königtum mit dem Verfprechen ab,
über die hohe Würde der csqcoövvt] werde er ein andermal
handeln. Da diefe Predigt nicht vor 386 gehalten
fein könne, dürfe auch die Abfaffungszeit von de sacerd.
nur zwifchen 386 und 390 verlegt werden, am wahrfchein-
lichften ins Jahr 387. Hier ift anzuerkennen, daß das Werk
nicht wohl ein Jugend werk fein kann; es enthält doch j
Erlebtes, nicht bloß Erdachtes. Die Berührungen zwifchen
jener Predigt und unferm Traktat, die N. auch in
einzelnen Ausdrücken nachweift, fallen weniger ins Gewicht
, da Chryf. ein glänzendes Gedächtnis hatte und oft
genug bei ähnlichem Anlaß ähnliche Schriftworte und
Argumente gebraucht. Das pfychologifche Motiv, das
S. XIV herangezogen wird, der neu ordinierte Priefter
Chryfoftomus werde am ftärkften das Bedürfnis empfunden
haben, feine ehemalige Flucht vor dem Priefteramt
zu rechtfertigen, verfagt m. E. völlig, da auch die leifefte
Andeutung davon fehlt, daß der Geflohene in fpäterer
Zeit, reifer geworden, (ich vielleicht anders entfcheideh
werde. Vor allem aber bedünkt es mich wunderlich,
daß Chryf. auf der Kanzel für ein noch nicht ganz
fertiges Buch von ihm foll Reklame gemacht haben. Mit
feinem hv tttncp xaiQcö önXcböopzv kündigt er für einen
der nächften Sonntage eine Predigt über die Größe des
Prieftertums an, nicht für den buchhändlerifchen Markt ein
rhetorifierendes Lehrbuch der Paftoraltheologie; und diefe
Predigt kann er gerade fo gut gehalten (oder auch bloß
zu halten beabfichtigt) haben, wenn das Lehrbuch längft
gefchrieben war, wie wenn ihn deffen Konzeption gerade
innerlich befchäftigte, doch auch, wenn er an folch ein
Buch noch nie gedacht hatte.

Da die äußeren Zeugniffe über die Zeit der Ab-
faffung von de sacerdotio wertlos find und Chryf. felber
eben nichts darüber verrät, könnte lediglich genaue Beobachtung
der Entwicklung des Stils bei Chryf. uns zu
einer ficheren Zeitbeftimmung führen; durch feine gediegenen
Ausgabe des Textes hat Nairn diefe Ausficht
erheblich verbeffert.

Marburg i. H. Ad. Jülicher.

Saint Ennodius, Eveque de Pavie, Oeuvres completes.

Tome premier. Lettres. Texte latin et traduction

francaise par l'Abbd S. Leglise. Paris, A. Picard &

Fils 1906. (IV, 583 p.) gr. 8° fr. 7.50

Wer Veranlaffung gehabt hat, die Schriften des
Magnus Felix Ennodius (Diakon in Mailand, dann Bifchof
von Pavia, geft. 521) zu lefen, wird es bedauert haben, daß
eine gute Überfetzung bisher fehlte. Einzelnes war überfetzt
; aber foviel ich weiß die Briefe noch nicht. Man
braucht viel Zeit, die Briefe zu verftehen; in den fchwül-
ftigen, gezierten, manierierten Stil kann man fich ohne
intenfive Arbeit nicht finden. Man wird das für eine
Zeit verftehen, die es für eine Schande hielt, einfach und
natürlich zu fprechen und zu fchreiben. Je trauriger es
mit der politifchen Herrfchaft des Lateinertums ausfah,
um fo größere Worte gebrauchten die Lateiner. Zu
ihnen gehört Ennodius. Die Zeit, die man verwenden
muß, um feine Briefe in der Originalfprache zu lefen und
zu verftehen, lohnt kaum der äfthetifche und hiftorifche
Gewinn, den man von ihrer Lektüre hat. Darum ift die
Überfetzung, die Leglife veröffentlicht, mit Freude zu
begrüßen. L^glife hat fich durch Arbeiten über Ennodius
fchon bekannt gemacht. Soweit ich die Überfetzung
habe nachprüfen können, ift fie ihm gelungen. Sie bietet
befondere Schwierigkeiten; man darf hier nicht wörtlich
überfetzen. Doch fcheint mir Leglife in der freien
Wiedergabe zu weit gegangen zu fein. Er fchließt fich,
auch in der Anordnung der Briefe, an an die im Wiener
Corpus gebotene Ausgabe von Härtel, ohne doch die
Vogelfche Ausgabe in den Monumenta Germaniae zu
vernachläffigen. Sehr dankenswert ift, daß auch der
Originaltext mit abgedruckt wird. In der Einleitung gibt
L. einen Überblick über Leben und Werke des Ennodius;
charakterifiert etwas zu wohlwollend feine literarifche
Arbeit und feine öffentliche und private Tätigkeit. Wir
erhalten die nötigen Auskünfte zum Verftändnis der
Briefe: der poftalifche Verkehr der damaligen Zeit, die
Tätigkeit eines Rechtsanwalts, die Hofchargen etc. werden
erläutert; überall finden fich Zeugniffe für das Sinken
des Römertums. Das Schlußurteil über Ennodius gibt
Leglife in dem Anhang, indem er den gegen Enn. erhobenen
Vorwurf, als wäre er in der Gnadenlehre Semi-
pelagianer, zurückweift (p. 541): La foi de saint Ennodius
est pure comme sa vie, pure comme sa fidelite au Souve-
rain Pontife et son devouement a FEgiise Romaine dont
il mourut le glorieux confesseur. Ich finde Leglifes Urteil
über Ennodius viel zu günftig. Das beigegebene ausführliche
Regifter macht die Überfetzung erft recht brauchbar
. Die Ausftattung, die die Firma Picard und Sohn
in Paris gegeben hat, ift ausgezeichnet; ich glaube nicht,
daß man derartige Bücher in Deutfchland fo gut aus-
ftatten würde.

Kiel. G. Ficker.

Hellmann, Priv.-Doz. S., Sedulius Scottus. L Sedulius
Scottus, Liber de rectoribus Christianis. II. Das Kol-
lektaneum des Sedulius Scottus in dem Kodex Cufanus
C 14. III. Sedulius und Pelagius. (Quellen und Unter-
fuchungen zur lateinifchen Philologie des Mittelalters,
herausgegeben von Ludwig Traube. Erfter Band,
erftes Heft.) München, C. H. Beckfche Verlagsbuchhandlung
1906. (XV, 203 S.) Lex. 8° M. 8.50

Das neue Unternehmen, das mit diefer Publikation
eingeleitet wird, ift mit großer Freude zu begrüßen. Es
war fchon oft zu beklagen, daß philologifch ganz durchgebildete
Arbeiter nur in geringer Anzahl (ich der La-
tinität des Mittelalters annahmen. Jedermann weiß, wie
dringend ihre Arbeit gewünfcht wird, und welch große
und dankbare Aufgaben ihrer harren. Im Vorwort bezeichnet
L. Traube es als Aufgabe der lateinifchen