Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1907 Nr. 7

Spalte:

204-209

Autor/Hrsg.:

Friedensburg, Walter (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Archiv für Reformationsgeschichte. Texte und Untersuchungen. Nr. 9 - 12, 3. Jahrg 1907

Rezensent:

Bossert, Gustav

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4

Download Scan:

PDF

203

Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 7.

204

ftanden fie doch noch auf dem Boden des Judentums
und vertraten namentlich in der Ablehnung des Aufer-
ftehungsglaubens einfach den alt-israelitifchen Standpunkt,
den auch ein fo frommer Mann wie Jefus Sirach teilt.
Solche Männer durchweg als Feinde zu behandeln, lag
für den gleichfalls mit weltlicher Bildung liebäugelnden
Jofephus wahrlich keine Nötigung vor.

Ebenfo fchwach begründet ift die Kritik der Nachricht
, daß die Hohenpriefter und Fürffen Johannes Hyr-
kan, Ariftobul und Alexander Jannäus der fadducäifchen
Richtung angehört haben. Das foll unmöglich fein, weil
fie bei Unterwerfung der Nachbarvölker diefe be-
fchneiden ließen! Als ob nicht auch die Sadducäer doch
Juden gewefen wären, die das Gefetz fefthielten! Und
wie trefflich paßt die ganze weltliche Art diefer Fürften
zu ihrem Sadducäismus.

Wie unmöglich die radikale Kritik Hölfchers ift, zeigen
am beften die Verfuche S. 76 und 90, die Entftehung
der angeblifch legendarifchen Nachrichten über die fad-
ducäifche Richtung der Hohenpriefter vor dem J. 70 fowie
der letzten Hasmonäer zu erklären. Für den Unbefangenen
liegt damit die Unhaltbarkeit der ganzen Po-
fition klar zu Tage. Denn eine Sache, die zu fo verzweifelten
Mitteln greifen muß, ift eine verlorene.

Die feit Geiger herrfchende Anficht hat demnach,
wie mir fcheint, die Feuerprobe glänzend beftanden.
Man darf nur nicht meinen, daß, 'vornehme Priefterfchaft'
und ,Sadducäer' identifche Begriffe feien. Der Sadducäismus
ift die Geiftesrichtung, die hauptfächlich durch die j
vornehme Priefterfchaft vertreten ift. Das fchließt nicht
aus, daß es in den Kreifen der letzteren auch Pharifäer
gegeben hat, und es fchließt ferner nicht aus, daß es
auch außerhalb der vornehmen Priefterfchaft Sadducäer
gegeben hat. Mit diefen Einfchränkungen aber bewährt
fich die Geigerfche Auffaffung durchaus an dem Befunde
der Quellen. Es ift auch fehr unwahrfcheinlich, daß durch
die makkabäifche Bewegung alle Angehörigen des Za- |
dokidengefchlechtes aus Jerufalem verdrängt worden 1
feien (wie H. S. 103 f. annimmt). Es hat damals eine
Säuberung von den extremften helleniftifchen Elementen
ftattgefunden. Aber zu einer völligen Verdrängung diefer
mächtigen Ariftokratie waren die hasmonäifchen Emporkömmlinge
fchwerlich ftark genug. Und der alte
Sauerteig hat dann in feiner Weife fortgewirkt.

Göttingen. E. Schürer.

Souter, Prof. Alexander, The Commentary of Pelagius on
the Epistles of Paul. The Problem of its Restoration.
[From the Proceedings of the British Academy. Vol. IL]
London, H. Frowde (1907). (31 p.) gr. 8° s. 1.6

Das Problem des Pelagius-Kommentars zu den Paulusbriefen
, eins der verzwickteften aus der lateinifchen
Literaturgefchichte, hat in den letzten Jahren eine Anzahl
von Gelehrten befchäftigt. Man fah das Gewölk
langfam weichen. H. Zimmer in feinem ,Pelagius in Irland
' 1901 hatte uns zuerft um ein großes Stück vorwärts
gebracht; weitergeführt, ergänzt und berichtigt
haben feine Forfchung C. H. Turner, Jonrn. of Th. St.
1902 — ein leider von Haußleiter im Primafius-Artikel
der PRE überfehener Auffatz —, E. Riggenbach 1905, S.
Hellmann 1906, A. Souter [fourn. of Th. St. 1906, July).

In dem vorliegenden Heft befchreibt Souter den
auch an fich lehrreichen Gang diefer Entwickelung, in der
jeder neue Schritt durch Erfchließung neuer Quellen veranlaßt
worden ift. Das lokalpatriotifche Intereffe an dem
älteften erhaltenen Werk eines britifch-irifchen Autors
braucht bei uns nicht angerufen zu werden, um die Auf-
merkfamkeit auf Souters Skizze zu lenken. Sie wird aber
zu einem bedeutfamen Ereignis, weil fie Mitteilungen macht,
durch welche jenes Problem gelöft erfcheint. Souter hat in
Karlsruhe einen codex Augiensis (Nr. CXIX) kollationiert,

I und in ihm die aus dem 9. Jahrh. flammende Abfchrift eines
I vielleicht fchon bei Lebzeiten des Pelagius gefchriebenen
Kodex erkannt, der den reinen (unverfälfchten) Text des
vor 410 von Pelagius verfaßten Kommentar zu 13 Paulusbriefen
enthält. Der Kommentar ift dort ohne Verfaffer-
namen, und nach S. hat er niemals den Namen feines
Urhebers getragen. Aber wie Auguftin einft davon hörte,
| daß jener neue Kommentar ein Werk des Pelagius fei,
i fo hat fich diefe Kunde auch anderweit erhalten, und
daher kommt es, daß in einer Reihe frühmittelalterlicher
Sammelhandfchriften, z.B. dem Book of Armagh, einige
Pelagius-Prologe unter dem Namen des Pelagius auftauchen
, erft recht (als Randgloffen zu Bibelhandfchriften)
Partikeln von feiner Auslegung. Um 530 aber hat aus dem
herrenlos umlaufenden Kommentar des Pelagius ein Unbekannter
die uns als (pfeudo-)hieronymianifcher Kommentar
bekannte, durch einen ad hoc fingierten Brief des
Hieronymus an Heliodorus befchützte Auslegung der
Paulusbriefe hergeftellt, feiten durch Streichung, vorzüglich
durch Auffüllung aus anderen Quellen bei den Hauptbriefen
: dem bisher gedruckten Pfeudo-Hieronymus fah
der im Münchener Kodex 13038 am beften erhaltene Ur-
typus diefer Form keineswegs in allem ähnlich. Endlich
hat Caffiodor durch entfchloffene Befeitigung des pelagi-
anifchen Giftes und durch auguftinifche Einfchiebfel den
Ps. Hieronymus wieder in den fog. Pseudo-Primasius teils
felber verwandelt (um 550), teils feinen Mönchen zur Verwandlung
überliefert. Auch Vermifchungen diefer drei
Typen find nicht ausgeblieben: Abt Smaragdus (um 800)
foll noch den echten Pelagius wie den anonymen Pfeudo-
Primafius — beide als P{elagius) — zitieren, daneben den
Ps. Hieronymus als Hlieronymus).

S. 25—31 druckt S. die intereffanteften Stücke aus
feinen neu erfchloffenen Handfchriften ab, darunter auch
zwei längere, fonft noch nicht identifizierte Zitate aus
anderen Pelagiusfchriften; eine Veröffentlichung feines
gefamten Materials ftellt er für die Texts and Studies
in Ausficht. Mit Spannung fehe ich diefer Publikation
entgegen, faft mit noch größerer als der für das CSEL
verheißenen Herausgabe der Ambrofiafter-Hinterlaffen-
fchaft. Einzelne Zweifel, die mir geblieben find, halte
ich zurück, da fie durch das Erfcheinen der gereinigten,
vollffändigen oder ganz neuen Texte ohne weiteres erledigt
werden könnten. Wenn erft die Urform, der echte
,Pelagius', der dann auch beinahe der ältefte Zeuge für
den Vulgata-Text der Paulusbriefe wäre, wieder in unferm
Befitz ift, fo werden wir die Umbildungen, wie Ps. Hier.
und Ps. Primas., leichter faffen und an ihrem richtigen
Platz in der Gefchichte unterbringen können: über diefen
ficheren Erfolg unermüdlichen Spürfinnes und forgfältiger
Umfchau in den alten Bibliotheken wie in der neueften
gelehrten Literatur empfinden wir dankbare Freude.

Marburg i. H. Ad. Jülicher.

Archiv fürReformationsgefchichte. Texte und Unterfuchungen.
In Verbindung mit dem Verein für Reformationsge-
fchichte herausgegeben von Walter Friedensburg.
Nr. 9—12. 3. Jahrgang. 4 Hefte. Leipzig, M. Hein-
fius Nachf. gr. 8°

Inhalt. Heft 1: Drews, P., Der Bericht des Mykonius über
die Vifitation des Amtes Tenneberg im März 1526. — Roth, F.,
Zur Gefchichte des Reichstages zu Regensburg im Jahre 1541 II. —
Kalkoff, P., Römifche Urteile über Luther und Erasmus im Jahre
1521. — Clemen, Otto, Bugenhagens Trauformulare. — Mitteilungen.
(104 S.) 1905. M. 4.25.

Heft 2: Wotfchke, Theodor, Stanislaus Lutomirski. Ein Beitrag
zur polnifchen Reformationsgefchichte. — Clemen, Otto, Beiträge
zur fächfifchen Reformationsgefchichte I—IV. — Heinemannn,
Otto, Die Himmelflädter Klofterordnung von 1513.— Mitteilungen:
Kalkoff, P., L. Paftors ,Leo X' vom Standpunkte der Reformationsgefchichte
. (104 S.) 1906. M. 4.55.