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Ausgabe:

1906 Nr. 4

Spalte:

122-124

Autor/Hrsg.:

Lütgert, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Gottes Sohn und Gottes Geist 1906

Rezensent:

Niebergall, Friedrich

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Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 4.

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fchauung verhaßten Geift des Rationalismus, den er
unter dem Schein harmlofen, mikrologifchen Geplänkels
nur um fo empfindlicher treffen will. Zugleich tritt in
diefer Mikrologie, der .Andacht zum Kleinen', einer ge-
wiffen eigenfinnigen Vorliebe für das Nebenfächliche und
Untergeordnete, ein neuer Zug feiner geiffigen Art hervor
. Auch für H.s Sprachtheorie war fein Londoner
Erlebnis grundlegend. Denn die Bafis feines Sprachbegriffs
ift feine Auffaffung der Sprache als Symbol, als
bildlicher Verfinnlichung eines translzendenten Sinnes
(Reden ift Überfetzen, und zwar Bilder in Zeichen). Entgegen
der dynamifchen Auffaffung Humboldts wird die
Sprache fo zu einem Gefäß eines ihr an fich fremden
Inhalts, ein ,totes Erzeugtes', das die Entwicklung aus-
fchließt. H. fieht in der Sprache eine anerfchaffene,
paffive, fich inftinktiv ausbildende Fähigkeit zum Lernen,
ihr Urfprung ift infofern göttlich und menfchlich (die
Seele der Ackerboden, die Sprache die göttliche Saat
— Logos!), ohne daß es zwifchen diefen beiden Auf-
faffungen bei ihm eine Vermittlung gäbe. Es verbindet
fich hier mit einem rationaliffifchen Grundgedanken das
myftifche Prinzip einer communicatio idiomatum (,alles
Menfchliche göttlich, alles Göttliche menfchlich'). Seine
ironifche Polemik gegen Herders ,Vom Urfprung der
Sprache' (im Ariflobulos, im Rofencreuz und den Philol.
Einfällen und Zweifeln) verfteht die Grundgedanken feines
Schülers nicht und dient ihm wefentlich zur Ausfprache
leiner zentralen Überzeugungen. — Zur Morphologie
der Sprache hat H. eine Reihe fehr feiner Gedanken
vorauseilend geäußert, nicht ohne daß auch da feine
fymbolifche Auffaffung durchbricht. — Am eingehendften
hat er fich mit dem Verhältnis von Sprache und Erkenntnis
befchäftigt, freilich auch hier in befonders
hoffnungslofe Verworrenheit geratend. Hierher gehört
der .Verfuch über eine akademifche Frage', wo fein
alter Lieblingsgedanke auftaucht: die Sprache ein Or-
ganon und Criterion der Vernunft — ein Gedanke, der in
vierfachem Sinn fchillert: 1. die Sprache das unentbehrliche
Organ des Denkens; 2. Sprache ift Vernunft;
3. Sprache ift vor der Vernunft, erzeugt V.; 4. Sprache
ift Verführerin und Verfälfcherin der Vernunft, in welch
letzterer Meinung ihn befonders fein Un- und Miß-
verftändnis von Kants Kritik d. r. V. beftärkte. Die
ganze Gedankenmaffe gipfelt in feinen Fundamentalprinzipien
: die Selbftdarftellung der Gottheit im Logos
ift die Uroffenbarung; deren Abbild und Symbol ift die
Erfchaffung der Erde und des Menfchen mit feiner
Sprache und Vernunft durch das Schöpfungs-.Wort'. —
In einem letzten Kap. über das Verhältnis der Sprache
zur Poefie wird gezeigt, wie H. trotz einer Reihe treffend
vorgeahnter Erkenntniffe feiner ganzen Anlage nach geringes
Verftändnis für die äfthetifche Funktion der
Sprache befaß. Seine eigne ,Schreibart' hat feit London
in Luthers Bibel und den Kirchenliedern den Nährboden
ihrer Eigenart, dem ihre Stärken wie ihre Schrullen entflammen
. Seine Schriften find ,durch und durch Stil'
(Hegel). Ja, H. wird in folgerichtiger Ausbildung feiner
fymbolifchen Grundanficht und theoretifcher Vertretung
der Befonderheit feiner eignen Autorfchaft der erfite
Vorkämpfer des charakteriftifchen Schönheitsbegriffs,
mit dem untrennbar die äfthetifche Würdigung des Individuellen
verbunden ift; und durchgebildetfte Individualität
, die fich in höchfter Vollkommenheit im Stil fym-
bolifiert, ift fein Begriff vom Genie.

Diefe zumeift mit ihren eignen Worten wiedergegebene
Analyfe Hamanns bleibt wertvoll, auch wenn es
felbft diefer Schrift nicht immer gelungen fein follte, den
Sinn feiner Gedanken über die Sprache klar herauszu-
ftellen, und wenn vielleicht hier und da trotz aller Vorficht
fein atomiftifches Denken mehr vereinheitlicht ift,
als es feiner Wirklichkeit entfpräche. Ich notiere noch,
daß der Verf. an dem Stephanfehen Auffatz (ZThK.
XII, 345 ff.) rügt, daß er H.s religiöfes Denken zu fehr

an Schleiermacher und Ritfehl heranrücke. Dem feinen
und anziehenden Buch mit forgfältigen und reichen
Literaturnachweifen ift eine eingehende Ergänzung zu
Goedekes Hamann-Bibliographie beigegeben.

Lobberich. Alfred Zilleffen.

Mirbt, Prof. Dr. Carl, Die katholifch-theologifche Fakultät

ZU Marburg. Ein Beitrag zur Gefchichte der katholi-
fchen Kirche in Kurheffen und Naffau. Marburg, N.
G. Elwert'fche Buchhandlung 1905. (XII, 261 S.) gr. 8<>

M. 5 —

Es ift ein bisher durchaus unbekanntes Gebiet der
neueften Kirchengefchichte, in das uns Mirbt hier mit
feiner gewohnten Gründlichkeit einführt; aber dasfelbe
verdient entfehieden bekannt zu werden. Zwar hat
die katholifch-theologifche Fakultät zu Marburg, deren
Konftituierung als theoretifche Lehranftalt für die künftigen
Priefter von Kurheffen und Naffau nach längeren
Verhandlungen am 19. Mai 1831 vom akademifchen Senat
dafelbft proklamiert wurde, nie gelebt. Sie war
fchon vor ihrer Geburt durch die politifche Unklugheit
und nachherige Unentfchiedenheit der Regierung, wie
durch den entlchloffenen Widerffand des höheren Klerus,
vorab des Bifchofs und Domkapitels von Fulda eine
richtige Todeskandidatin. Doch zeigen uns die Kämpfe,
die um und über fie geführt wurden, die Umftände, die
ihre Gründung veranlaßten wie diejenigen, die ihr Siechtum
und Abfterben bedingten, ein anfchauliches Bild aus
der Vorgefchichte der ultramontanen Bewegung in Deutfch-
land. Ünd darum kann das Buch Mirbts, das faft aus-
fchließlich auf ungedruckten Quellen fußt und diefe in
den Anmerkungen wie in den Beilagen erfreulicherweife
in ausgedehntem Maße felbft zu Worte kommen läßt,
nicht nur dem Kirchenhiftoriker und Theologen, fondern
auch jedem Politiker und Staatsmann wertvolle Dienfte
leiften. Denn es läßt ihn die zähe Kraft und Ausdauer
der katholifchen Kirche, fpeziell in ihrem paffiven Widerffand
fcharf erkennen und (traft den immer noch
vielerorts vorhandenen Glauben an die ftaatserhaltende
Tendenz derfelben an einem inffruktiven Beifpiel wieder
einmal gründlich Lügen. Der Stil des Werkes ift,
wie wir das bei Mirbt gewohnt find, frifch und lebendig;
der Druck und die Ausftattung find fauber und gut.

Bremgarten. A. Bruckner.

Lütgert, Prof. D. Wilhelm, Gottes Sohn und Gottes Geüt.

Vorträge zur Chriftologie und zur Lehre vom Geiffe
Gottes. Leipzig, A. Deichert Nachf. 1905. (V, 141 S.)
gr. 8° M. 2.80; geb. M. 3.60

Neun Vorträge über verfchiedenartige Gegenftände
find hier vereinigt. Unter ihnen erweckt der über das
biblifche Gemeindeideal die meifte Zuftimmung. Er
enthält gute und andringende Gedanken über die gegen-
feitige Seelforge der Chnffen: fie fördert das Intereffe an der
Gemeinfchaft, hilft zum Glauben und zu einem idealen
Lebenszweck, der immer die befte Überwindung des
Materialismus ift.— Weniger befriedigen die dogmatifchen
und apologetifchen Stücke. Oft hat man den Eindruck/daß
der Wunfeh, die alten Formeln zu retten, die energifche
hiftorifche und pfychologifche Anfaffung und Durchführung
der Gedankengänge beeinträchtigt. Am meiden
fpricht noch der Vortrag über das Kreuz Chrifti und
unfere Verföhnung an; fein Hauptgedanke, daß Jefus
in feinem Tode die Vollendung feiner Perfönlichkeit erlangt
hat, die Gott eine Bürgfchaft für die Begnadigung
der Sünder bot, ftimmt mit dem Gedanken des Schweizer
Theologen Ecklin überein. Der die Lehre von der
Rechtfertigung durch den Glauben behandelnde
Auffatz mit feiner Tendenz, bei Luther eine gefetzlich-