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Ausgabe:

1906 Nr. 22

Spalte:

596-597

Autor/Hrsg.:

Harnack, Adolf

Titel/Untertitel:

Eine neue Ignatiushandschrift 1906

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Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 22.

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mutungen ausgefüllt. Auch wieweit in diefem Aflralfyftem
ein Monotheismus fleckt, will ich hier nicht beurteilen.
Aber dazu fühle ich mich berufen, auf die Art hinzuweifen,
wie der Verf. S. 39ff. den Monotheismus des Aftralfyflems
auf kanaanäifchem Boden als dorthin übertragen wieder
findet. Unter den Argumenten, die er dafür angibt,
fcheinen mir zwei die Hauptftützen zu bilden; jedenfalls
find fie für das Verfahren des Verfis charakterifiifch: 1) in
den Infchriften von Sendfchirli aus dem 8. vorchriftlichen
Jahrhundert fleht in der Aufzählung der Gottheiten an
zweiter Stelle El; 2) nach Gen. c. 14 beftand zu Abrahams
Zeit in Kanaan Verehrung des El 'eljon. Der Gott, der
in Sendfchirli an zweiter Stelle fleht, ifl nach dem Verf.
zu denken als ein die andern neben ihm genannten
Götter dermaßen überragendes Wefen, daß er bezeichnet
werden konnte mit einem Namen von dem Klang, ,den
wir aus unferm Worte »Gott« heraushören' (S. 39). Der
Ausgangspunkt diefer Beurteilung ifl der Umfland, daß
in den nordfemitifchen Dialekten das Wort El die allgemeine
Bezeichnung für Gott ifl. Aber diefe allgemeine
Bedeutung kann doch aus der fpeziellen als Name eines
befondern Gottes entflanden fein, und die Aufzählungen
der Infchriften von Sendfchirli fcheinen mir zu zeigen,
daß es fo liegt, da eben nicht El fondern Hadad die
erfle Stelle einnimmt. Wie der Verf. die Angaben von Gen.
c. 14 für die Religion in Urufalim ,um die Zeit gegen
2000 v. Chr.' (S. 56) verwerten kann, verflehe ich nicht,
da er doch über das Alter der uns vorliegenden Erzählung
fich referviert ausfpricht (S. 61). Auch wenn der Gottesname
El 'eljon alt fein follte, fo wäre darin doch noch
nichts zu finden von dem aftralen und in irgendwelchem
Sinne monotheiflifchen Charakter diefer Gottheit.

Der Verfuch des Verf.s, einen vormofaifchen Monotheismus
auch für die Weftfemiten zu konfluieren, hat
übrigens für feine Annahme der Entftehung des Mofai-
fchen Monotheismus aus der religiöfen Perfönlichkeit des
Mofe m. E. nichts zu bedeuten. Die beiden Arten des
Monotheismus verhalten fich nach dem Verf. zu einander
wie ,philofophifcher Pantheismus'und ,religiöfer Theismus'
(S. 47; vgl. S. 88). Ebenfogut wie den angeblichen Einen
Gott des Aftralfyflems kann der Mofaifche Gott den
Einen, andere göttliche Mächte überragenden, Stammesgott
zum Subftrat haben. Die Berufung auf den Priefler-
kodex, der aus dem ,abftrakten' Elohim Abrahams den
Nationalgott Jahwe des Mofe werden läßt, als auf ein
Zeugnis ,guter hiftorifcher Überlieferung' (S. 56) ifl doch
wohl eine Umkehrung der gefchichtlichen Folge. Der
Verf. verkennt, daß Geftirne auch außerhalb der ,Aftral-
theologie' verehrt worden find. Auch in den Religionen
der Nomaden fpielen fie eine Rolle, und die gemeinfame
,altorientalifche Aftralreligion' ifl eine Chimäre. Aber
der Verf. braucht die ,altorientalifchen Spekulationen'
weiter, um durch ihre Aufnahme in den Jahwe-Glauben
den Jahwe Mofes zum ,Weltengott' werden zu laffen
(S. 99ff.). Ich finde in der Fortbildung des Monotheismus
der Jahwe-Religion nach Mofe keine Spuren für diefe Herkunft
. Ganz befonders aber kann ich nicht urteilen, daß
wir durch die religionsgefchichtlichen Konftruktionen des
Verf.s dem Verftändnis des Anfangspunktes des alttefta-
mentlichen Monotheismus näher gebracht wären. Seine
Entftehung wird für alle gefchichtliche Erkenntnis immer
ein Rätfei bleiben, eben deshalb weil fie nach der richtigen
Anfchauung des Verf.s in das Innenleben einer
religiöfen Perfönlichkeit oder vielmehr einer Reihe von
religiöfen Perfönlichkeiten zu verlegen ifl.

Daß diefe Schrift fich bezeichnet als ,ein Wort zur
Revifion der entwicklungsgefchichtlichen Auffaffung der
israelitifchen Religionsgefchichte' finde ich trotz der erläuternden
Bemerkungen S. 108 nicht berechtigt. Des
Verf.s eigene Anfchauung ifl wie jede andere, die ge-
fchichtlich ifl oder fein will, doch auch eine entwickelungs-
gefchichtliche, nur daß er einzelne religiöfe Erkenntniffe
(ich glaube, zum Teil mit Recht) einer frühern Periode

zuweift: als diejenigen, die nach ihm Vertreter der ent-
wickelungsgefchichtlichen Auffaffung find.

Der Verf., der auch in diefer Schrift ein Verftändnis
für Religiöfes bekundet, das ohne Frage eigenem lebendigen
religiöfen Empfinden entflammt, ifl leider durch
eine religionsgefchichtliche Konftruktion, die er von andern
überkommen hat, verleitet worden, richtige Erkenntniffe
über das Werden der altteftamentlichen Religion in
allgemein ,religionsgefchichtliche' Zufammenhänge hinein-
zuftellen, für die eine gefchichtliche Bezeugung fich nicht
erbringen läßt, wenigftens bis heute nicht erbracht worden
ifl. Zunächft ifl auf religionsgefchichtlichem Gebiet noch
eine Menge von Einzelheiten feftzuftellen, ehe fo um-
faffende und fo weit zurückreichende Fragen, wie die
vom Verf. aufgeworfenen, fich befriedigend beantworten
laffen, foweit das überhaupt jemals möglich fein wird.

Berlin. Wolf Baudiffin.

Eine neue Ignatiushandichrift.

Unter den Papyrus-Schätzen des Berliner Mufeums
hat Karl Schmidt jüngft ein ziemlich gut erhaltenes
Doppelblatt eines griechifchen Papyruskodex entdeckt,
welches auf feinen vier Seiten (28—29 Zeilen auf der
Seite; c. 31—35 Buchftaben auf der Zeile) Ignat. ad
Smyrn. c. 3, 8 (öWEcpayEv) — c. 12, 1 (vficöv o§), alfo etwa
V10 der 7 Briefe enthält. Die Schrift ifl ältere Majuskel;
eine beftimmtere Datierung wage ich nicht; aber das
Blatt ifl alt, vielleicht fehr alt. Schmidt, der z. Z. in
Ägypten ifl, hat mich erfucht, den Fund nach feiner
Abfchrift, die ich an wichtigen Stellen nachkollationiert
habe, kurz zur Anzeige zu bringen.

Die echten Briefe des Ignatius find uns bekanntlich
nur in einer Handfchrift (Laurentianus) des ii. Jahrhunderts
überliefert; daneben gibt es eine umfangreiche
und verwickelte Überlieferung (längere Rezenfion, Latin,
[beide Rezenfionen], Syr., Armen., Kopt, umfangreiche
Zitate). Man darf daher fagen, daß die Entdeckung
eines neuen und befonders ehrwürdigen Zeugen für das
Original — fei es nur für ein Zehntel des Textes —
für die Ignatius-Kritik ein Ereignis ifl, zugleich aber
auch eine fehr erwünfchte Kontrole der Editionen.

Das Ergebnis der Vergleichung des neuen Zeugen
(IT) ifl folgendes: (1) er bringt an 20 Stellen bisher unbekannte
Lesarten (dies würde für die heben Briefe zufam-
men etwa 200 ergeben). Unter ihnen find drei andere Wort-
ftellungen, drei kleine Hinzufügungen (Idzlv, 6 zu d-eoq,
otm), fünf kleine Auslaffungen (zä, firj [wohl nur Verfehen],
öd, aXX cov [wohl nur Verfehen)) und neun Varianten. Von
diefen ifl zivct zcöv rjfiEZEQoov (11,3 für vfiEZEQcov) eine
bloße Verfchreibung, ebenfo Aya&oxoiovv c. 10, 1 für
'Aya&oJiovv und aOjrd^ofiai c. 12, 1 für döxd&zcu. C. 6, 2
lieft 17: xööq EvavzLoi eldiv zfj yvcöfiy zov Deov, zjj ayäzzq.
ov (IeXei avzolq ov jceqi %r)Qag xzX. Diefe LA verdient
vielleicht den Vorzug vor der bisher bekannten ^xeqI
ziqq dyazirjq und zü (liXsi bezogen). C. 10,1: ovöev vficöv
(nicht vfilv) ov ftrj dnoXEizai, c. 9,1: eoiq (nicht ojc), c. 11,1
sjiI zrjv AvziojEiav zrjq 2vnlaq (nicht ixl zijv hxxXifiiav
zrv ev AvzioyEia z. 2.), c. 11,3 rjörj ezv%ov iv zjj
XQOOEvyfi (das ev wird richtig fein, f. c. ii, 1 Iva ev zq
ziQOöEVxfi vficöv &eov ejiizvxoo; allerdings heißt es Ephel.
1,2 zy jiqoöevx'Ä vficöv EJiizvxElv), c. 12, i Boqqov (nicht
Bovqqov).

(2) Sieht man von diefen 20 Stellen ab, fo weicht
der neue Text von der Ausgabe Lightfoots (1885) nur
an 22 Stellen ab (von der Zahns an 21 Stellen; 15 von
ihnen find mit denen Lightfoots identifch). Das ifl:
für beide Ausgaben ein, treffliches Zeugnis. Noch wichtiger
aber ifl folgende Überficht. An den 22 Stellen, in
denen 77wider die Rezenfion Lightfoots fleht, geht er
(G = der Laurent. Graecus der echten Briefe, g = die