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Ausgabe:

1907

Spalte:

196-197

Autor/Hrsg.:

Hoffmann, Richard Adolf

Titel/Untertitel:

Das Marcusevangelium und seine Quellen 1907

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 7.

196

lehrreicher als die knappe Klarheit des Apparats in den
Gefchichtsbüchern (man vgl. z. B. S. 250 mit 454!).

DaßN. im Apparat fich nicht auf Verzeichnung ortho-
graphifchen Quisquilien einläßt, wird ebenfo Lob finden,
wie die Zugabe der eufebianifchen Kanones am inneren
Rande der Evangelien und fpäter die der Kapitulation in
F und A; auch der Brief des Hieronymus an Damafus
gehört in diefe Ausgabe hinein. Von dem ,Laodicener-
brief (S. XIX) kann man das zwar nicht behaupten; er
hat weder zu Hieronymus' N.T. noch zu dem der Päpfte
von 1590 und 92 gehört; aber es fchadet nichts, wenn
er Vielen zugänglich gemacht wird.

Beim Lefen des N. T. latine wundert man fich über
Verfchiedenheiten im Druck; S. 322 und 381 z. B. bleibt
viel Raum unbenutzt, anderswo, z. B. S. 442 f., find die
Zeilen auf der ganzen Seite oder ftückweife dichter aneinander
gedrängt; ein Teil des Apparats zu S. 449 wird
erft auf S. 450 untergebracht. Solche Einrichtung ift der
griechifch-lateinifchen Ausgabe zuliebe getroffen worden;
die Seiten des Lateiners entfprechen dort immer genau
denen des Griechen aus der fechfcen Ausgabe, und weil
jener Grieche ohne Rückficht auf einen lateinifchen
Seitenläufer hergeftellt worden war, ließen fich kleine Un-
ftimmigkeiten nicht vermeiden. Da die Stereotypplatten
der beiden Einzelausgaben für die griechifch-lateinifche
Ausgabe verwendet werden follten, war auch eine weitere
Unbequemlichkeit unvermeidlich; imgraeo-latmutn tragen
nicht bloß je zwei Seiten diefelbe Ziffer, fondern der
lateinifche Text liegt immer abwechfelnd hinter und
vor dem Griechifchen.

Vielleicht gewöhnt man fich mit der Zeit an diefen
Wechfel; mir ift nur eins an der Doppelausgabe geradezu
peinlich: nämlich daß die biblifchen Parallelffellen, die
N. am äußeren Rande verzeichnet (und deren Zahl
leider immer mehr anfchwillt, fo daß ein Unterfcheiden
von Wichtigem und Unbedeutendem fich gar nicht mehr
lohnt), genau ebenfo den Lateiner wie den Griechen begleiten
, und alfo ganz zwecklos der fchöne Rand auch
der zweiten Seite mit Zahlenzeichen bedeckt, dem Gebrauch
für Nachträge und fonftige Notizen entzogen wird.
Daß nicht alle Parallelffellen, die man dem griechifchen
Texte des N.T.s beigibt, zu dem Vulgata-Text paffen,
will ich gegen diefen Marginalien-Enthusiasmus nicht einmal
geltend machen.

Die unermüdliche Kontrole, die N. immer wieder an
feinen Drucken übt, hat felbft die befcheidene Zahl von
Fehlern, die ich in der fünften Ausgabe des Griechen
bemerkt hatte, befeitigt. Was etwa noch zu beffern
bliebe, ift von der Art wie Lc 6, 38, wo der Teilffrich
vor öiöots fehlt (f. den Lateiner vor Date); oder Lc
1, 79, wo das hiiupävcu nicht fett gedruckt fein follte.
Im Lateiner haben einige Stichproben mir die erwartete
Tadellofigkeit beffätigt; nur zu S. 413 bemerke ich, daß
ich die letzte Note im Apparat fchlechterdings nicht
verliehe, und daß ein Irrtum vorliegt, wenn zu Rom. 11, 3
notiert wird Dominum F. Der Fuldenfis hat nicht ftatt
Domino in v. 3 dies Dominum, fondern ftatt Deum in
v. 2; die Anmerkung gehört alfo zwifchen die zu prac-
scivit und die zu adversum. Im Vorwort zum Lateiner
dürfte wohl auf S. VI Z. 23 das I. Theff. VI in ,IV und
auf S. V Z. 9 das alterae editionis in altcrius verbeffert
werden. Als eine Merkwürdigkeit verzeichne ich, daß N.
auf S. III die lateinifche Überfetzung des Hebräerbriefs
nur fchüchtern (i'idetur!) einer anderen Hand als die der
Paulusbriefe zuweift, während er ohne Bedenken für jedes
der vier Evangelien einen befonderen Überfetzer fordert
und den Beweis in fechs Zeilen erbringt. Gelegentlich einer
Vulgata-Ausgabe wird fich diefe Frage nach den vor-
hieronymianifchen Lateinern kaum erledigen laffen, doch
hört man gern auch an folchem Ort die Meinung eines
vorurteilslofen Sachverständigen.

Gern vermißte ich hingegen in derfelben Vorrede ein
paar Äußerungen nörgelnder Kleinmeifterei. Neftles Aus-

' gaben des Neuen Testaments gehören zu den edelsten Er-
zeugniffen der popularifierenden Theologie unferes Zeit-

I alters; fie bringen die Ergebniffe strenger wiffenfchaft-

i licher Arbeit auf einem der wichtigsten Gebiete unferer
Disziplin ganz rein an das Publikum heran. In folch
einem monumentalen Werke berührt es eigen, wenn
(S. XII) der Lefer auf die Kommentare und biblifchen
Einleitungen von Protestanten und Katholiken behufs
Information über die versio latina verwiefen, zugleich
aber abgefchreckt wird durch die Zenfur: sed caute his

fontibus derivatis utendum est. S. X erregt fich N.
darüber, daß nicht bloß Theologen, fondern fogar Philologen
(eine für die Theologen in Sachen der Hieronymus-
Kritik höchst fchmeichelhafte Klimax) Vulgata-Lesarten, die
durch keine Handfchrift bezeugt find, dem Hieronymus
zufchreiben, — wofür er als Beleg dieOrthographie von
Arimathaea im Tliesaurus Linguae Latinac beibringt —,
und S. XII ermahnt er feierlich die Protestanten zum Gebrauch
der Latina, fchon weil Luthers Überfetzung fonft

1 nicht zutreffend beurteilt werden könne! Selbst wenn der
Einfluß der Vulgata auf Luther und auf neuere Überfetzer
bis zu Kurt Stage — da befindet fich N. aber
in einem Irrtum! — weit größer wäre als ers gewefen
ift, brauchten wir die ernfte Befchäftigung mit der
Vulgata nicht für folche Nebenfachen zu empfehlen.
Die Vulgata ift einer der wertvollsten Zeugen für den
Urtext der neuteftamentlichen Bücher, fie ift über
1000 Jahre hin die Bibel der abendländifchen Chriften-

; heit gewefen; noch heut vermittelt allein fie dem
größten Teil der Katholiken ihr Wiffen um das Evangelium
und die Urkirche: das macht fie für jeden von

1 uns zu einem Dokument von allergrößter Bedeutung.

j Die jetzt befchaffte Gewißheit, daß der vermeintlich au-
thentifche Text der päpstlichen Ausgabe von 1592 beim

| N.T. in über 200 Fällen von jeder guten handfchrift-

I liehen Unterlage verlaffen ift, vielleicht in drei Fällen
fo, daß es fich um etwas mehr als um Rechtfehreibung
oder den Ausdruck handelt, fällt m. E. gar nicht ins
Gewicht gegenüber dem Befitz eines Vulgata-Textes, wie
ihn zu geben auch das Ideal der Päpfte um 1590 war.
Laffen wir uns diefe Freude und die dankbare Stimmung
nicht verderben!

Marburg i. H. Ad. Jülicher.

Hoff mann, Priv.-Doc.Lic. Rieh. Ad., Das Marcusevangelium
und feine Quellen. Ein Beitrag zur Löfung der Ur-
marcusfrage. Königsberg i. Pr., Thomas & Oppermann
1904. (IX, 644 S.) gr. 8» M. 16 —

Nachdem ich über vorliegendes Werk im ,Theologi-
fchen Jahresbericht'(1904, S. 133!. 141. 157f.) ausführlicher
berichtet und geurteilt habe, bleibt mir an diefem Ort,
wo eine Anzeige von anderer Hand beabfichtigt war,
aber nicht zur Ausführung gebracht werden konnte, nur
übrig, neben Anerkennung mancher richtig beobachteter
Einzelzüge im Verfahren des Evangelisten (z. B. S. 253.
511 f. 521. 527f.) meinen grundfätzlichen Diffenfus gegenüber
dem Ganzen zu bekennen. Wie bei Blaß, Refch,
Neftle, Gregory, Wellhaufen, Pfleiderer, Zimmermann, fo
lernen wir auch hier ein aramäifches Urevangelium kennen,
welches aber dem auch mit eigenem Material arbeitenden
und überkommenes mit lebhafteren Farben wiedergebenden
Evangelisten (S. 13) fchon in zwei Formen vorgelegen
haben foll, deren kürzere und ältere (U1) für Judenchriften
beftimmt, die erweiterte (U 2) dagegen heidenfreundlicher
gefärbt gewefen ift und Berührungen mit paulinifcher
Sprache und Denkweife zeigt (hierüber gut Gefagtes S. 13.
176. 180. 643; nach S. 180. 564 ift Mk. paulinifcher als Lk.).
Da jene ältefte, wahrfcheinlich von dem Petrusfchüler
t Markus herrührende, Schrift (S. 643) hauptfächlich in
I unterem Mt, die fpätere Form dagegen, in welcher unglaublicher
Weife Jefu Wundertätigkeit eher Abminderung