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Ausgabe:

1906 Nr. 23

Spalte:

627-628

Autor/Hrsg.:

Wieland, Franz

Titel/Untertitel:

Mensa und Confessio. Studien über den Altar der altchristlichen Kirche 1906

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Seite 1

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627

Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 23.

628

Wieland, Subreg. Dr. Franz, Mensa und Confessio. Studien
über den Altar der altchriftlichen Liturgie. I. Der
Altar der vorkonflantinifchen Kirche. (Veröffentlichungen
aus dem kirchenhiftorifchen Seminar
München. II. Reihe Nr. 11). München, J. J. Lentner
1906. (XVI, 167 S.) 8° M. 3 —

Eine mufterhafte Unterfuchung, die ich mit befon-
derer Freude zur Anzeige bringe. An den Ergebniffen
weiß ich fchlechterdings nichts auszufetzen, und auch
im Einzelnen, der Behandlung der Texte und der Beweisführung
, wird man nur an wenigen Stellen Einwürfe
erheben können (die Acta Theodoti find m. E. beifeite
zu laffen; die ,sacraria' bei Minucius F'eüx müffen beachtet
werden; S. 111 f. ift die Interpretation einer Stelle
in den Acta Petri Vercell. doch wohl, zu fcharf). Auf
den erften 106 S. zeigt der Verfaffer, nachdem er den
Opferbegriff des erften und zweiten Jahrhunderts vorzüglich
entwickelt und die Gefchichte der Kirchengebäude
dargeftellt hat, daß es einen ,Altar' in den beiden
erften Jahrhunderten überhaupt nicht gegeben hat (auch
nicht in den Cömeterien). Erft vom Anfang des dritten
Jahrhunderts an, nachdem Irenaus mit jener ,Erweiterung'
des Opferbegriffs begonnen hatte, die dann Cyprian fortfetzte
, tritt der ,Altar' in die Erfcheinung — aber zu-
nächft als etwas tranfitorifches, d. h. die Hochfehätzung
und Verehrung des euchariftifchen Tifches als Altar gilt
immer nur für die Dauer der Liturgie; ift fie beendet, fo
ift auch der Tifch, der jedesmal eigens bereitgeftellt und
gefchmückt wurde, ohne Bedeutung. Erft im Zeitalter
Konftantins wird der Altar als etwas Dauerndes und j
Verehrenswertes, als das Allerheiligfte ftabiliert — nicht j
überall zu gleicher Zeit, aber im allgemeinen fällt feine
Erhöhung ungefähr zufammen mit der Epoche, da das
Chriftusmonogramm über die Legionsfeldzeichen empor-
ftieg, ,und was frühere Jahrhunderte fo oft im Gegen-
fatz zu einem materiellen Altar empfunden hatten, das
empfängt von jetzt an grade in dem Altar fein herr-
lichffes Symbol': der Altar ift die Darftellung der Gegenwart
Jefu Chrifti in dem Gotteshaufe (Eufebius). ,Vom I
Beginn des zweiten Jahrhunderts an wurden auch die
Verftorbenen in die Gemeinfchaft der Euchariftie einbezogen
, indem man diefelbe an den Beftattungs- und Gedächtnistagen
in der Nähe des Grabes, gewöhnlich aber
in den Cömeterialkapellen teils als offizielle Feflfeier,
teils als private Funeralagape darbrachte. Eine äußere
Beziehung zwifchen Altar und Grab beftand aber nicht,
fondern nur ein idealer Zufammenhang zwifchen Eucha-
rifiiefeier und Verftorbenen. Deshalb muß für die vor-
konftantinifche Kirche das Altargrab abgelehnt werden'.

Der Verf. hat feine Unterfuchungen nicht mit viel
Polemik befchwert. Wo er polemifiert — z. B. bei der
Interpretation der Cömeterien-Denkmäler — fcheint er
mir im Rechte zu fein. Aber im Grunde ift feine ganze
Abhandlung eine fiegreiche Polemik gegen traditionelle
katholifche Vorftellungen. Daß der Verfaffer katholifchen
Glaubens ift, tritt nirgendwo hervor, es fei denn in der
beiläufigen Prädizierung des Hebräerbriefes als eines
paulinifchen Schreibens. Die Methode unbefangener und
reiner Beobachtung und Deutung der Tatfachen der
älteften Kirchengefchichte macht immer ficherere Fort-
fchritte: das ift eine erquickende Erfahrung in der
Gegenwart, die für viele Widrigkeiten entfehädigt. Ihre
Frucht wird bleiben und fortdauern, wenn jene Widrigkeiten
längft vergelten find! Möge nur die proteftanifche
kirchenhiftorifche Forfchung hinter der katholifchen,
die einen fo großen Auffchwung in Deutfchland genommen
hat, nicht zurückbleiben, fondern in edlem Wett-
ftreit mit ihr zufammenwirken!

Der Verf. hat gezeigt, wie lange fich ein geiftigerer
Opferbegriff mit feinen Folgen in der Kirche gehalten
hat. Vielleicht werden unfere modernen umgekehrten ,Sa-

kramentierer' nun der bedrohten katholifch-traditionellen
Auffaffung zu Hilfe kommen. In der Tat wäre wohl noch
zu unterfuchen, ob nicht in den gnoftifchen Gemein-
fchaften die ,Entwickelung', welche die Kirche feit der
Mitte des 3. Jahrhunderts erlebt hat, auch an diefem
Punkte fchon vorweggenommen worden ift.

Berlin. A. Harnack.

Tertulliani, Q. Sept. Florent, Opera. Ex recensione
Aemilii Kroymann. Pars III. (Corpus scriptorum
ecclesiasticorum latinorum. Editum consilio et im-
pensis Academiae Literarum Caesareae Vindobonensis.
Vol. XXXXVII.) Vindobonae, F. Tempsky; Lipsiae,
G. Freytag MDCCCCVI. (XXXVIII, 650 p.) gr. 8»

M. 20 —

Von dem bei der Ausgabe des erften Teils der
Schriften Tertullians im Wiener Corpus Script, eccl. tat.
— ex recensione A. Reifferscheid et G. Wissowa —- 1890
angekündigten zweiten Teil erfcheint hier mit dem Titel
,pars III' bloß eine Hälfte; die Zerlegung war notwendig,
wenn die einzelnen Bände an Umfang überhaupt noch
vergleichbar bleiben follten. Pars II mit dem Reft der
im Cod. Agobardinus erhaltenen Schriften, darunter be-
fonders wichtig de praescriptione haereticorum und de
carne Christi, wird, von der kundigen Hand des fchon
um Band I hochverdienten Wiffowa hergerichtet, bald
erfcheinen; für den i. J. 1901 an Kroymann, einen als
gründlichen Kenner Tertullians bereits bewährten Philologen
, abgegebenen Teil ift durch die vorliegende Publikation
der Beweis erbracht worden, daß wir nicht um-
fonft lange gewartet haben. Ohne Bedenken rechne ich
diefe Ausgabe zu den ruhmvollften Beftandteilen der
Wiener Kirchenväterausgabe und fehe in ihr ein Meifter-
ftück philologifcher Kunft.

Etwa von de patientia abgefehen find es antihäreti-
fche Schriften, die den Band füllen, de carnis resurrectione,
adv. Hermogenem, adv. Valentinianos, adv. omnes hae-
reses, adv. Praxean und die 5 Bücher wider Marcion. Sie
find in zwei Handfchriften des II. Jahrhunderts (oder
wenigftens in einer von beiden) erhalten, außerdem noch
in zwei jungen Florentiner Codices; in den Ausgaben
des 16. Jahrh. konnten außerdem einige, jetzt verfchwun-
dene ältere Zeugen verwertet werden. Über den Stand
der Überlieferung gibt Kr. in der Vorrede Befcheid; fein
wohl abgewogenes Urteil erweckt zunächft geringe Hoffnung
, daß wir felbft bei forgfamfter Benutzung aller
Traditionen weiter zurück gelangen als zu einem Clunia-
cenfifchen Text vielleicht des 9. Jahrh., deffen ungeheurer
Abftand von dem Urtext keinen Augenblick verborgen
bleiben kann: von de carne Christi find Kapp. I—Ii nämlich
auch in dem andern Zweig der Überlieferung, den der
Agobardinus repräfentiert, vertreten, und wie verfchieden!
Am heillofeften verderbt find die Streitfchriften gegen
Hermogenes und gegen die Valentinianer. Unfere beiden
Handfchriften (P und M) geben fich großenteils fchon als
Verfuche, den unerträglichen Text lesbar zu machen; ihre
Emendationen find aber begreiflicherweife gefährlicher als
der Unfinn ihrer Vorlagen. Denn was den glücklichen
Emendator macht, ift, wie auch diefe Ausgabe zu lehren
geeignet ift, nicht allein, nicht einmal in erfter Linie Ge-
fchick und Scharffinn, fondern genaue Vertrautheit mit
Geift und Sprachgebrauch des alten Autors und forg-
fältige Beobachtung der in feiner Überlieferung charak-
teriftifchen Fehler und Verderbniffe: wenn all diefe Vorzüge
fich mit Befonnenheit und einem gefunden Sinne
für das Wahrfcheinliche und Einfache verbinden, dann
find felbft Tertullians Texte, wie wir nun dankbar anerkennen
, nicht hoffnungslos verloren.

Daß K. die vorhandenen Quellen fämtlich und aufs
genauefte durchgeprüft hat, verfteht fich von felbft; gottlob
verlieht er auch, das Refultat diefer Studien, den