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Ausgabe:

1906 Nr. 2

Spalte:

56-58

Autor/Hrsg.:

Riedel, Wilhelm

Titel/Untertitel:

The Canons of Athanasius of Alexandria 1906

Rezensent:

Goltz, Eduard Alexander

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Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 2.

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Briefe von Zeitgenoffen des Abo. in denen ein unbekanntes
Schriftzitat von Intereffe ift: Schwächeres als du
follft du nicht auffuchen, und Stärkeres als du follft du
nicht richten' (vgl. Ropes, Sprüche Jefu Nr. 130?). Im
folgenden ift der Text in Lefeabfchnitte für den Gottes-
dienft eingerichtet. Voran fteht eine Predigt über den
Wert frommer Verehrung der Märtyrer und über die
reichen Namen Chrifti, welche für die Gefchichte der
Predigt fehr beachtenswert ift. Dann kommt 3) die
Lebensgefchichte des Abo von Tiflis, die manches k irchen-
gefchichtlich interefiante Detail enthält, dann folgt das
Martyrium und ein ?.6yoq zum Lobpreis des Zeugen
Chrifti, der nach den Regeln poetifcher Kunftrede aufgebaut
zu fein fcheint. Eine Liturgie am Schluß hat
der Herausgeber leider wetjgelaffen. Auch wäre die
nähere Behandlung einiger liturgifch intereffanter Stellen
wünfchenswert gewefen. Denn der Bericht hat m. E.
feinen Hauptwert in dem lebendigen Bild, das er uns von
der kultifchen Verehrung eines georgifchen Heiligen bald
nach feinem Tode gibt.

Die Abhandlung von Fr. Augar knüpft an eine Behauptung
Mommfens an, daß die während der Chriften-
verfolgungen nicht feltenen Einftellungen ehrbarer chrift-
licher Frauen in die öffentlichen Bordelle nicht allgemeine
Anordnung gewelen feien, fondern auf den Übereifer
einzelner Beamter zurückgeführt werden mußten
(röm. Strafrecht V, 4 S. 955). Demgegenüber fucht
Augar darzutun, daß es fich vielmehr wirklich um ftraf-
rechtliche Urteile gehandelt habe, um Verurteilungen,
die im Wege des Strafverfahrens in aller Form Rechtens
verfügt worden feien — mit andern Worten: nicht die
Willkür einzelner Richter, fondern das römifche Strafrecht
der damaligen Zeit muß mit der Schmach eines
folchen Verfahrens belaftet werden. — Um diefe Thefe zu
beweifen, ftellt Augar zunächft das ganze Nachrichtenmaterial
in forgfältiger, jedem einzelnen Fall gerechtwerdender
Weife zufammen — allein fchon eine fehr
dankenswerte Arbeit. Eine Tabelle S. 52 und 53 macht
die Überficht vollends bequem Daran fchließt er im
Anfchluß an Mommfen eine Darftellung der ftrafrecht-
lichen Verhältniffe in den römifchen Chriftenprozeffen,
in der er zunächft trefflich den Unterfchied zwifchen
Koerzition und rtrafrechtlichem Prozeßverfahren charak-
terifiert. Die Koerzition ift nur durch das Provokationsrecht
befchränkt; für Nichtbürger, Frauen und Sklaven
bleibt die Koerzitionsgewalt der Statthalter unbefchränkt
in der Verfahrungsweife und im Urteil. Das fchließt aber
nicht aus, daß, wie Augar S. 64 richtig fagt, auch in der
Koerzition fleh beflimmte Grundfätze und Verfahrungs-
weifen ausbilden, während der Strafprozeß in der Kaifer-
zeit oft alle feften Formen verliert. So nähern fleh beide
Formen einander an. Nun meint Augar, daß die erhaltenen
Prozeßakten zu fehr den ganzen Apparat
richterlicher Verhandlung zeigten, der dem Wefen
eines bloß koerzitiven Verfahrens widerfprechc. Mir
fcheint hier eine Verfchiebung der Sachlage bei Augar
einzufetzen. Zumal bei Frauen fällt das Provokationsrecht
und die Behandlung vor einem komitialen Gerichtshof
ganz fort — dann ilt aber doch wirklich die Unter-
fcheidung, ob der Beamte oder der Richter handelt, eine
künftliche Abflraktion. Mir fcheint gerade das Material,
das Augar zufammenftellt, und feine zuerft gegebene
Charakteriftik der abfoluten Elaftizität des Koerzitivver-
fahrens zu zeigen, daß die ganze Frageflellung für die
Behandlung der Frauen fleh erübrigt. Auch wenn Erlaffe
oder Beftimmungen exiftierten, hatten diefe nur den
Sinn von — wie wir heute fagen — Verwaltungsgrund-
fätzen. Die Einftellung ins Bordell blieb immer wie die
Folter eine Maßregel fekundären Charakters, eine Art
von gröbfler Unterfuchungshaft oder fie war eine Vorbereitung
der Hinrichtung, welche man an Jungfrauen
nicht gern vollzog. Augar hat recht, wenn er nicht nur
von der Willkür übereifriger Beamten geredet wiffen will,

— aber er führt eine Unterfcheidung zwifchen Koerzition
und Strafverfahren ein, die in diefem Falle nicht aufrecht
erhalten werden kann.

Berlin. Ed. von der Goltz.

Riedel, Prof. Wilhelm, and W. E. Crum, M. A., The Canons
of Athanasius of Alexandria. The arabic and coptic
versions, edited and translated with introduetions, notes
and appendices. London, Williams & Norgate 1904.
(XXXV, 60 and 154 p.) gr. 8"

Durch die Herausgabe des arabifchen und koptifchen
Textes der Canones Athanasii mit einer englifchen Über-
fetzung haben fleh W. Riedel und W. E. Crum ein großes
Verdienft erworben; es i(t uns damit wieder eine
neue wertvolle Quelle für unfere Kenntnis des kirchlichen
Lebens im vierten Jahrhundert erfchloffen worden.
Wenn mir aber in diefem Blatt die Anzeige diefer
Ausgabe anvertraut worden ift, fo mußte es gefchehen
unter Verzicht auf die Berückfichtigung der fprachlichen
Seite, die ich nicht zu beurteilen vermag.

Zu bedauern ift, daß wir die von Riedel nach dem
Arabifchen hergeflcllte deutfcheÜberfetzung nicht felbft
erhalten haben, fondern eine englifche, die Mr. Crum nach
der Riedelfchen deutfehen angefertigt hat! So dankbar
wir fein müffen, daß die Text and Translation Society der
wiffenfehatthehen Welt diefe englifche Ausgabe darbietet,
fo bleibt es für uns doch fatal, daß ein deutfeher Gelehrter
feine deutfehe Überfetzungsarbeit nicht znnächft feinen
Landsleuten direkt hat anbieten können. Auch die Verwertung
des Textes wird für uns erfchwert, wenn wir
im Auge behalten müffen, daß wir eine urfprünglich
griechtfehe Schrift hier nur durch dreifache Vermittlung
(Koptifoh arabifch-englifch) lefen.

Für den arabifchen Text hat R. in erfter Linie einen
Berliner Kodex (Diez qu. 107 = R) benutzt; den fa'i-
difchen Text, der nur fehr fragmentarifch erhalten ift,
hat Crum nach einem Londoner Papyrus [Brit. Mus.
Coptic Pap. XXXVI = B) mit englifcher Überfetzung
hinzugefügt. Diefe koptifchen Fragmente gehören dem
6. und 7. Jahrhundert an und laffen die griechifche Grundlage
befonders deutlich erkennen.

Damit ift für die Datierung diefer Canones bereits
ein terminus ad quem gegeben. Riedel weift aber mit
z. T. unwiderlegbaren Ai gumenten nach, daß diefe kirchlichen
Beftimmungen viel älter fein müffen. daß fie dem
vierten Jahrhundert angehören. Das m. E. durchfchla-
gendfte Argumente ift, daß der Verfaffer (§ 25) von dem
Meletianifchen Schisma als einem zu feiner Zeit entftan-
denen redet und mit befonderer Leidenfchaft gegen die
Anerkennung der Meletianier als Kirche und gegen die
Benutzung ihre Gefänge polemifiert. Wenn er ferner
berichtet, daß er fleh aus feiner Jugendzeit erinnere, daß
einft ein Kirchendieb der weltlichen Obrigkeit zur Be-
ftrafung überliefert wurde, fo kann der Veifaffer fiühftens
beim Beginn der konftantinifchen Ära als ein jüngerer Mann
gelebt haben. Die Verhältniffe der Mönche und Nonnen
fcheinen fchon ziemlich entwickelt und eine kirchliche
Prachtentfaltung in goldenen und filbernen Altären, koft-
baren Gefäßen und Gewändern zeigt ebenfalls, daß die
ftaatliche Anerkennung und Verweltlichung nicht mehr
ganz jung ift. Eine arabifche Tradition des II, Jahrhunderts
nennt nun, vermutlich auf Grund koptifcher
Überlieferung, Athanafius den Großen als den Verfaffer.
Das Schweigen der griechifchen Überlieferung macht
aber dies Zeugnis verdächtig. Daß der Verfaffer Ägypter
und zwar höchft wahrfcheinlich Alexandriner war, ift
richtig; daß er aber Bifchof oder gar Patriarch gewefen
fein müffe, um folche Votfchriften niederfchreiben zu
können, ift zu viel getagt. Allerdings paffen feine Worte
fehr wohl in den Mund eines kirchlich hochgeftellten
Mannes, der überdies aus reicher Lebenserfahrung urteilt