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Ausgabe:

1906 Nr. 3

Spalte:

70-72

Autor/Hrsg.:

Peake, Arthur S.

Titel/Untertitel:

The Problem of Suffering in the Old Testament 1906

Rezensent:

Volz, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 3.

70

israelitifchen Bauern, d. h. der kanaanitifch-israelitifche j
Jahwehdienft ragt foviel über die alte Jahwehverehrung j
hinaus als der anfällige Stand über den Nomadenftand.
Das abfolute Königtum brachte die große Idee von dem j
König Jahweh, durch die Verfehlungen des oberften
Richters, des Königs, gegen den es keine irdifche Inftanz
gab, entftand die idee von Jahweh als dem Richter des
Sittlichen, auch dem König gegenüber. Der Verfuch
Davids und Salomos, Israel zum Weltreich nach der
Weife Babyloniens und Ägyptens zu machen, ging dahin,
weil für Israel ein politifch höheres Ziel und höhere
geiftige Aufgaben beftimmt waren; dadurch, daß eine
Ariftokratie, ein Stadtftaat mit freien Bürgern entftand,
konnte der religiöfe und fittliche Individualismus mit
allen feinen Konfequenzen durch den Propheten zum
Selbftbefitz und zum Allgemeingut werden.

Der andere grundfätzliche Irrtum, von dem wir uns
trennen müffen, ift der, daß die Propheten als einfame
Größen über ihre Zeit hervorragen und ifoliert in ihrer
Zeit daftehen. Daß fie auftraten, daß fie Jünger fanden
und folche, die ihre Worte auffchrieben, ift eben ein
Beweis dafür, daß ihre Zeit beffer war als fie felbft fie
auffaßten und darftellten; fie find die fittlichen Heroen
ihrer Zeit, getragen von ihrer Zeit, fie wachfen mit ihrer
Zeit, fie find verflochten mit der politifchen Entwicklung,
verkennen fie zuerft, befördern fie dann und ziehen aus
ihr die Kraft zur Ausbildung der Religion. Das 8. und
7. Jahrhundert war das Gegenteil vom fittlichen Verfall
und religiöfen Tiefftand, es war eine Zeit, in der zum
erftenmal die fittlichen Prinzipien klar verkündigt und
in die Praxis umgefetzt wurden.

In den Prozeß der politifchen und religiöfen Entwicklung
werden nun vom Verf. die einzelnen Geftalten
und die einzelnen Literaturftücke Israels eingereiht.
Arnos und Hofea mit ihrem Wüftenideal ftehen in den
Anfängen, fie verftehen den fittlichen Wert des Staatslebens
noch nicht; fie wenden fich gegen die individuelle
Sünde, legen fie aber dem Volksleben zur Lafl, weil fie
eben nicht im ftand waren, die politifche und foziale
Bewegung ihrer Zeit zu würdigen, und in dem Rouffeau-
fchen Ideal des goldenen Urftands, in dem Zukunftsbild
der primitiven Idylle befangen waren. Der Fortfehritt,
den fie bringen, liegt in der Erkenntnis des univerfalen
Gottes und in der Erkenntnis der auch im Zorn noch
wirkfamen Liebe Gottes; in beiden hatten fie Elisa als
Vorläufer, den der Verf. fehr hoch ftellt und als eine
markante Größe zu Ehren bringen will. Daß die beiden
in ihrer Zeit nicht allein (landen, vielmehr einer in geiftiger
und materieller Hinficht glücklichen Periode Israels angehörten
, beweifen die anderen Literaturflücke jener Zeit,
die prophetifche Befchreibung des Königsbuches, die Elifa-
legenden, der Segen Mofes und das Hohelied. Während
nun Arnos und Hofea fich gegen die gefunde politifche
Entwicklung ftemmen, nimmt Jefaja fie felbft in die Hand,
er wirkt für das Wohl und das Recht des werdenden
Stadtftaates, er hatte die Macht, Jerufalem den Beruf der
.heiligen1 Stadt aufzuprägen, durch ihn ift der Grund zu
der Größe, zu der univerfalen Bedeutung Jerufalems gelegt
worden. Das Programm der Jefajapartei waren die
zehn Gebote. In der darauf folgenden Reaktionszeit
entfteht die Legende von Elia und Ahab, die ein Spiegelbild
des Kampfes zwifchen der Prophetenpartei und der
mit dem König Manaffe verbundenen Volkspartei fein
foll, ebenfo Legenden von Abraham, der für Sodom
(Jerufalem) Fürbitte tat. Bald kommt die Reform des
Deuteronomiums, nicht etwa von Prieftern und Propheten
zufammen gemacht, das ift Stubengelehrfamkeit, fondern
von dem Adel des freien Stadtftaats gefchaffen, nicht
etwa der Religion in erfter Linie, fondern politifch-fozialen
Zwecken, dem Wohl des Staates dienend. Mit dem
Deuteronomium tritt das Gefetz über den König, die
Monarchie wird konftitutiv, der Stadtftaat Jerufalem ift I
fertig. Es ift bemerkenswert, daß wir in der Zeit um 1

Jeremia die Namen einzelne Adeligen erfahren, während
die frühere Überlieferung nur mit den Königen fich be-
fchäftigte. Wie Jeremia aus der politifchen Entwicklung
den religiöfen Individualismus ausbildete, fagten wir
fchon; infolge diefes aus der politifchen Lage heraus-
gewachfenen Individualismus ift die Religion Israels überhaupt
geblieben. Ezechiel fodann erkannte, daß der religiöfe
und fittliche Fortfehritt nur möglich war in einem
geordneten Staatsleben; wie weit war er über Arnos und
Hofea fortgefchritten! Infolgedeffen erfehnt er die Wieder-
herftellung des toten Israels und gibt ihm im propheti-
fchen Blick eine fefte Organifation, nicht eine abfolut
monarchifche, der Fürft ift Nebenfache. Aber merkwürdigerweife
nimmt in diefer Organifation der Kultus
alles Intereffe weg, der Kultus, gegen den die früheren
Propheten fo bitter gekämpft hatten. Aber auch diefer
Schritt Ezechiels bedeutet einen Fortfehritt, denn er beruht
auf der Erkenntnis, daß die Religion, wenn fie
öffentliche Sache fein will, eben nicht in dem privaten
Verhältnis des Individuums mit der Gottheit aufgehen
kann, fondern den öffentlichen Gottesdienft braucht. Das
Heiligkeitsgefetz fchafft zu diefer Organifation noch den
Hohepriefter. Aus der noch übrigen Darftellung des
Verfaflers ift nichts befonderes mehr hervorzuheben.

Es liegt fehr viel Richtiges in der Mahnung, die Ge-
fchichte Israels und feiner Religion einmal ohne die Beleuchtung
der Propheten zu betrachten und zu erwägen,
daß die Israeliten eben nur an dem unvergleichlich hohen
Maßftab und von dem unvergleichlich hohen Ideal der
Propheten gemeffen ein Volk des Abfalls waren; auch
ift es immer notwendig, daran zu denken, daß die Israeliten
nicht bloß ein Volk religiöfer Intereffen waren,
fondern ein Volk, das aß und trank, arbeitete und Politik
machte, wie es von Wert ift, die Entwicklung des jüdifchen
Volks mit der Entwicklung fonftiger Völker gleichzuftellen
und in den Rahmen der Entwicklung des Altertums überhaupt
einzufügen. Aber ift es nicht gerade das Einzigartige
von Israel, daß feine religiöfen Ideen fchöpferifch
waren auch für die politifche Entwicklung, daß feine
großen Heroen von Gottes Gedanken genährt waren,
nicht von den Einflüffen der Zeit und der Umgebung,
daß fie in Gottes Nähe lebend doch einfame Naturen
blieben und eben deswegen fo düfter über ihre Zeit urteilten
. Das 8. Jahrh. war ja nicht fchlechter als die Zeit
Jefu und als unfer Jahrhundert, aber die Propheten waren
dazu berufen, die Sünde befonders tief zu erkennen und
befonders fcharf darzuftellen, um den fittlichen Willen
Gottes den Menfchen zu offenbaren. Wenn ferner z. B.
im 2. oder 3. Jahrh. nach Chriftus die Gedanken Jefu und
der Apoftel fich durchgefetzt hatten und der Durchfchnitt
allerdings höher ftand als im 1. Jahrh., find deswegen die
Träger der Bewegung im 2. oder 3. Jahrh. höher zu (teilen
als die der Anfangszeiten? Mir fcheint, daß der Verf.
die Kraft und die Größe der fchöpferifchen Perfönhch-
keit zu gering gefchätzt hat im Intereffe der gleichmäßigen
reinlichen Entwicklung. Und der tiefe Grund dafür liegt
eben in der zu engen Verbindung von Religion, Sittlichkeit
und Politik. Die Entwicklung der Religion und der
Sittlichkeit hat andere Gefetze als die Entwicklung der
Politik und daher auch andere Maßftäbe.

Trotz diefes prinzipiellen Widerfpruchs und trotz der
Ablehnung einzelner gewagter Behauptungen und fchnell
hingeworfener Gedanken, bleibt doch der Wert diefer
eindringenden, felbftändigen und eigenartigen Studie un-
gefchmälert.

Leonberg. /olz.

Peake, Arthur S., M. A., The problem of Suffering in the
Old Testament. London, R. Bryan. — C. H. Kelly 1904.
(XV, 197 p.) so

Peake fpricht das Problem des Leidens durch in
der gefchichtlichen Reihenfolge der einzelnen Schriften,