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Ausgabe:

1906

Spalte:

653-654

Autor/Hrsg.:

Burger, Franz Xaver

Titel/Untertitel:

Minucius Felix und Seneca 1906

Rezensent:

Knopf, Rudolf

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653

Theologifche Literatu

rzeitung 1906 Nr. 24.

654

daß fein Essay in der Hauptfache die Anfchauung des
apoftolifchen Zeitalters und feiner Bedeutung für die
Gefchichte des alten Chriftentums wiedergibt, wie fie
von Ritfehl (und von der nach ihm genannten Schule)
vertreten wird. Man muß es außerordentlich anerkennen,
wie er es verbanden hat, den reichhaltigen Stoff zu
meiftern, die zahlreichen Probleme vorzuführen oder doch
wenigftens zu ftreifen und ihre Löfungen pofitiv, ohne
jede Polemik zu geben. Umfaffende Kenntnis der Literatur
, eingehende Befchäftigung mit den Problemen ging
voran; nur fo konnten die Vorträge in diefer leicht
flüffigen Form gelingen. Auch der Fachmann wird fich
an ihnen erfreuen, weil er fieht, wie lange und getreue
Arbeit, an der viele Anteil gehabt haben, eine Auffaffung .
des Urchriftentums begründet hat, auf der in breiter
Linie Verftändigung erreicht ift, und von der aus weiter
gearbeitet werden kann.

Marburg i. H. Rudolf Knopf.

Burg er, Dr. Franz Xaver, Minucius Felix und Seneca.

München, C. H. Beck 1904. (65 S.) gr. 8» M. 1.50
Das Thema: Minucius Felix und Seneca, ift fchon oft
behandelt worden. Ein Philologe ergreift in der vorliegenden
Veröffentlichung das Wort. Er faßt die Arbeit
feiner Vorgänger zufammen und führt fie weiter.
Ausdrücklich befchränkt er fich dabei auf die philo-
logifche Seite der Frage; die fachliche Abhängigkeit des
Minucius von den durch Seneca vertretenen ftoifchen
Anfchauungen zu ergründen, überläßt er dem Philofophen
und Theologen.

In 2 Teilen führt B. feine Unterfuchung durch: I) Die
inhaltlichen Beziehungen des Octavius zu den Schriften
des Seneca (S. 7—39); II) Der Einfluß des Seneca auf
die Sprache des Minucius Felix (S. 39—59). Im erften
Teile bringt B. mehr als 50 Stellen aus dem Octavius,
in denen Minucius von einzelnen Gedanken und Bildern
des Seneca abhängig ift oder abhängig fein kann. (Beifpiele:
Oct. 11, I. 3 und Sen. Dial. XI I, 2 f.; Oct. 16, 5 f. und Sen.
*7>. 44, 1—3, ep. 90, I; Oct. 18, 7 und Sen. C/em.I 19, 2;
Oct. 22, 1 und Sen. bei Aug. De civil. Dei VI IO; Oct. 23,
4. 7 — 8 und Sen. Dial. X 16, 5. VII 26, 6; Oct. 32,7—9,
und Sen. ep. 41, 1. 5; Oct. 37, 1 und Sen. Dial.l 2, 9). Im
2. Teile gibt er zunächlt die phrafeologifchen Entlehnungen
des Minucius aus Seneca: 55 Stellen des
Octavius führt er famt ihren Parallelen aus Seneca an
(Beifpiele: Oct. 1, I und Sen. Dial. IX 4, 3; Oct. 5, 13 und
Sen.*/. 94. 73; Oct. 19, 4 und Sen. NQ. III, 14,2; Oct. 38, 5
und Sen. ep. 94, 9). Dann geht er weiter dazu über, fti-
liftifche Eigentümlichkeiten aufzuzeigen, die Minucius
mit Seneca teilt, und bei denen vermutet werden kann,
daß Seneca feinen Nachfolger beeinflußt habe. B. zählt
auf: 1. Die Auflöfung der Periode zu unabhängigen
Parallelfätzen (vgl. befonders Oct. 36 u. 37); 2. einen bemerkenswerten
Gebrauch des ,generellen Plurals'; 3. Verbindung
verfchiedener Steigerungsgrade miteinander;
4. Verbindung von fubftantiviertem Neutrum des Adjektivs
mit einem Subftantiv im Genitiv; 5. Imperativ mit folgendem
Futurfatz; 6. temporaler oder konzeffiver Vorderfatz
mit folgender rhetorifcher Frage; 7. Anaphora, befonders
der Konjunktion dum; 8. Bevorzugung des trennenden
sed vor dem verbindenden autetn; 9. Antimetabole. —
Eine Zufammenftellung der Bücher des Seneca, die Minucius
ficher, wahrfcheinlich oder vielleicht gekannt hat,
bildet den Schluß der Abhandlung (S. 59—63).

Ich bin außerflande zu bem teilen, ob die beiden
langen Aufzählungen, die B. im erften und zweiten Teil
gibt, vollftändig find. Aber ein fehr gutes Vorurteil
muß es erwecken, daß B. bei feiner Arbeit über die von
feinen Vorgängern aufgeftellten Liften hinausgekommen
ift. An einem anderen, für die Beurteilung der vorliegenden
Arbeit fehr wichtigem Punkte fleht auch dem
Nichtfpezialiften ein Urteil zu. Es betrifft die Frage,

ob B. bei der Einfehätzung der Parallelen die nötige
Vorficht angewandt hat. Und hierbei ift der Arbeit ohne
weiteres unbedingtes Lob zu fpenden. B. hat die beigebrachten
Parallelen aus Seneca in drei Klaffen eingeteilt
: folche, bei denen die Benutzung durch Minucius
Felix ficher, folche, bei denen fie fehr wahrfcheinlich
oder wahrfcheinlich, und endlich folche, bei denen fie
möglich ift. Durchwegs fällt dabei die ruhige Befonnen-
heit auf, die er bei der Befprechung und Klaffifizierung
der Senecaftellen anwendet.

Marburg i. H. Rudolf Knopf.

Loefchcke, Gerhard, Das Syntagma des Gelafius Cyzicenus.

(Bonner Diff.) Bonn, Carl Georgi 1906. (71 S.) 8°

Wieder eine Rettung! Die Sammlung von Quellen
zur Gefchichte des nieänifchen Konzils und der Religionspolitik
Konftantins, die den Namen eines Gelafius von
Cyzicus trägt, war, foweit fie fich nicht mit den aus Eufeb
und Genoffen geftohlenen Federn fchmückt, bisher faft
allgemein als eine Anhäufung alberner Fabeleien verachtet
worden; Löfchcke erkennt dem Buch des Gelafius
,einen ganz einzigartigen Wert für uns' zu; der armfelige
Gelafius fei der einzige Schriftfteller, der uns größere
Stücke der nieänifchen Akten erhalten hat.

Die Rettung ift keine uneingefchränkte; ,Gelafius ift
einer der unbedeutendften Schriftfteller', urteilt auch L.
S. 24; er ftclle nur ein Mofaik aus feinen nicht einmal
fonderlich zahlreichen Quellen dar und habe aus eignem
faft nichts hinzugetan. In Wirklichkeit fteigert ja aber
diefe Enthältfamkeit des Kompilators für uns den Nutzen
feiner Arbeit; je fklavifcher er fich an die Alten hält,
ohne eigene Tendenz, ohne auch nur feinem Gefchmack
auf die Form Einfluß zu gewähren, um fo unmittelbareren
Zugang gewährt er uns zu dem von ihm noch ausge-
fchriebenen, feitdem verlorenen Urkundenwerken.

L. führt feine Sache mit großem Gefchick. In Ab-
fchnitt I ftellt er zufammen, was über Gelafius, fein Werk
und feine Quellen — teils aus ihm felber, teils aus Pho-
tius, vor allem durch Vergleichung mit den nach eigner
Angabe von ihm benutzten und uns noch erhaltenen
Gefchichtswerken — fich auftreiben läßt; eine Analyfe
des gefamten Gelafius ergibt das Refultat, daß ihm Eufebs
Kirciiengefchichte, eine griechifche Überarbeitung der
2 letzten Bücher von Rufins Iiistoria ecclesiastica, in
geringerem Umfang Sokrates und Theodoret zugrunde
liegen. Zieht man ein par Stücke ab, welche Klammern,
Zwifchenbemerkungen des Autors und inhaltslofes Gerede
von ihm (z. B. II c. 25) enthalten, fo bleibt ein verhältnismäßig
kleiner (?) Reft übrig, der Erzählungsftücke
und Urkunden bietet, und zwar — nach den vorher als
zuverläfiig erwiefenen Quellenangaben des Kompilators —
1) aus der Kirchengefchichte eines Johannes (um 400!)
und 2) aus einem älteren anonymen Werke gefchöpft fein
muß, das bloß nach feinem früheren Befitzer, einem
Bifchof von Cyzicus, den Namen des Dalmatius trägt.
In Abfchnitt II (S. 25—43) unterfucht L. die wahrfcheinlich
aus Johannes entnommenen, unferm Syntagma mehr
oder weniger eigentümlichen Konftantinbriefe, 1) den an
die Synode von Tyrus, 2) den an Arius und den an die
Nikomedier, 3) den an Theodotus von Laodicea und an
Bifchof Alexander von Alexandrien. Der dritte, letzte
Abfchnitt (S.43—68) — denn nur durch ein Druckverfehen
erfcheint S. 67 der Paragraph über die Diatyposeis als
Abfchnitt IV, er ift der kleinfte, letzte Teil des
3. Kapitels — befchäftigt fich mit dem Buch des Dalmatius
. Nachdem die Möglichkeit, ja Wahrfcheinlichkeit
dargetan ift, daß die Synode von Nicäa auch ihre Protokolle
veröffentlicht hat, zum minderten, daß es einft
nieänifche Akten gegeben hat, wird die Begrüßungsrede
Konftantins, die bloß ,Ualmatius' überliefert, als echtes
Stenogramm dargetan; da ihre letzten Sätze auch bei
Theodoret I 7 begegnen, ift das Vertrauen L.s begreiflich,