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Ausgabe:

1907 Nr. 6

Spalte:

187-188

Autor/Hrsg.:

Störring, Gustav

Titel/Untertitel:

Ethische Grundfragen 1907

Rezensent:

Ritschl, Otto

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i87

Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 6.

188

S. 289 die Unterfcheidung zwifchen articuli fundamentales
und non fundamentales als unftatthaft verwirft und
dennoch auf S. 359 das apoftolifche Symbol als eine
kurze Zufammenfaffung der Fundamentaldogmen der
chriftlichen Offenbarung bezeichnet.

Bonn. O. Ritfchl.

Störring, Prof. Dr. Guftav, Ethifche Grundfragen. I. Teil:
Darflellung und kritifche Würdigung der moralphilo-
fophifchen Syfteme der Gegenwart. Eigenes Moralprinzip
. II. Teil: Rechtfertigung der Forderung fitt-
lichen Lebens. Leipzig, W. Engelmann 1906. (VII,
324 S.) gr. 8" M. 6 —

Um fein eigenes Moralprinzip aufzuftellen, fetzt fich
der Verf. zunächß mit den moralphilofophifchen Syftemen
der Gegenwart auseinander, deren Kritik er ftets eine ausführliche
Darfteilung vorausfchickt. Er teilt fie in meta-
phyfifche und nicht metaphyfifche ein und diefe wieder,
je nachdem aus ihren nicht abnormen Effekten entweder
die Förderung von gewiffen pfychifchen Funktionen oder
die einer Entwickelung der Perfönlichkeit oder die ge-
wiffer Produkte pfychifcher Funktionen refultiert. Dann
behandelt er als Repräfentanten eines vorwiegend induktiven
Eudämonismus John Stuart Mill und Hume, eines
vorwiegend deduktiven Eudämonismus Herbert Spencer,
der energiffifchen Ethik Paulfen, der Perfönlichkeitsethik
Lipps, und einer Ethik der objektiv geiftigen Erzeugniffe j
Wundt. Als Vertreter der fehr viel kürzer abgemachten
metaphyfifchen Moralfyfteme läßt er dagegen nur Schopenhauer
und Eduard v. Hartmann auftreten. Auf annähernde
Vollftändigkeit kann diefe Auswahl natürlich
keinen Anfpruch machen. Hume, Schopenhauer und
Mill ferner können nur cum grano salis als Moralphilo-
fophen der ,Gegenwart' angefehen werden. Und da
Spencer und Hartmann auch bereits verdorben find,
bleiben von lebenden Ethikern der ,Gegenwart' glücklich
noch drei, Wundt, Paulfen und Lipps, übrig.

In einem Moralprinzip foll nun nach der Auffaffung
des Verf.s ,eine Charakteriftik des Sittlichen in einer Weife
gegeben werden, daß daraus eine Stufenordnung der
fittlichen Werte abzuleiten iß.'. Diefem Programm ent-
fpricht denn auch das von dem Verf. entwickelte Moralprinzip
, das in fehr abflrakten Wendungen und künßlichen
Umschreibungen dasjenige, was der Verf. an den von ihm
zuvor erörterten moralphilofophifchen Standpunkten für
berechtigt hält, unter dem Gefichtspunkt von niederen
und von höheren Klaffen des fittlichen Wollens zufam-
menfaßt, und das auf S. 268—270 in einer Reihe fchwer-
fälliger Formeln zum Ausdruck gebracht iß.

Der zweite Teil des Buchs befaßt fich zunächß mit
einer Widerlegung der antiken ethifchen Skeptiker, dann
der neueren Moralfkeptiker, als welche der als Verfafler
feiner Bienenfabel bekannte Mandeville und außerdem
Stirner und Nietzfche aufgeführt werden. Das pofitive
Ergebnis des Verf.s felbß befagt, daß die in feinem ,Moralprinzip
bezeichneten fittlichen Wertfehätzungen mit
der Entwickelung allgemeiner emotioneller und intellektueller
Funktionen des Individuums gefetzt find', und
daß,diefe Wertfehätzungen bleibende Gültigkeit' haben, Solange
die allgemeinen pfychifchen Funktionen des Menfchen
diefelben bleiben'. Andererfeits find .höhere Formen
intellektueller und emotioneller Entwickelung, wie fie fich
befonders in der Betätigung in Kunß und Wiffenfchaft
darßellen, .... abhängig vom Gemeinfchaftsleben der
Menfchen — und fetzen fo foziale, fittliche Eigenfchaften
des Menfchen, wenigßens in gewiffem Umfange, voraus.
Will man alfo eine höhere Entwickelung des Individuums,
lo muß man auch ethifche Entwickelung wollen' (S. 323 f.).
Der Verf. fchreibt mit hohem Selbßbewußtfein. Was er
jedoch fachlich bietet, iß trotz des anfpruchsvollen Apparats
, mit dem es in Szene gefetzt wird, m. E. recht

dürftig. Beachtenswert iß die gefchickte Definition des
Begriffes Motiv als ,Zuordnung einer Triebfeder des
Wollens zu einem unmittelbaren Zweck' (S. 3).

Bonn. O. Ritfchl.

Ernft, Dr. Johann, Über die Notwendigkeit der guten Meinung.

Unterfuchungen über die Gottesliebe als Prinzip der
Sittlichkeit und Verdienßlichkeit. (Straßburger theologifche
Studien. Herausgegeben von Albert Ehr-
hard und Eugen Müller. Siebter Band. Zweites und
drittes Heft.) Freiburg i. B., Herder 1905. (XI, 247 S.)
gr. 8° M. 5 —

Da diefe Schrift des Miesbacher Klerikers nach ihrem
Untertitel Unterfuchungen über die Gottesliebe als Prinzip
der Sittlichkeit bringt, geht fie auch den proteßantifchen
Ethiker an, nicht nur den Dogmenhißoriker und Symboliker
. Den Begriff des Haupttitels kennt ja die Kon-
feffionskunde fogar als römifchen Katechismusbegriff.
Übrigens handelt z. B. auch die fiebzigfle .Geißliche Er-
quickßunde' Heinrich Müllers ,Von der guten Meinung'.
Die Katechismen definieren fie in der Lehre von den
guten Werken etwa als die Abficht, Gott zu dienen und
ihn zu ehren, und empfehlen es als fehr heilfam, fie
öfters am Tage und befonders jeden Morgen etwa mit
dem Gebetswort zu erwecken: ,0 mein Gott, ich opfere
dir auf alle meine Gedanken, Worte und Werkel' Führt
das dazu, daß es als Sünde gilt, nicht alle Tage oder nicht
öfters am Tage eine gute Meinung zu machen, fo fieht
Ernß hierin ,ein Stück Janfenismus' (S. 244) und tritt folch
übertriebener Betonung der fittlichen Notwendigkeit der
Erweckung der guten Meinung entgegen. Ja fogar zur
Verdienßlichkeit der fittlich guten Werke iß nach
Ernßs Theorie die explizite Liebe Gottes, wie fie in
der guten Meinung fich betätigt, nicht notwendige Vorbedingung
, fondern nur Steigerungsmittel. Es dürfe natürlich
nicht etwa nie angewendet werden, fondern von
Zeit zu Zeit, wiederholt im Leben fei die Erweckung
eines Aktes expliziter Gottesliebe, d. i. der guten
Meinung, wirklich notwendig, pflichtgemäß, noch ganz
abgefehen von der Verpflichtung hierzu in fchwerer Ver-
fuchung, nach Eintritt des Vernunftgebrauchs, in fchwerer
Todesgefahr.

Die explizite, felbßändig betätigte Gottesliebe überragt
nach Ernß zwar graduell die implizite, in jedem
fittlich guten Werke implicite betätigte Caritas, iß aber
wefentlich, fpezififch eins mit ihr, mit ihr, die im Gerechten
die Seele aller Sittlichkeit und Prinzip und Wurzel
aller Verdienßlichkeit für das ewige Leben iß. Deshalb
find alle guten Werke des Gerechtfertigten eo ipso und
abgefehen von einer befondern guten Meinung auf Gott
hingeordnet und dadurch verdienßlich.

Ernßs Theorie betrifft aber auch den amor virtualis
implicitus Dei im nicht gerechtfertigten Menfchen. Ihr
Fundament bildet der Satz, daß die Seele alles feines
fittlichen Tuns die wenn auch meifl nur implizite, natürliche
Liebe Gottes iß. Die Sittlichkeit habe eine
innere, notwendige Beziehung zu Gott; diefe Beziehung
fei ein wefentliches und darum abfolut notwendiges,
aber auch in jedem fittlich guten Akte co ipso, gemäß
feiner Natur gegebenes Element zur Konßituierung
der Sittlichkeit.

Ernßs Schrift geht, was den Dogmenhiftoriker interef-
fiert, ausführlich auf Augußins und Thomas' Lehren über
die Gottesliebe als Prinzip der Sittlichkeit und Verdienßlichkeit
ein. Ihr Studium iß überhaupt geeignet, das Ver-
ßändnis desaugußinifchenDogmenkreifes(auch feinernach-
tridentinifchen Gefchichte) zu vertiefen. Und ich wiederhole
, daß der proteflantifche Ethiker fie nicht etwa auf
Termini wie ,gute Meinung' und ,Verdienßlichkeit' hin übergehen
darf, als ob darin nicht auch unter dorniger römi-
fcher Scholaßik gut Chrißliches über Prinzip und Moti-