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Ausgabe:

1906 Nr. 4

Spalte:

109

Autor/Hrsg.:

Schmid, Joseph

Titel/Untertitel:

Die Osterfestberechnung auf den britischen Inseln vom Anfang des vierten bis zum Ende des achten Jahrhunderts 1906

Rezensent:

Krüger, Gustav

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109

Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 4.

IIO

anwenden mag, welche eigentümliche Beleuchtung er
von diefem Standorte den Ausfagen der Väter und
Kirchenlehrer zu verleihen geneigt fei, es wäre ein
wiffenfchaftlich nicht zu verantwortender Leichtfinn, wollte
man fich dem Gewichte der mit gewiffenhafter Objektivität
vorgeführten Zeugniffe entziehen. Der Ton der
polemifchen Erörterungen i(l ruhig und vornehm: die
Ironie, die bisweilen durchblickt, hat nichts verletzendes;
die Darfteilung zeichnet fich durch lichtvolle Eleganz
aus; die ftrittigen Stellen aus den Vätern teilt B. in den
meiden Fällen wörtlich mit, fo daß der Lefer in den
Stand gefetzt ift, eine Nachprüfung zu halten, — freilich
unter der Vorausfetzung, daß er den Zufammenhang, in
welchem die betreffenden Ausfagen fich befinden, zu
überblicken vermag. Daß nicht nur die Dogmenge-
fchichte, fondern auch die Liturgik aus B.s Schrift Anregung
und Förderung erhalten wird, fei noch zum
Schluffe hervorgehoben.
Straßburg i. E. P. Lobftein.

Schmid, Dek. Dr. phil. Jofeph, Die Ofterfeftberechnung
auf den britifchen Infein vom Anfang des vierten bis zum
Ende des achten Jahrhunderts. Eine hiftorifch-chrono-
logifche Studie. Regensburg, Verlagsanftalt vorm.
G. J. Manz 1904. (VIII, 95 S.) gr. 8° M. 2 —

Der Hauptwert diefer lehrreichen und gut gefchrie-
benen Abhandlung liegt in der Genauigkeit, mit der der
Verfaffer allen Phafen des Streites über die Ofterberech-
nung auf den britifchen Infein nachgegangen ift. Er
legt zunächft dar, daß die altbritifche Kirche fich der
älteren Romana Supputatio bedient habe, d. h. jenes
84jährigen Zyklus, der zu Rom von 312—342 im Gebrauche
war. Die Hypothefe, daß fie diefen Zyklus in
einer von Sulpicius Severus verbefferten Geftalt benutzt
habe, wird als haltlos aufgezeigt. Allerdings wurde im
Lauf der Zeit auch die 343 in Rom vorgenommene Modifikation
(jüngere Rom. Supp.) auf den britifchen Infein
bekannt. Der alte römifche Öfterzyklus behielt bis gegen
Ende des 6. Jahrh. die Alleinherrfchaft in der altbriti-
fchen und irifchen Kirche. Um diefe Zeit war vom
Feftland aus der Verfuch gemacht worden, auch anderen
Zyklen Eingang zu verfchaffen, vor allem dem des Vik-
turius (Rühl u. a. fchreiben Viktorius). Cummian hat
diefen Zyklus dem Abt von Hy gegenüber verteidigt,
und deutliche Spuren feiner Rezeption find vorhanden.
Nach diefen Darlegungen wendet fich Schmid der Entwicklung
feit dem Eindringen der neuen römifchen
Miffion auf den britifchen Infein zu und behandelt nach
einander: 1) Die Ofterfeflfeier in Südirland; 2) in Nordirland
; 3) in den angelfächfifchen Reichen (ausführliche
Darfteilung der Verhandlung in Strenaeshalch); 4) im
Piktenmche; 5) im Klofter Hy (Beleuchtung der Hypothefe
eines Schismas im Klofter während des 8. Jahrh.);
6) in den britifchen Reichen (d. h. in Cumbrien, Domnonia
oder Weft-Wales, Cambrien oder Wales). Ein Schlußkapitel
Hellt die ,Gründe des langen Fefthaltens an dem
84jährigen Zyklus' zufammen. S. 76,22 lies Domnonia;
91,19 Pelagian.

Gießen. G. Krüger.

Anz, H., Die lateinifchen Magierfpiele. Unterfuchungen und
Texte zur Vorgefchichte des deutfchen Weihnachts-
fpiels. Leipzig, J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung 1905.
(VIII, 163 S.) gr. 8° M. 5.40; geb. M. 6.40

Nachdem neuerdings Wilhelm Meyer in feinen Frag-
menta Rurana fich um die Vorgefchichte unferer mittelalterlichen
Weihnachtsfpiele bemüht hatte, verfucht Anz
dem ebenfo fchwierigen als reizvollen Problem von feiner
hturgifchen Seite noch näher beizukommen. Er ftellte

fich die Frage: wie fah der Spieltext aus, an den die
eigentümlich deutfche Fortentwicklung des Weihnachts-
fpiels bezw. Dreikönigfpiels anknüpfte? Denn feit den
Beiträgen von Koppen (1893) darf es als ausgemacht
gelten, daß die Spiele auf einen und denfelben Grundtext
zurückgehen. ,Was faft allen Spielen gemeinfam ift,
gibt einen vollftändigen in fich abgefchloffenen Text für
fich und ift auch mit ganz geringen Veränderungen felb-
ftändig als Spieltext überliefert' (Anz S. 3). Heraus-
gewachfen ift das Dreikönigfpiel aus dem officium des
Epiphanienfeftes, das fzenifche Zubehör wurde durch
Krippe und Stern geboten, denn Weihnacht und Epiphanie
find fchon feit der 2. Hälfte des 4. Jh. kombiniert worden
(S. 18). Das Auftreten der obstetrices, die für die Krippen-
fzene die Sprecherinnen abgeben, begegnen zuerft in
dem fogen. Protevangelium Jacobi; das Magierofficium
hat auch fie aus der Weihnachtsfeier übernommen. Zwei
verfchiedene Feiern find demnach zufammengefchweißt.
Der Text von Rouen läßt das Spiel in die Epiphanien-
liturgie einreihen {officium s/ellae), und zwar handelt es
fich dabei um eine Oblationsfeier, die während der Meffe,
begleitet vom Oftertoriumsgefang, ftattfand. Es erfolgte
die Einwirkung der Weihnachtsmatutinfeier1) (mit dem
officium ad praescpe) — quem quaeritis in praesepc wird
nun doch wieder als Nachbildung des St. Galler Öftere
tropus quem quaeritis in sepjilcliro aufgefaßt (S. 38). Der
rein liturgifche Charakter wurde erft durch die Hinzufügung
der Rolle des Herodes gefährdet (S. 51). Die
Texte von Nevers bilden daher den Ausgangspunkt für
die weitere Entwicklung und Erweiterung der Herodes-
fzenen. Mit Herodes kommen die Schriftgelehrten,
Archelaus, die Boten, die unfchuldigen Kindlein, und fo
mußte in die Feier des dies innocentiuni übergegriffen
werden (S. 70), um die Klage der Rachel zu gewinnen
(Text von Laon). Das Sternlied quem non praevalent
wurde aufgenommen; wichtiger aber ift, daß in dem Text
von Compiegne die Magier zuerft als reges bezeichnet
werden (vgl. Pf. 71,10. 11). Woher flammt diefe Neuerung?
In der bildenden Kunft finden wir erft feit der Mitte des
12. Jh. die Magier als Könige dargeftellt (S. 84; über das
erfte Auftreten der Namen Cafpar, Mel chior, Balthafar
vgl. S. 95). In feiner weiteften Ausdehnung treffen wir
das Herodesfpiel im Texte von Freifing (S. iooff.), mit
dem Texte von Bilfen ift es an der Grenze naturaliftifch-
komifcher Situationen angelangt (S. 105; vgl. Montpellier
S. 110). Dagegen waltet in Orleans wieder die Tendenz
vor, alles auf den Grundton der kirchlichen Feier zu ftim-
men (S. 106ff.).

Das Ergebnis faßt Anz dahin zufammen, daß ,der
Spieltext das Produkt eines allmählichen Werdens, nicht
einer einmaligen Dichtung ift'. Die uns überlieferten
Stücke find Erweiterungen eines Grundftockes, der bei
der Weiterbildung unantaftbar blieb. Der Dialog wurde
ausgedehnt, die Rollenzahl vergrößert, das Szenarium
ausgebaut, die Form des fprachlichen Ausdrucks modifiziert
, der Rollencharakter individualifiert (S. U2ff.). So
ift denn der rein liturgifche Urfprung des Dreikönigfpiels
durch die fleißigen Beobachtungen unferes Autors
aufs neue gefichert worden. Daß gerade die Oblationsfeier
an Epiphanien den letzten Ausgangspunkt geliefert
habe, ift freilich eine vorerft noch nicht einleuchtende
Vermutung. Eher bin ich geneigt, Anz gegen W. Meyer
darin recht zu geben, daß er den St. Galler Urfprung
der Weihnachtsfpiele ablehnt und daran fefthält, daß fie
(während des 11. Jahrh.) in Frankreich entftanden fein
dürften. Sehr dankenswert ift unter den Beigaben die
neue Edition der Feiern von Limoges (S. 140), Befancon
(S 's2)' NeVefS (S" !46)i Einfiedeln (S. 151), Freifing

Kiel. Fr. Kauffmann.

1) die fich bis auf eine Begegnung der Magier mit den Hirten
erftrecktc (S. 90 ff.).