Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1906

Spalte:

139

Autor/Hrsg.:

Farrar, Frederic W.

Titel/Untertitel:

St. Paulus. Sein Leben und sein Werk. Band I 1906

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

139

140

Farrar, Dekan D. F. W., St. Paulus. Sein Leben und
fein Werk. Autorifierte Bearbeitung der Epideln
und Exkurfe von Kirchenr. D. Eduard Rupprecht.
Übertragung des biographifchen Teils von Otto
Brandner. Frankfurt a. M., O. Brandner 1906.
(VIII, 248 S.) 40 M. 4-

Der ig03 als Dean of Westminster verdorbene Fred.
Will. Farrar, bekannt als der von Hochkirchlern wie von
Freifinnigen oft und hart angefochtene ,Canon Farrar1,
hat feit 1879 ein Leben des Paulus herausgegeben, das
gleich feinem Leben Jefu (feit 1874) in vielen Auflagen
und nun auch deutfch erfchienen id. Der vorliegende
erde von drei Bänden, der das Leben des Apodels bis
zum fogenannten Apodelkonzil (interimidifch.es Nachgeben
in verdrießlicher Stimmung) erzählt, id von O.
Brandner überfetzt und zugleich dem deutfchen Publikum,
vornehmlich denjenigen gebildeten Laien', welchen es
,zur Stärkung ihres Glaubens dienen' kann und foll, annehmlicher
gemacht worden teils durch häufige Abdriche
und formelle Änderungen, teils durch reichliche Eindreu-
ung von Strophen aus Fronmüllers dramatifchem Gedicht
.Paulus" Dem gleichen Zweck dienen zahlreiche Originalbilder
, meid Landfchaften, Städte, Ruinen und Denkmäler
dardellend. Den hidorifch-kritifchen Standpunkt mag bei-
fpielsweife die Erzählung von dem Ereignis vor Damaskus
veranfchaulichen. ,Es fchien als hätte die ganze
Atmofphäre Feuer gefangen, und fie fahen fich plötzlich
in ein blendendes Licht eingehüllt. Man möchte meinen,
nichts könne das Gefunkel der fyrifchen Sonne übertreffen
. Diefes Licht aber war intenfiver als die Helligkeit
der irdifchen Sonne. Und mit dem Licht vernahmen
die Begleiter Sauls eine fchauerliche, für fie unverdänd-
liche Stimme' (S. 122). Von einem wiffenfchaftlichen Bedürfnis
der Einführung einer folchen Dardellung kann
man fich trotz Hinweis auf den bulgarifchen Juden-
miffionar Wolkenberg, der die talmudifchen Zitate revidierte
, nur fchwer überzeugen. Aber noch weniger wird
man Urfache haben, irgend jemandem das Vergnügen
diefer warmherzigen, vielfach belehrenden und dabei
immer unterhaltenden Lektüre zu mißgönnen.

Straßburg i. E. H. Holtzmann.

Kühl, Prof. D. Ernd, Rechtfertigung auf Grund Glaubens und
Gericht nach den Werken bei Paulus. Vortrag, gehalten
im akademifch-theologilchen Verein zu Königsberg
i. Pr. Königsberg i. Pr., W. Koch 1904. (29 S.)
gr. 8° M. — 60

Kühl, Prof. D. Ernd, Die Stellung des Jakobusbriefes zum
altteltamentlichen Gefetz und zur Paulinifchen Rechtfertigungslehre
. Königsberg i. Pr., W. Koch 1905.

(77 ö-) gr- 8" M- I-2°

Nr. 1 hat es mit der bekannten größten unter vielen
Antinomien der paulinifchen Lehre (vgl. S. 4) zu tun und
wendet fich im Intereffe der Grundidee, d. h. zugunden des
die Rechtfertigungslehre beherrfchenden Prinzips von der
Alleinwirkfamkeit der göttlichenGnade in der Befchaffung
von Heil und Leben, gegen die Vermittelungstheorie, als
ob Paulus in den beiden durch die Begriffe Rechtfertigung
und Geidesmitteilung charakterifierten Gedankenkreifen im
Grunde doch einen fachlich völlig identifchen Tatfachen-
komplex, nur unter verfchiedenen Gefichtspunkten, be-
fchrieben habe. Jene beiden Begriffe müffen vielmehr
dreng auseinandergehalten werden. Gemeinfam haben
fie nur als Gnadenakte ihren erden Urfprung in Gott
und ihr letztes Ziel im ewigen Leben. In keinem der
beiden völlig in fich abgefchloffenen Gedankenkreife laffe
fich die Vordellung eines Endgerichts mit einer nach der
Norm der Werke zu fällenden Entfcheidung einfchieben.
Zufammengefchloffen id fie mit jenen beiden auch nach

der Dardellung des Verf.s doch nur notdürftig durch die
Begriffe Glaube und Kindfchaftsbewußtfein. Ich kann
nicht finden, daß feine etwas gewundenen Gedankengänge
das ihnen am Anfang gedeckte Ziel, den Apoltel aller
Widerfprüche ledig zu fprechen, erreichen (fie laufen
darauf hinaus, daß das Endgericht über Chriden nicht die
Entfcheidung über Leben und Tod, fondern nur über den
höheren oder geringeren Wert der fittlichen Lebensleidung
bringt), halte vielmehr für das Bede in der Abhandlung

j den Satz: ,Er rundet den ganzen Gedankenkreis, in welchem
er den Gang des Heils bis zu feiner Vollendung,

i der GmTTjQ-ia, befchreibt, als einen Komplex überweltlicher
, göttlicher Gnadenakte völlig in fich ab, bevor er
das wankende, fchwankende Gebiet der im engeren
Sinne fo zu nennenden fittlichen Bewegung und Ent-
wickelung des Chridenlebens überhaupt erd betritt. Er
fühlt eben kein Bedürfnis, zwifchen beiden Gedanken-

1 kreifen die verbindenden Fäden zu ziehen, obwohl das

I Material dazu von ihm felbd reichlich dargeboten wird'
(S. 19).

Nr. 2 wiederholt die wefentlichden Ergebniffe bezüglich
der paulinifchen Rechtfertigungslehre und ver-

i gleicht damit die entfprechenden Sätze des Jakobusbriefes.
Im Eingang wird gefagt, es gefchehe dies ,im Anfchluß
an die Abhandlung meines hochverehrten Lehrers B.Weiß'

I (S. 1), und gegen Schluß erfahren wir, daß die vorliegende

| Veröffentlichung ,zur Unterdützung der Anfchauung, die
Weiß über die Entdehungsverhältniffe des Jakobusbriefes

I vorträgt' (S. 64), dienen foll. Solches gefchieht freilich
auf dem Wege, daß der Schüler im direkten Widerfpruch
mit dem Meider den gleichfalls direkten Widerfpruch der
Stelle Jak.2,14—26 mit den paulinifchenGlaubensfprüchen
fo nachdrücklich als möglich anerkennt (S. 46 f. 61). Ich
darf mich freilich deffen am wenigden freuen. Denn ,eine
größere Entfernung von dem in unferem Briefe vorliegenden
Tatbedande läßt fich wahrlich kaum ausdenken', als der
,geradezu unbegreifliche Satz, unferem Briefe fehle jedwede
Beziehung auf das mofaifche Gefetz' (S. 76). Anderer-
feits foll ich damit, daß ich im Briefe fchon wefentlich

J die altkatholifche Anfchauung von der Ablöfung des
alten Gefetzes durch ein neues, alfo von Chridus als

! dem neuen Gefetzgeber fich ankündigen fehe, nur ,die

j landläufige Behandlung' des Problems vertreten und ,mit
fad allen Theologen von rechts und links Hand in Hand

| gehen' (S. 4), wie ich denn auch in der Tat z. B. mit
Weizfäcker, dem unfer Verf. freilich ,die Phantafie eines
Romanfchriftdellers' zufchreibt, aber auch mit Gräfe,
Pfleiderer, von Soden, ja fogar Sieffert und Th. Zahn der

I Meinung bin, daß die Ausdrücke 1,25. 2,8. 10. 12 ganz un-

[ mißverdändlich den vöuog des Jakobus vom vöuog desMofes
unterfcheiden. Damit hätten fie indeffen nach unferem Verf.
,fich nicht gefcheut, im Intereffe der Durchführung diefer
grundfätzlichen Anfchauung den klaren Wortfinn der
Sätze unferes Briefes zu vergewaltigen' (S. 75). Als .klarer
Wortfinn' wird uns nämlich die Erkenntnis geboten, daß
der vöuog ßccGiXixoq 2,8 nicht mit öXog 6 vöuog 2,10
gleich dehe, fondern im Gegenfatz zu nävxa nur ein
einzelnes Stück des darüber hinauslangenden, ,in allen
feinen Teilen unverfehrten' Gefetzes {vöuog xeXeiog) bedeute
, gleich dem 2,8 erfcheinenden Gebot der Unparteilichkeit
. Nennt alfo Jakobus das Liebesgebot ein
.königliches', fo will er zwar den hervorragenden Wert
desfelben (gleichfam im Vorbeigehen) andeuten, fachlich
aber nur der Gefahr vorbeugen, ,daß feine Lefer das

1 königliche Gebot der Liebe zu hoch einfehätzen könnten,
als ob mit der Erfüllung diefes Gebotes alles getan fei'
(S. 10). Das jcXi'iQmua vouov zj dyüjrn Rom. 13, 8—10 läge
alfo gänzlich außerhalb, ,ja jenfeits feines Gedankenkreifes.
Ihm kommt es bloß darauf an, unter Betonung gerade
der kleinden und unfeheinbarden Teile des mofaifchen Gefetzes
die Gleichwertigkeit aller zu behaupten. Und wie
in diefem Intereffe 2, 11 zwei Gebote des Dekalogs aufgerufen
werden, fo foll auch mit dem ,Gefetz der Frei-