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Ausgabe:

1906 Nr. 5

Spalte:

153-155

Autor/Hrsg.:

Herrmann , R.

Titel/Untertitel:

Erlösung 1906

Rezensent:

Niebergall, Friedrich

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153 Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 5. 154

es fich bei dem Wollen nicht anders verhalten, als bei
dem Denken und Fühlen, deren Abhängigkeit von be-
ftimmten Vorausfetzungen uns auch nicht unmittelbar
bekannt geworden ift' (S. 142). Sehr intereffant ferner
find die Darlegungen über den Determinismus und
das Strafrecht, in denen der Verf. als Sachverftändiger
das aufmerkfamfle Gehör beanfpruchen darf. Er (teilt
feit, daß, richtig verbanden, zwifchen Vergeltungsftrafe
und Zweckftrafe kein Gegenfatz befteht, daß mithin die
Strafe auch unter determiniftifchen Vorausfetzungen den
Charakter der Vergeltung behalten kann, und daß demnach
der Determinismus überhaupt nicht die Grundlagen
des Strafrechts verändert. Abgefehen von der juriftifchen
beherrfcht der Verf. auch die pfychologifche und ethifche
Literatur in ausgedehntem Maße, wenn ihm auch einzelne
neuere Schriften zur Ethik entgangen find. Einige pfychologifche
und ethifche Anflehten des Verf.s erfcheinen mir
allerdings nicht durchaus einwandsfrei. Doch find fie für
die Entfcheidung der Frage nach der Willensfreiheit weder
entfeheidend noch auch von dem Verf. in diefer Meinung
vorgetragen. Dagegen halte ich feine Löfung des Freiheitsproblems
in allen wefentlichen Punkten für richtig
und wohlgelungen, und wünfehe, daß namentlich die
Theologen, die aus Gewohnheit und Vorurteil in der Regel
unbefehens den Indeterminismus als allein berechtigt übernehmen
, die geringe Mühe nicht fcheuen mögen, fich von
einem erfahrenen, kundigen und urteilsfähigen Juriften zu-
nächft einmal in das Verfländnis des Problems einführen
und dann auch zu deffen richtiger Behandlung anleiten zu
laffen, wie immer fchließlich das Ergebnis ihrer eigenen
Urteilsbildung ausfallen möge.

Bonn. O. Ritfchl.

Hering, Otto, Perfönliches Chriftentum. Das Eine, was
uns not ift. (Neue Pfade zum alten Gott. Herausgegeben
von F. Gerftung. 9.) Freiburg i. B., P. Waetzel
1905. (III, 96 S.) gr. 8° Geb. M. 2 —

Meyer, Prof. D. Arnold, Das ,Leben nach dem Evangelium
Jefu'. Referat, erftattet in den Verhandlungen der
Asketifchen Gefellfchaft in Zürich im Jahre 1905.
(Sammlung gemeinverftändlicher Schriften und Vorträge
aus dem Gebiete der Theologie und Religions-
gefchichte). Tübingen, J. C. B. Mohr 1905. (44 S.)
gr. 8° M- -75

Herrmann, Pfr. R., ErlbTung. (Lebensfragen. Schriften
und Reden, herausgegeben von Heinrich Weinel.)
Tübingen, J. C. B. Mohr 1905. (44 S.) gr. 8» M. — 50
Krüger, Prof. Dr. Guftav, Das Dogma von der Dreieinigkeit
und Gottmenfchheit in feiner gefchichtlichen Entwicklung
dargeftellt. Tübingen, J. C. B. Mohr 1905. (VIII,
312 S.) gr. 8° M. 3-; geb. M. 4-

Diefe Bücher gehören fämtlich zu der gegenwärtig
in folchem Auffchwung begriffenen populär-wiffenfchaft-
üchen, modern-theologifchen Literatur. Nehmen wir noch
dieReligionsgefchichtlichenVolksbücher hinzu, dann haben
wir nicht weniger als vier verfchiedene Sammlungen, deren
Zweck es ift, Suchende unferer Zeit im Sinne der freier
gerichteten neueren Theologie aufzuklären und zu beein-
fluffen. Darum hat den genannten Schriften gegenüber
weniger eine materielle als eine formelle Kritik einzutreten
, alfo eine folche, die weniger auf den Inhalt als
auf die Form fieht, in der er dargeboten ift. Denn in
folchen Schriften foll ja dem Laien bereits ziemlich feft-
ftehende Erkenntnis, aber nicht den wiffenfehaftlich weiter
arbeitenden Theologen Neues geboten werden; damit ift
nicht ausgefchloffen, daß ein fehr großer Teil diefer Literatur
dazu dienen mag, in bequemerer Weife Kandidaten
und Pfarrern, Theologen aller Stufen, theologifche Wiffen-

fchaft zu vermitteln. Da fie aber doch auf Laien berechnet
ift, wird man als Kennzeichen ihrer Brauchbarkeit vor
allem eine intereffante und verftändliche Darftellung bezeichnen
können. Je weniger derartige Schriften dem
Theologen als folchem bieten, defto beffer werden fie
ihrem Zweck im allgemeinen entfprechen. Wir müffen
fie beurteilen, indem wir die großartige Unwiffenheit,
Gleichgültigkeit und den ftarken Mangel an Verfländnis

1 berückfichtigen, der überall auch in folchen Kreifen
herrfcht, die fich fchämen würden, von einem anderen
Gebiete des Wiffens nichts zu wiffen. Natürlich gibt es
auch in diefer Hinficht Unterfchiede, da wir immerhin
mit einer verfchiedenen Aufnahmefähigkeit zu rechnen

! haben.

Unter diefem Gefichtspunkte follen die oben aufgeführten
Schriften gruppiert und kurz gekennzeichnet
: werden.

Die erfte würde ich wohlmeinenden und ideal ge-
finnten Leuten in die Hand geben, die vom Chriftentum
außer der Schulorthodoxie nicht viel wiffen, aber fich
gern für feine Größe und Schönheit begeiftern laffen.
Zwar läßt ein Vergleich mit Joh. Müllers Schriften viel
an Klarheit in der Beftimmung des perfönlichen Lebens,
an eigenartiger Kraft der Darfteilung und an innerlicher,
überwältigender Wucht vermiffen; aber dafür haben wir
hier eine leichte Kofi, die etwa dem geiftigen Stande
von Volksfchullehrern, nachdenkenden Beamten oder
ideal gefinnten Kauf leuten angepaßt ift. Ihnen wird die
poetifche, oft geradezu hinreißende Sprache zum Gemüte
fprechen, in der der Verf. Jefus und das perfönliche Leben
zu fchildern weiß. Reiche Zitate, forgfames Eingehen auf
die Denk- und Sprachweife der genannten Kreife machen
das Buch in hohem Maße geeignet, bei Suchenden unter
den Halbgebildeten Eindruck zu machen.

Etwas anders ift die Schrift von A. Meyer. Sie fetzt
mehr Wiffen und tieferes Nachdenken voraus. Sie bahnt
fich durch eine längere Unterfuchung über die Gedankenwelt
Jefu und der urchriftlichen Zeit den Weg zu der
ernften Frage: Sind wir noch Chriften?, um fie dann
weit und offen zu beantworten. Der Charakter ift im
Vergleich mit der vorigen Schrift lehrhaft, aber die köft-
liche Zutat eines pointenreichen, intereffanten Stils, der
aber auch nichts vom Staub des Katheders verrät, viele
ganz eigenartige, überrafchende Bemerkungen und Ausdrücke
machen auch dem Theologen, der fachlich nichts
Neues fucht, die Lefung zu einem Genuß. Ich gäbe
diefes Heft Leuten in die Hand, die fchon etwas mehr
von den Dingen wiffen und fie noch einmal eigenartig beleuchtet
fehen wollen.

Auf ganz andere Vorausfetzungen find die Schriften
der Sammlung,Lebensfragen' eingerichtet. Hier herrfcht
ganz der objektive Ton vor, größere Kenntnifte und um-
faffende Probleme find in Betracht gezogen. Das Heft
von R. Herrmann arbeitet aus einem religionsgefchicht-
lichen Überblick und einer Darftellung Jefu den chriftlichen
Begriff der Erlöfung als der Erhebung zu einem neuen,
der Natur überlegenen Leben heraus. Schade, daß weder
auf den Anfang zurückgegriffen, alfo die chriftliche Erlöfung
zu der der anderen Religionen in ein pofitives
Verhältnis gefetzt, noch eine Klärung der üblichen
Ausdrucksweife in Kirche und Schule gegeben wird,
die fie mit dem Tode Jefu in Verbindung zu bringen
pflegt. Aber trotzdem wird diefe Schrift Leuten wie gebildeten
Kaufleuten, Lehrern an höheren Schulen, höheren
Beamten ficher intereffant und verftändlich fein.

Ganz anders fleht es mit der letzten Schrift von
G. Krüger. Hier fpricht der Gelehrte, aber der Pro-
feffor'. d5r feine Sache darftellen kann, weil er ihrer
mächtig ift und weiß, zu wem er fpricht. Auch wer feinen
Harnack gründlich durchftudiert hat, läßt fich noch einmal
gern in diefer fo überaus klaren und überfichtlichen Weife,
die durch den wunderfchönen Aufbau und durch den einfachen
und guten Stil bedingt ift, die fchwierigen Ent-