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Ausgabe:

1906 Nr. 6

Spalte:

167-170

Autor/Hrsg.:

Profumo, Attilio

Titel/Untertitel:

Le fonti ed i tempi dello incendio Neroniano. I. - V 1906

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 6.

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opfert, fondern fogar richtig auf die in der Heidenwelt zer-
ftreuten Gotteskinder II, 52 gedeutet, die dann freilich
wieder antecipando fo heißen muffen. Aber Johannes
vergißt niemals feine griechifchen Lefer und verfäumt
keine Gelegenheit, ihnen ihren Anteil an der Erfüllung
der göttlichen Verheißungen zu Gemüte zu führen' (S. 155).
Richtig wird auch 8, 41 die Beziehung auf Sara verworfen
, vielmehr wollen dort die Juden unter den normalen
Bedingungen des theokratifchen Verhältniffes erzeugt fein.
Am ficherften geht diefer Exeget immer da, wo fein eigener
Dogmatismus mit der johanneifchen Metaphyfik zufam-
mentrifft. So in der Erklärung des syw rf/11 nach Deut. 32, 39,
Jef. 43, 10 und oft Zwei Exkurfe gelten dem Todestag
(Synoptiker werden nach Johannes zurechtgelegt) und der
Auferftehung (leiblich und handgreiflich zu verftehen).
Das Anhangskapitel ift noch zu Lebzeiten des Apoftels
auf Grund feiner mündlichen Mitteilungen von Freunden
in feiner unmittelbaren Umgebung gefchrieben. Befon-
ders in diefen letztgenannten Abfchnitten hat der
Herausgeber vieles getan, um den etwas veralteten Text
der Vorlage in erkennbare Berührung mit der gegenwärtigen
Literatur zu bringen.

Straßburg i. E. H. Holtzmann.

Profumo, Attilio, Le fonti ed i tempi dello incendio Neroniano.

I. L'autore dell' incendio. II. La persecuzione cri-
stiana. III. Analisi critica dell' incendio. IV. Appunti
critici sulla documentazione. V. Un po' di epilogo
generale. Roma, Tipografi del Senato MDCCCCV.
(XI, 748 p.) 4° L. 20 —

Eine wiffenfchaftliche Debatte über den römifchen
Stadtbrand und die damit zufammenhängende Chriften-
verfolgung ift in Italien eingeleitet worden durch Gaetano
Negri in feinem 1899 erfchienenen Buch, ,Neroed il Cristi-
anesimo'. Gleich im folgenden Jahr veröffentlichte Carlo
Pascal feine 1903 fchon in 3. Auflage erfchienene Schrift
,Uincendio di Roma e i primi Cristiani', in welcher gegen
Negri und die herkömmliche Auffaffung der Tacitusftelle
die Chriften als die wirklichen und auch geftändigen (,qui
fatebanttir') Brandftifter hingeftellt wurden. Diefelbe
Thefe verfocht Ottolenghi 1904 in der ,Nuova Antologia'.
Dagegen erfolgten lebhafte Protefte, unter welchen die
Kundgebungen von Coen (1900), Semeria (1901), Boiffier
(1902) und Allard (1904) hervorzuheben find. Aber alle
dem betreffenden Gegenftande vorher und nachher, dort
und anderswo gewidmeten Monographien treten zurück
hinter vorliegendem Riefenwerk, deffen Anblick ganz
geeignet erfcheint, jedem Rezenfenten und Kritiker Schrecken
zu bereiten. Ein fchwerer Quartband von 760Seiten!
Und doch verfichert der Verf. beftändig, Gegenftände,
die nicht ftreng zur Sache gehören, nur flüchtig berührt
zu haben. Dabei fchreibt er einen nicht eben fehr durchfichtigen
Stil. Seine Sätze werden ftets von Zwifchen-
bemerkungen durch- oder auch ganz abgebrochen, um
viele Zeilen weiter unten wieder aufgenommen zu werden.
Aber die vielen Wiederholungen erleichtern doch auch
dem deutfchen Lefer feine Aufgabe wefentlich. Als
folcher kann der Unterzeichnete, wenn er nicht ein Buch
fchreiben foll, nur knappen Bericht über den wefentlichen
Inhalt des auch im buchftäblichen Sinn gewichtigen Werkes
erftatten, zumal foweit diefer den Theologen in-
tereffiert. Weit mehr in Anfpruch genommen werden
durch des Verf.s Arbeit freilich der Philologe, der Ro-
manift und der Hiftoriker. Auch der befte Kenner der
Kaiferzeit wird in diefem oder jenem Winkel des weit-
fchichtigen Buches noch auf einiges Neue und Überra-
fchende flößen. An Aufforderung zum Widerfpruch
dürfte es freilich noch weniger fehlen. Wenigftens auf
Andeutungen in diefer Richtung wird fich die folgende
Überficht der auf fünf Kapitel verteilten Ergebniffe ein-
laffen. Zuvor fei nur noch der glänzenden Ausftattung

gedacht, zumal der Beigaben einer trefflichen Photographie
der Nerobüfte im Museo nationale delle terme, eines
Dutzend Neromünzen und eines Plans der Neronifchen
Befitzungen auf dem Palatin und Esquilin.

Der erfte der vier Teile gilt der Frage nach dem
Urheber des Brandes. Tacitus läßt die Wahl: forte an
dolo principis incertum. Schon Pascal hatte daraus aui
zwei fich widerfprechende Quellenberichte gefchloffen.
Unterem Verf. zufolge weift der Zufall auf die offizielle
Darfteilung, die perfönliche Schuld auf das Urteil der
mit dem Ereignis gleichzeitigen Schriftfteller. Als folche
erfcheinen Fabius Rufticus als Vertreter der julifchen
Oppofition, Plinius Secundus der Altere als unabhängiger,
aber überzeugter Freund des Prinzipates und Cluvius
Rufus als perfönlich mit Nero vertraut gewefener ,primus
inter pares', d. h. der von Tacitus bevorzugte und auch
in der Tat wertvollfte unter feinen Gewährsmännern. Namentlich
ihm, der in Nero einen abnorm konfluierten Kopf
gefehen hat, folgend hat Tacitus das treffende Prädikat
,incredibilium cupitor' formuliert (Ann. 1542). Was er
dagegen aus dem Eigenen dazu tut, muß unterem Verf.
zufolge fehr mit Vorficht und Mißtrauen aufgenommen
werden. Zu diefem Eigenen gehört nämlich auch die
mißverftändliche Verbindung der Berichte über den
Stadtbrand und die Chriftenverfolgung, während Suetonius
beides auseinanderhält. Nicht minder anerkennend als
von diefem fpricht der Verf. vom Quellenwert des Plinius,
deffen fchriftftellerifche Vorzüge er eingehend befchreibt
und würdigt. Den Theologen mag dabei u. a. die plini-
anifche Faffung des Wunderbegriffes intereffieren (S. 88 f.
116). Im übrigen aber ift es durchaus der mit der Ge-
fchichte des Altertums vertraute Hiftoriker, für den diefe
erften 200 Seiten mit ihren methodologifchen Unter-
fuchungen (,metodo obiettivo', und fall Seite für Seite
ertönt das Schlagwort passativo') und ihrer umftändlich
und genau bis ins Einzelfte durchgeführten Abwägung
der Glaubwürdigkeit von 3 Zeugen erfter (die genannten),
3 zweiter (Caffius Dio kommt dazu) und 6 dritter Ordnung
(Eufebius bis Hieronymus) gefchrieben find, und dem auch
die Nachprüfung überlaffen werden muß. Nur fei beiläufig
auf die Streiflichter aufmerkfam gemacht, welche
bei diefer Behandlung und auch in fpäteren Stücken auf
einzelne Epifoden der Neronifchen Zeit fallen, wie die
Pifonifche Verfchwörung, mit welcher unferem Verf. zufolge
ja auch der Chriftenprozeß zeitlich noch näher, als
mit dem Stadtbrand zufammenhängen foll.

Der zweite, nicht viel kürzere Teil (S. 195—352)
gilt der Chriftenverfolgung und bringt zunächft auf einem
halben Hundert Seiten eine, denjuriften angehende, Unter-
fuchung über den für die Zeit bis mindeftens 200 in Betracht
kommenden Stand der Gefetzgebung. Denn durchweg
fei nach Beftimmungen des beftehenden Strafrechts
gegen die Chriften eingefchritten worden, niemals aber
ein neuer, eigens gegen fie gerichteter Akt der Gefetzgebung
vorgekommen. Unter Zurückftellung der Momm-
fenfchen Theorie der coercitio konftruiert der Verf. ein
ungefchriebenes, aber gefetzesgleiche Wirkung übendes
pnstitulum Tiberianum', das 62 von Nero wieder in Kraft
gefetzt und 64 fpeziell gegen die Chriften in Anwendung
gebracht worden fei. Mit feiner Zufammenfaffung der
drei Anklagen auf fkandalöfen Luxus, sacrilcgium und
majestas (private, religiöfe und politifche Verbrechen)
habe es die rechtliche Grundlage für alle folgenden
Chriftenprozeffe abgegeben; auch das Edikt Trajans
habe daran nichts geändert. Dem Kern der Frage bringt
uns jedenfalls näher ein abermals ein halbes Hundert
Seiten füllender Abfchnitt, der fpeziell die Kritik des
Philologen herausfordert, da es fich um die richtige
Auslegung des taciteifchen Berichtes, fpeziell um das
viel umftrittene ,/atebantur' handelt. Wie jetzt trotz
Hermann Schiller (1872 und 1877) und Pascal faft allgemein
gefchieht (vgl. zuletzt auch Knopf, Das nach-
apoftolifche Zeitalter 1905, S. 84), fo bezieht es auch unfer