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Ausgabe:

1906 Nr. 6

Spalte:

163-166

Autor/Hrsg.:

Friedländer, M.

Titel/Untertitel:

Die religiösen Bewegungen innerhalb des Judentums im Zeitalter Jesu 1906

Rezensent:

Schürer, Emil

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163

Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 6.

164

bürg, Sardinia, Siberia (Sibirien), Sicily, Silesia, South
Africa, South Carolina, South and Central America, Spain
(XI, 484—502), Sweden, Switzerland, Syria. Noch lebhafter
wird der Eindruck von der Verbreitung der Juden
über die ganze Welt, wenn wir die bunte Reihe der Städte,
die hier behandelt find, an uns vorüberziehen laffen. Wir
nennen nur die bekannteren: Pisa, Pittsburg, Plymouth,
Poltava, Portsmouth, Potsdam, Prag, Presburg, Ratisbon,
Ravenna, Riga, Riva di Trento, Rome (X, 444—467),
Rothenburg, Rustschuk, Safed, Saint Louis, Saint Petersburg
, Salonica, Samarcand, San Francisco, Saragossa,
Sarajevo, Saratof Segovia, Sevilla, Shangai, Singapore,
Smyrna, Soest, Speyer, Strassburg, Stuttgart, Sydney,
Syracuse, Szegedin.

Am dankenswerteren ift der große Reichtum
biographifcher Artikel. Wer fich über die Lebensdaten
und die Leiftungen jüdifcher Männer aller Zeiten
und Länder unterrichten will, wird kaum je vergebens
in diefem Werke Belehrung fuchen. Und die Geifter der
Verdorbenen und der Lebenden werden nicht leicht fich
über Nicht-Berückfichtigung beklagen können. Es ift
nicht möglich, auch nur die Namhafteren hervorzuheben.
Es fei nur bemerkt, daß auch alle diejenigen aufgenommen
find, deren Verdienfte nicht auf dem Gebiete der
jüdifchen Literatur liegen und nicht in der Pflege jüdifcher
Intereffen beftehen, wie z.B. derSchaufpieler Poffart,
die Altertumsforfcher Salomon Reinach und Theodor
Reinach, der Schriftfteller Julius Rodenberg, die ganze
Familie Rothfchild, der Komponift und Klavier-Virtuos
Rubinftein, der Sozialdemokrat Singer, die Buchdruckerfamilie
Soncino, der Schaufpieler Sonnenthal, der Philofoph
Spinoza, der Sprachforscher Steinthal. — Auch chriftliche
Männer, die fich freundlich oder feindlich mit dem Judentum
und der jüdifchen Literatur befchäftigt haben, find
reichlich berückfichtigt: Graf Pückler, Rabe, Reland,
Rembrandt, Renan, Reuchlin, Rofli, Schönerer, Schudt,
Seiden, Siegfried, Stade, Stöcker, Strack. Unter den
Konvertiten find hervorzuheben der Reichstags- und
Reichsgerichts-Präfident Simfon und der Jurift Stahl, aus
älterer Zeit: Sixtus Senenfis.

Nicht nur ein Schmuck, fondern ein wertvolles Mittel
derVeranfchaulichung find die zahlreichen Illuftrationen.
Fakfimiles von alten Drucken oder Handfchriften finden
fich z. B. bei den Artikeln Psalms (X, 243: Polyglottendruck
, Genua 1516, X, 247: Pfalmen mit Kimchis Kommentar
1487, X, 249: Midrafch Tehillim, Prag 1613),
Rashi (X, 329: erfte Ausgabe von Rafchis Pentateuch-
Kommentar 1475, das ältefte datierte hebräifche Buch),
Sirach (XI, 394: Handfchrift des hebräifchen Textes),
Slaves (XI, 405: hebräifche Urkunde über eineSklaven-Frei-
laffung datiert Cairo 1087), Spinoza (XI, 521: Fakfimile eines
Briefes 1665). Eine Sammlung von Buchdruckerzeichen
bietet der Artikel Printers Marks (X, 202 f.). Thora-Rollen
mit Behältern in fehr mannigfaltiger Ausftattung: Scroti
0/ the Law (XI, 126—134); eine Sammlung jüdifcher
Ringe: Rings (X, 429), hebräifche Siegel: Seal (XI, 136),
Gebetsriemen: Phylacteries (X, 21—28), Pofaunen: Shofar
(XI, 303), Tongefäße aus vorchriftlicher Zeit, z. T. von
hohem Alter, welche bei den englifchen Ausgrabungen
im Süden Paläftinas zutage gekommen find: Pottery (X,
149J. Das jüdifche Schächten veranfchaulichen Abbildungen
im Artikel Shehitah (XI, 253—256). Im Artikel
Rembrandt werden acht Juden-Porträts von Rembrandts
Meifterhand in guter Nachbildung geboten (X, 372 f.).
Den Titel von Bd. XI ziert ein fchönes Porträt Spinozas.

Göttingen. E. Schür er.

Friedländer, M., Die religiöfen Bewegungen innerhalb des
Judentums im Zeitalter Jelu. Berlin, G. Reimer 1905.
(XXX, 380 S.) gr. 8» M. 7 —

Diefe umfangreiche Arbeit ift bereits die fiebente, mit
welcher uns der unermüdlich tätige Verfaffer feit 1897

befchenkt hat. Die früheren find: I. Das Judentum in der
vorchriftlichen griechifchen Welt, 1897. 2. Der vorchrift-
liche jüdifche Gnoftizismus, 1898. 3. Der Antichrift in
den vorchriftlichen jüdifchen Quellen, 1901. 4. The Fauline
' emancipation front the law aproduct of theprc-christian
jewish Diaspora VJewish Quarterly Review vol. XIV, 1902,
p. 265—302). 5. Gefchichte der jüdifchen Apologetik als
Vorgefchichte des Chriftentums, 1903. 6. Griechifche
Philofophie im Alten Teftament, 1904. Sie alle drehen
fich um einen Grundgedanken und haben den Zweck,
diefen nach verfchiedenen Seiten hin auszubauen und
zu empfehlen. Diefer Grundgedanke ift am deutlichften
in dem Titel der englifchen Abhandlung ausgefprochen:
es hat fchon in vorchriftlicher Zeit ein gefetzesfreies
Judentum gegeben, und das Chriftentum ift nur die
geradlinige Fortfetzung desfelben. Der Verfaffer vertritt
diefen Gedanken mit großer innerer Wärme. Es ift ihm
eine heilige Sache, das Judentum frei zu machen von
der Enge und Äußerlichkeit alles gefetzlichen Wefens,
und es wieder zurückzuführen zu der freien und innerlichen
Frömmigkeit, welche durch die Propheten und
die Weisheitsbücher des Alten Teftamentes begründet
worden ift und in dem Hellenismus der Diafpora ihre
höchfte Blüte erreicht hat. Nur in diefer freien, aller
weltlichen Bildung aufgefchloffenen Form ift es befähigt
und beftimmt, Weltreligion zu werden. Der Verf. felbft
hat fich von der gefetzlichen, rabbinifchen Form des
Judentums, in welcher er erzogen und aufgewachfen ift,
je länger defto entfchiedener losgefagt. In diefem
neueften Werke fteigert fich feine Abfage zu leiden-
fchaftlicher herber Polemik. Andererfeits fpricht er fich
über Jefus und Paulus fo fympathifch aus, daß die Frage
nahe liegt, weshalb er nicht zum Chriftentum übertritt?
Er ift auf diefe Frage gefaßt, lehnt aber einen folchen
Gedanken aufs entfchiedenfte ab; denn die Kirche von
heute bedarf nicht minder einer gründlichen Läuterung
wie das Judentum von heute (Vorw. S. XII).

In dem erften Hauptteil (S. 1—234) fchildert Fr. die
religiöfen Strömungen des paläftinenfifchen Judentums
, aber mit Ausfchluß der gefetzlich-pharifäifchen,
alfo nur diejenigen, welche irgendwie feine Sympathie
haben. Es find folgende vier: 1. Die apokalyptifche
Bewegung (S. 22—77). Die Apokalyptiker find die
Lehrer der breiten Volksfchichten (des Am-haarez). Sie
haben aus dem Hellenismus der Diafpora den Gedanken
entnommen, daß durch die Gerechten und Frommen die
Gefamtheit, nicht nur Israels fondern auch der Völkerwelt
zum Heil geführt werden foll (S. 24fr.). Auch die
asketifche Richtung (S. 34f.) und der tranfzendente Meffias
der Apokalyptiker (S. 36—45) flammt aus dem jüdifchen
Hellenismus. Den religiöfen Radikalismus, welcher die Un-
fterblichkeit leugnet, bekämpfen fie (S. 60 ff.). — 2. Die
religiöfen Bewegungen im ,Landvolk' (S. 78—113).
Die ,Am-haarez' find die fchärfften Gegner der Phariläer.
Ihren Kreifen gehört der Verfaffer der Assumptio Mösls
an, der die Pharifäer ebenfo heftig bekämptt wie die
Sadduzäer (S. 96—98). Einer der Gewaltigften war Johannes
der Täufer (S. 98—110). ,Es war Diafporageift,
der aus dem Täufer fprach' (S. 99). Auch Jefus gehört
hieher (S. 110—113). — 3. Die Effener (S. 114—168).
Sie entflammen nicht dem Pharifäismus. ,Eine größere
Täufchung hat es in der Gefchichtswiffenfchaft wohl
kaum gegeben' (S. 115). Der Grundzug ihres Wefens ift
,Abtötung der Sinnlichkeit durch Übung größtmöglichfter
Enthaltfamkeit zum Zwecke feelifcher Erhebung' (S. 121).
Das ift jüdifch-alexandrinifche, aus dem Griechentum ge-
floffene Anfchauung (S. 122). Uberhaupt ift die effenifche
Lehre griechifch-philofophifch (S. 149). Am nächften find
fie mit den Therapeuten verwandt (S. 121). Jefus war
kein Effener (S. 163fr.). — 4. Die Minim (S. 169-234).
Sie gehen nicht, wie die bisher gefchilderten Richtungen,
neben den Pharifäern her, find vielmehr die Radikalen
im Pharifäismus, wie es auch Radikale im Hellenis-