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Ausgabe:

1906 Nr. 26

Spalte:

711-712

Autor/Hrsg.:

Thilo, Chr. A.

Titel/Untertitel:

Fr. H. Jacobis Religionsphilosophie 1906

Rezensent:

Mayer, Emil Walter

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7ii

Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 26.

712

inter culpam peccati et poenam peccato debitam
(S. 525—527). Culpa capitalis dcleri non potest per
opera quaecutique, sed sola dci gratia et misericordia . . .
erant ergo opera illa in satisfactionem pro peccatis tarn
dimissis a deo iniuncta (S. 528). Diefe Auffaffung, nach
der im Fegefeuer zwar peccata venialia, aber nur poeuae
peccatorum mortalium getilgt werden, ift korrekt katholifch
(f. den Artikel Fegfeuer im K. L2). — Aus der Einleitung
zu den dispittationes contra Lutheranos erfahren wir, daß
die Lutherfche Lehre auch im Haufe der Brüder des ge-
meinfamen Lebens in Amersfoort Anhänger gefunden hatte.

Auf Einzelheiten in den verfchiedenen Schriften kann
ich hier leider nicht eingehen; es genüge der allgemeine
Hinweis, daß man Luther nie ohne die Schriften feiner
Gegner lefen follte, man wird dann ihm und den Gegnern
gerechter.

Gießen. Köhler.

Sprenger, Jakob, und Heinrich Inltitoris, Inquifitoren,
Malleus Maleficarum. Der Hexenhammer. Zum erften
Male ins Deutfche übertragen und eingeleitet von J.
W. R. Schmidt. Drei Teile. Berlin, H. Barsdorf
1906. 8° M. 20 —; geb. M. 23.50

L Was fich bei der Zauberei zufammenfindet. i. Der Teufel.
2. Der Hexer oder die Hexe. 3. Die göttliche Zulaffung. (XLII,
216 S.) M. 6—; geb. M. 7.25. — II. Die verfchiedenen Arten und
Wirkungen der Hexerei und wie folche wieder behoben werden können
. (VI, 273 S.) M. 8—;-geb. M. 9.50. — III. Der Kriminal-
Kodex: Uber die Arten der Ausrottung oder wenigflens Beftra-
fung durch die gebührende Gerechtigkeit vor dem geiftlichen oder
weltlichen Gericht. — Index über alle drei Teile. (VII, 247 S.)
M. 6 —; geb. M. 7.25.

Eine Verdeutfchung des malleus maleficarum kommt
zwar nicht dem bekannten ,Bedürfnis' entgegen, aber fie
wird doch willkommen geheißen werden können, zumal
wenn fie, wie Schmidts Vorwort betagt, nicht den In-
tereffen der Senfation und Lüfternheit, fondern der Anbahnung
eines gerechteren Urteils dienen will. Schmidt
hat völlig recht, ,daß man im allgemeinen über feine
(des malleus) Verfaffer wie über feinen Inhalt zu hart,
vor allen Dingen zu einfeitig geurteilt hat. Indem man
es für gewöhnlich verfchmähte, der Entwicklung der Idee
des Teufels- und Hexenglaubens, der Ausbildung des
gefamten Lehrgebäudes der Dämonologie durch viele, viele
Jahrhunderte hindurch nachzufpüren, gelangte man fchnell
zur bedingungslofen Verurteilung des Hexenhammers,
ohne fich um die Frage nach etwaigen mildernden Um-
ftänden zu kümmern'. ,In der Tat zeigt fich uns (wie
Schmidt im Hinblick auf Hanfens Buch fagt) der malleus
nur als der Schlußftein eines Baus, an dem viele Jahrhunderte
gearbeitet haben; uns mag diefes Gebäude eine
Schmach für die Menfchheit und für das Chriftentum
fein, was kein anftändiger Menfch bezweifelt — die
Tatfache, daß der malleus maleficarum eben nur die
letzten Konfequenzen aus den offen zutage liegenden
Prämiffen zieht, enthält die einzig richtige und zwang-
lofe Erklärung der Exiftenz jenes ,düfteren' Buches und
......auch die allein zuläffige Entfchuldigung' (S. XI).

Die Überfetzung fchließt fich eng an die Vorlage
an, ift daher nicht fehr gewandt; nach Stichproben zu
urteilen, gibt fie die Gedanken des Originals zwar nicht
immer ganz präzis, aber ausreichend wieder.

Gießen. Köhler.

Thilo, Ch.A., Fr. H. Jacobis Religionsphilosophie. (Religions-
philofophie in Einzeldarftellungen. Hrsg. von O.
Flügel. Heft 2.) Langenfalza, H. Beyer & Söhne
1905. (XX, 54 S.) gr. 80 M. 1.20

Im erften, einleitenden, Teil diefer Schrift wird zu-
nächft Jacobis Einfluß auf die Gegenwart befprochen

und offenbar ftark überfchätzt. Denn er befteht höch-
ftens noch als ein vermittelter, als ein unmittelbarer gewiß
nicht mehr; erft recht ift es fraglich, ob gerade diejenigen
, die ,fich um den Namen Ritfehl fcharen', ihm
befonders ausgefetzt waren oder find. Darauf wird des
Philofophen Stellung zum Chriftentum erörtert und in
einen etwas überrafchenden Zufammenhang mit der ent-
fprechenden Stellung Rouffeaus, H. S. Reimarus' und des
Nationalökonomen von Thünen gebracht.

Im folgenden Hauptteil wendet fich der Verf. dem
eigentlichen Thema zu. Nachdem er kurz Jacobis inneres
Verhältnis zu Kant, Fichte, Schelling und feine Auffaffung
von den Aufgaben der Philofophie im allgemeinen
gekennzeichnet hat, fchildert er feine .Religions-
philofophie', das heißt, fpeziell feine Gedanken über die
Unzulänglichkeit des Verftandes zur Gotteserkenntnis
und über die Qualifikation der Vernunft zum religiöfen
Organ.

Folgt eine eingehende Kritik in zwei Abfchnitten,
deren erfter fich gegen die Unterfchätzung des Verftandes
, deren zweiter fich gegen die Überfchätzung der
,Vernunft' durch Jacobi richtet. Den Befchluß bildet
eine Auseinanderfetzung mit des letzeren Beurteilung
des Pantheismus.

Der Schrift als Ganzes genommen haften diefelben
Eigentümlichkeiten an, wie den bereits früher befproche-
nen Publikationen des Autors über Schleiermachers
und Kants Religionsphilofophie: der höchfte Wertmaß-
ftab bleibt Herbart; wer eine möglichft objektive, ausfuhrliche
und liebevolle Wiedergabe der Anfchauungen
Jacobis erwartet, kommt nicht ganz auf feine Rechnung:
die eigentliche Darftellung befchränkt fich auf 13 Seiten;
um fo reichlicher fällt wieder die Kritik aus, die durch
eine folche innere Anteilnahme, um nicht zu fagen,
Leidenfchaftlichkeit erwärmt wird, als ob es wirklich
gälte, einen lebenden Feind zu fällen. Stil und Diktion
gewinnen übrigens eher bei diefem Hereinfpielen des
Affekts, als daß fie verlieren: wenn nur nicht auch die
vielen Druckfehler wären!

Straßburg i. E. E. W. Mayer.

Westermarck, Edward, Ph. D., The Origin and Development
Of the Moral Ideas. In two volumes. Vol. I. London,
Macmillan & Co. 1906. (XXI, 716 p.) gr. 8° s. 14 —

Das Werk kündigt fich als eine Unterfuchung über
die Entflehung und Entwicklung der fittlichen Vorfiellungen
an. Derartige Arbeiten find in Deutfchland
nicht häufig. Zwar fehlen fie nicht ganz: man darf an
das Buch Rees über das Gewiffen, an die Schriften von
Wundt und Münfterberg, an die Publikationen Pofts,
Kohlers, Steinmetz', Gerlands und anderer erinnern. Aber
alles in allem wird dem Thema hierzulande nicht die-
felbe Aufmerkfamkeit entgegengebracht, wie beifpiels-
weife jenfeits des Kanals. Die Aufmerkfamkeit richtet
fich vielmehr bei uns vorwiegend auf die formalen Merkmale
der ethifchen Normen. Zugleich betont man gern,
daß deren Geltung nicht abhängig fei von der Art ihrer
Entflehung. Das ift nun im allgemeinen gewiß richtig.
Das begründet aber durchaus nicht das Recht der Gleichgültigkeit
gegen die Frage nach dem Urfprung und der
Gefchichte der fittlichen Begriffe. Und fo haben wir
denn allen Grund, jeden Beitrag zur Löfung diefes
Problems dankbar zu bewillkommnen, vorausgefetzt, daß
er nur einigermaßen leiftet, was er verfpricht.

Der Verf. hat fich auf feine Aufgabe unter anderm
dadurch vorbereitet, daß er vier Jahre unter der Landbevölkerung
Marokkos zugebracht hat: er glaubt dem
Aufenthalt dafelbft ein feineres Verftändnis für manche
Gebräuche einer von der europäifchen verfchiedenen
Kulturftufe zu verdanken. Bei einigen wird diefer Um-
ftand vielleicht ein günftiges, bei andern eher ein ent-