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Ausgabe:

1906 Nr. 3

Spalte:

68-70

Autor/Hrsg.:

Todds, J. C.

Titel/Untertitel:

Politics and religion in ancient Israel 1906

Rezensent:

Volz, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 3.

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liehen Entwicklung zu begreifen. Daß hier eine notwendige
, wenn auch äußerft fchwierige Aufgabe der
Theologie vorliegt, ift ficher zuzugeben; ebenfo erkenne
ich gern an, daß Gunkel manche Beiträge dazu geliefert
hat, die je länger defto allgemeiner anerkannt
werden dürften, wenn auch anderes allzu unbegründete
Behauptung ift. Aber Hallers Arbeit kann ich nicht
gerade für eine glückliche Fortführung des von Gunkel
Geleifteten halten. Das, was den Wert von Gunkels
Arbeit gelegentlich beeinträchtigt, das nicht ausreichend
begründete Poftulieren von Anfchauungen, welche
die meift rein hypothetifchen Urformen der Sagen im
Unterfchied von den uns vorliegenden beherrfcht haben
follen, und die willkürliche Auffaffung mancher Einzelzüge
auch der ausgebildeten Sagen, ift bei Haller geradezu
die Regel. Einige Beifpiele mögen das illuftrieren.
Als Urform der Gefchichte von Kains Brudermord betrachtet
Haller (S. 47) eine Erzählung, in der Kain zum
Zweck der Herftellung fakramentaler Kommunion mit
Jahwae feinen Bruder = Stammesgenoffen opfert und als
Belohnung dafür das Jahwaezeichen erhält. S. 70 heißt
es: ,Den Genuß des Opfers durch die Gottheit fehen
wir nur an zwei (siel) Orten gefchildert; die Libation verflüchtigt
fich, der Gott hat fie genoffen (28, 18 E). Oder
das Blut verfickert zwifchen den Steinen, der Gott hat
es getrunken (31, 46 J). Oder es fällt ein Feuer vom
Himmel und leckt an den blutigen Stücken, Jahwae hat
das Opfer angenommen (15, 17 ff. J). Verfeinert liegt diefe
letztere Anfchauung beim Bundesopfer vor, wo die Rauchwolke
zwifchen den Stücken durchgeht und den Duft
derfelben aufnimmt.' Hier fleht fo ungefähr nichts von
dem, was für Haller gerade das Wichtigfte ift, im Text.
S. 135 heißt es: ,Die Namengebung alfo bedeutet die
Aufnahme in den Familienverband .... Sklaven haben
keine Namen; 15, 2 ift hiegegen nicht anzuführen, eben-
fowenig die Sklavinnen (30, 3 und 9 JE), die doch immerhin
den Rang von Nebenfrauen haben; auch weift diefer
Umftand, daß die Frauen als Sklavinnen (s2c) Namen
haben und einen ausgefprochenen Willen zeigen, felber
darauf hin, daß ein Unterfchied zwifchen Sklaven und
Sklavinnen gemacht wird, der durchaus zugunften der
Frauen ausfällt.' S. 34: ,Zauber, d. h. Zwang der Gottheit
zu beftimmtem Handeln ift in wenigen Spuren erhalten
, ... vielleicht aber auch in der Lotgefchichte (19,33?),
wo in dem Beraufchungstrank der Töchter um fo eher
ein Zaubertrank oder Aphrodifiakum ftecken dürfte, als
das hohe Alter Lots, das die Sage annimmt, die Zeugungsfähigkeit
fraglich macht.' Vielfach ift der Gedankengang
nicht ftraff und daher unklar, beifpielsweife S. 34fr. (über
die Allmacht Jahwaes). Wichtige Materien fehlen. So
ift z. B. S. 4of. von dem Gedanken des Bundes Jahwaes
mit dem Volk und von Verfprechen Jahwaes die Rede;
doch werden nur 21,1. 26,24 behandelt, die viel wichtigeren
Stellen wie 12,1 ff. 15. 28 fehlen. Bei der Frage nach
dem Verhältnis Jahwaes zu den Lokalnumina werden die
lokalen Gottesnamen vsn bS5 öbi? b« etc.) überhaupt
nicht berückfichtigt; die ' Gottesbezeichnungen bfct und
D^rftt find dem Verfaffer einfach identifch, für die Ge-
fch'icfite der Gottheit der Sagen bleibt alfo wichtiges
Material ganz ungenutzt. Über den fTliT" "ftfbB hört man
nur einmal gelegentlich, daß er an die Stelle Jahwaes
getreten ift. Und wenn man nach der Einleitung (S. 1
bis 13), wo ein langer, ausführlicher Aufriß der Ent-
ftehung der Sagen mit Unterfcheidung von 5 Perioden
gegeben wird, erwartet, man würde im folgenden eine
Gefchichte der vorprophetifchen Religion und Sitte, fo-
weit fie aus den Sagen erkennbar ift, erhalten (wozu fich
bei Gunkel ziemlich reiches Material findet), fo wird
man enttäufcht. Man hört nur gelegentlich einmal, dies
oder das fei eine ältere refp. jüngere Vorftellung, aber
auf keinem Punkte wird eine Entwicklung gezeichnet.

Trotz alledem enthält das Buch einige gute Beobachtungen
, unter denen ich namentlich die große Ver-

fchiedenheit im Verhältnis von Gott und Menfch zwifchen
Gen. 1—II und 12—50 hervorheben möchte, ebenfo was
Haller darüber ausführt, daß die Ethik von Gen. 12—50
in der Hauptfache an dem Familien- und Stammesintereffe
orientiert iß. Doch muß man auch hier auf Schritt und
Tritt Übertreibungen mildern und kleine Unrichtig-
I keiten korrigieren. Direkt falfche Behauptungen wie die
S. 55 (,der einzige, der [in der Flut] verfchont wird, famt
den Seinen, iß einer der „Gnade gefunden hat", ein Grund
wird nicht angegeben, Jahwe will es fo'), die auf Gen. 7,1
nicht Rückficht nimmt, find gar nicht ganz feiten.

Halle a. S. C. Steuernagel.

Todds, Rev. J. C., Canon., Politics and religion in ancient

Israel. An introduetion to the study of the Old Testament
. London, Macmillan & Co. 1904. (XVIII, 334 p.)
gr. 80

Schritt für Schritt verfolgt Todds die politifche Gefchichte
Israels, zufammen mit der Entwicklung in der
Religion, die das Gegenßück diefer Gefchichte war.
Äußerlich betrachtet, unterfcheidet fich die vorliegende
,Gefchichte' Israels und der Religion Israels nicht viel
von dem. was wir fonß fchon gelefen haben. Der Aufbau
ruht auf dem Fundament der heutigen Literarkritik,
ebenfo wird der allgemeine Grundfatz, daß die Entwicklung
der Religion nur mit der der Politik zufammen-
hängt, jedermann einleuchten. Aber die Durchführung
diefes Grundfatzes iß fo eigenartig, der Standpunkt, von
dem aus der Verf. die Gefchichte des kleinen Israel betrachtet
, fo umfaffend, die Beurteilung der großen Früchte
der israelitifchen Religion so neu und zum Widerfpruch
reizend, manches literarkritifche Urteil fo felbßändig,
daß die Lektüre des Buches viel Anregung bringt.

Im Altertum feien zwei Staatentypen zu unterfchei-
den, fagt der Verf., der eine Typus iß das große Weltreich
, wie Babylonien, Ägypten, der andere Typus ift
der Stadtftaat, wie Athen, Rom. Solche Stadtftaaten
haben fich gerade an den Ufern des mittelländifchen
Meeres gebildet, in ihnen haben die freien Bürger lebendiges
Wefen gehabt, von ihnen find Gefetz, Philofophie,
Kunft und Religion ausgegangen; Religion, denn zu diefen
Stadtftaaten gehört auch Jerufalem. Diefe Stadtftaaten
haben für die Entwicklung der Menfchheit also bedeut-
fameres geftiftet als jene Weltreiche, damit hängt
nebenbei zufammen, daß der innerliche und der äußerliche
Einfluß der babylonifchen Weltmacht auf Israel
I kein nennenswerter gewefen fein kann. Die Gefchichte
Israels ift nun die Entwicklung von dem anfänglichen
Nomadenßand über die abfolute Monarchie eines Salomo
zu der ariftokratifchen Verfaffung, die unter Jofia durchgeführt
wurde, u. zu dem zuerft von Ariftokraten, dann
vom Hohepriefter geleiteten Stadtftaat Jerufalem. Das
ift die politifche Entwicklung. Hand in Hand geht die
Entwicklung der Literatur, der Zivilifation, der Sittlichkeit
und der Religion Israels. Hier ift ein doppelter Irrtum
abzuweifen. Einmal der, das Israel etwa in der Sittlichkeit
und der Religion von oben nach unten, von der Wahrheit
zum Abfall fich entwickelt habe. Dies wäre eine ganz
widerfinnige Erfcheinung, und eine folche anzunehmen
ift uns nur deswegen zur Gewohnheit geworden, weil
wir die äußere und innere Gefchichte Israels mit dem
Auge der Propheten und der prophetifchen Gefchicht-
fchreibung, vom Fall Jerufalems aus, betrachtet haben.
Vielmehr, wie die Zivilifation Israels immer feiner wurde,
wie die politifche Geftalt immer mehr fich ausbildete,
fo auch und eben dadurch ift der fittliche und religiöfe
Geift Israels von Kraft zu Kraft gewachfen, und zwar
nicht etwa bloß der Heroen Israels, fondern des Volkes
Israel. Die Vorausfetzung diefes Wachstums, die Erklärung
des fittlichen und religiöfen Fortfehritts ift alfo
I eben die politifche Entwicklung. Der ,Baalismus' der