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Ausgabe:

1906 Nr. 2

Spalte:

58-60

Autor/Hrsg.:

Ter-Minassiantz, Erwand

Titel/Untertitel:

Die armenische Kirche in ihren Beziehungen zu den syrischen Kirchen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts 1906

Rezensent:

Krüger, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 2.

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und über eine umfaffende Schriftkenntnis verfügt. Auch ;
feineUnterfcheidung kanonischer und apokrypher Schriften, <
feine Stellung zu Mönchen und Nonnen, fein feelforger- 1
liches Intereffe, fein Dringen auf würdige ethifche Lebens- 1
haltung würden fehr wohl zu dem großen Alexandriner 1
paffen. Auffallen muß nur, was Riedel nicht erwähnt, .
die wiederholte flarke Betonung der Autorität des Petrus 1
,des erften und größten der Apoftel', auch eine ungemein 1
hohe Vorftellung vom priefterlichen Mittleramt, eine au- 1
genfcheinlich fchon weit fortgefchrittene Verweltlichung 1
der kirchlichen Sitten. Dem fteht wieder gegenüber die
Vorausfetzung, daß die Mehrzahl derBifchöfe und Priefter
verheiratet ift, daß die Jungfrauen' ebenfo häufig in der
Familie wie in Klöftern leben. Auch hat Riedel durchaus
recht, wenn er beachtenswerte Vergleichspunkte zwi-
fchen den Canones Athanasiiund der Schrift jxeqi jtan&eviaq
vermutet. Ich darf auf meine foeben erfchienene Ausgabe
diefer Schrift (T.U. N.F. XIV, 2 a) verweifen, welche
den Beweis der Echtheit diefer Schrift des Athanafius
bringt. Man wird nun urteilen müffen, daß die canones,
wennfie von Athanafius flammen, jedenfalls einer fpäteren
Lebenszeit angehören, wo z. B. die Klöfter der Jungfrauen
und ihre Gemeinfchaftsregeln weiter entwickelt waren,
als zur Zeit der Mahnfchrift an die Jungfrau. Es fei mir
geftattet, in Ergänzung der Riedelfchen Bemerkung und
meiner Ausgabe hier folgende Vergleichspunkte beider
Schriften zu notieren:

Ich zitiere mit C. A. die Canones Athanasii, mit R. die Seitenzahl
bei Riedel, mit 7. den Xöyog auixtjQtag ngoq xi/V nao&h>ov und gebe
zu X in Klammern die Seiten- und Zeilenzahl meiner Ausgabe in den
Texten und Unterfuchungen N. F. XIV, 2 a: Daihan und Abiram C. A. i
(R 6) und X III (38, 6;; Gegenfatz von o dixaioq-ö afiaQXojXdq C. A. 3
lR 81 und X XIX (54, iöff.); die Seelen andrer gewinnen, fpeziell für
jungfräuliches Leben, C A. 4. 13 und X IX (43, 13), X XXV (57, 15
nexä näarjg evXaßeiag); Vorfchriften aus 1 Tim., C. A. 5. 6 (R 9. 12)
und X X 144, ioff.i; Kanon = allgem. apoftolifche Vorfchnft C. A. 5 (R Ii)
und ;. XIV (48, 25), XII (46, 3); Sätze mit uaxägiog 6 C. A. 5. 6. 12
(R 10. 13. 24) und X XII, XIV, XVI, XXII 133); Demutsermahnung C.
A. 6 (R 13) und X VIII (42, 23) IX; xäyuaxa C. A. 10 (R 20) und X
X (43, 251, Pfalmengefang C. A. 12 (R 24. 39) und X XII (46, 8), XVI
(51, 6) XX (55, 17fr.]; bei Armen lieber ais bei Reichen fitzen. C. A. 14
(R 26) und X XIII (48, 11); Fallen beobachten ywglg näorjq avayxnq
C. A. 30. 31 (R 31) und X XIII (43, I), XI (45, 15); Beten zur dritten
Stunde, in der das Kreuzesholz aufgerichtet wurde, C. A. 57 (R 38) und
X XII (46, 9. 10); Schweigen in der Kirche, C. A. 57. 98 (R. 39. 63) und
X XXIII (58, 7); Chriftus, der Bräutigam C. A. 81 (R 50) und X II
137, 12 ff.) XXIII (58, 17); Effen einmal nach der neunten Stunde, C. A.
92 (R 59) und X VIII (43, 2) Unterordnung der Jungfrauen unter eine
.Mutter', C. A. 92 (R 59) und X XIV (48, 17 ff.) Enthaltung vom Wein
C. A. 92 (R 59) und X XII (45, 25); die Lampe der Jungfräulichkeit
nicht verlöfchen laden bis der Herr kommt, C. A. 98 )R 62) und X XXUI
(58, 22); Sitzen mit den Apofleln und Propheten in der ewigen Ruhe
C. A. 105 (R 68) und X XXIV (59, 22); außerdem vgl. die Zufammen-
fadung: Gottesfurcht und Altar. Liebe zu den Armen und Virginität, C.
A. 105 (R 67) mit den Grandgedanken des athanafianifchen Xöyog.

Diefer Vergleich macht in der Tat die athanafianifche
Verfafferfchaft auch der canones höchft wahrfcheinlich,
wenn auch im Unterichied von der Überlieferungsge-
fchichte von .prfpt Jtag&tviaq das völlige Schweigen der
griechifchen Übeilieferung ein erhebliches Bedenken betr.
die Canoties zurücklaßt. Bei den von Johann von Nikäa
für das Jahr 364 notierten ,commandmcnts of Christ'
{Journ. As. VII 12 [1878] p. 263) könnte man eher an
den Migne P. g. XXVIII p. 1410fr. abgedruckten Xöyoq
öiaxQixixoq xal tiq rag IvxoXdq xov {hnov xolq astoxa^a-
utvotq xal ocoOt/fcu trhXoutvoiq denken, von dem ficht
auch im Lawrakiofler (Aihos) eine jüngere Handfchrift
befindet. Doch ich breche ab, da ich diefe Unterfuchungen
hier nicht weiterfuhren kann. Der Inhalt der
Canones if! fo wertvoll, daß es zu bedauern ift, daß der
Herausgeber nicht näher auf diefe Dinge eingegangen ift,
wie Achelis es bei der fyrifchen Didaskalia getan hat.
Im erften Teil erhalten wir wichtige Auffchlüffe über die
Pflichten der Bifchöfe und Presbyter, über die Liturgie,
über Kirchenvermögen und feine Verwaltung (Trennung
der Schluffel!), über Kirchengeräte, über den Wächter
und Verwalter der Schatzkammer [steward), über die
husbandmen und Tagelöhner der kirchlichen Guter; im

zweiten überSeelforge, Armenpflege, Waifenpflege, Wan-
dererfürforge, Befuche, Schätzung der freiwilligen Almofen
(C. 87 foziale Gerechtigkeit wichtiger als Almofen
und Kirchenbauen!), im dritten über Mönche und Nonnen
und die Formen ihrer Beteiligung am kirchlichen Leben.
Auf Einzelheiten diefes reichen Materials kann ich nicht
mehr eingehen, es finden fich viele Fragen darunter, die
heute noch für jeden praktifchen Theologen von Bedeutung
find. Deshalb fei mit Nachdruck auf diefe neue
Quelle für die Gefchichte des kirchlichen Lebens hinge-
wiefen und den Herausgebern für ihre wertvolle Gabe
gedankt.

Berlin. Ed. v. d. Goltz.

Ter-MinalMantz, Archidiak. Dr. Erwand, Die armenifche
Kirche in ihren Beziehungen zu den fyrifchen Kirchen bis
zum Ende des 13. Jahrhunderts. Nach den armenifchen
und fyrifchen Quellen bearbeitet. (Texte und Unterfuchungen
zur Gefchichte der altchriftlichen Literatur,
Herausgegeben von Oskar von Gebhardt und Adolf
Harnack. Neue Folge. Elfter Band, Heft IV.) Leipzig
, J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung 1904. (XII, 212
S.) gr. 8« M. 7.50

Diefe Arbeit dürfte der lehrreichfle Beitrag zur
armenifchen Kirchengefchichte fein, den wir feit langem
erhalten haben. Ter-Minaffiantz ift nicht nur fach- und
fprachkundig (was, nebenbei gefagt, auch von feinem
natürlich nicht tadellofen, aber doch recht guten Deutfch
gilt), fondern er hat auch das Glück, eine ganze Reihe
erft jüngft veröffentlichter Quellen benutzen zu können,
die, wie z. B. das unfehätzbare ,Buch der Briefe'*), geeignet
find, ganze Partien der älteren Gefchichte in ein
neues Licht zu rücken. Es ift höchft erfreulich, daß fie
in Ter-Minaffiantz fo rafch einen forgfältigen und, was
ich betonen möchte, befonnenen Benutzer gefunden haben.
Das erfte Kapitel (S. I—29) des Buches gilt den Anfängen
des armenifchen Kirchenwefens bis zum Eindringen
der monophyfitifchen Streitigkeiten. Schon hier
findet fich viel Neues, fowohl im Tatfächlichen wie in
der Beurteilung. Ich mache darauf aufmerkfam, daß
T.-M. in (leter Auseinanderfetzung mit Geizer und — in
zweiter Linie — mit Weber u. a. den Einfluß der fyrifchen
Miffion neben, ja vor der griechifchen flark hervorhebt
. Von Wichtigkeit ift ferner die Feftflellung, daß
die armenifche Bibel urfprünglich aus dem Syrifchen
überfetzt worden ift (gegen Conybeare). ,Später. genauer
gefagt nach 432, ift diefe Überfetzung einer fehr eingehenden
und gründlichen Revifion unterzogen worden,
nachdem die Schüler des heiligen Sahak und Mesrop
aus Griechenland „richtige Exemplare der heiligen Schrift"
in griechilch nach der Synode zu Ephefus mitbrachten'.
Seit den Anfängen des 5. Jahrh. erlifcht der fyrüchc
Einfluß. Umgekehrt beginnt die armenifche Kirche auf
die in fich zerfpaltene fyrifche beftimmende Einwirkung zu
üben. Davon redet das zweite (S. 29—59) und das dritte
(S. 59—91) Kapitel: ,L)ie kirchl chen Paiteien des 6. Jahrh.
im fyrifchen Orient in ihren Beziehungen zur armenifchen
Kirche' und: ,Die Beziehungen der armenifchen Kirche
zu den Jakobiten'. Hier ift Ref. aus naheliegenden
Gründen dem Verf. mit befonderem Intereffe gefolgt.
In der Tat ift es von Bedeutung, daß T.-M. hat feltftellen
können, daß die armenifche Kirche bis zum 8. Jahrh.
(und genau genommen auch fpäter noch) den julianifchen,
will fagen, den ftrengen Monophyfitismus gepflegt hat,

*) Girq Thghthoz, hrsg. von J. Ismireanz nach einer [einzigen! alten
Hdfchr. im Klofter der armenifchen Antonianermönche zu Konftantinopel,
Tiflis, T. Raulineanz u. M. Scharadfe, 1901; XVIII, 584 S., 8"; leider nur
armenifeh, vgl. die Anzeige von H. Gouffen, Theol. Revue 1903, Nr. 8,
Sp, 225—229. Man beachte G.s in Nr. 7 und 8 des Jahrgangs 1903,
Nr. 9 von 1904 erfchienene Mitteilungen Uber .Wichtigere armenifche
Publikationen aus den letzten Jahren'.