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Ausgabe:

1906 Nr. 31

Spalte:

583-585

Autor/Hrsg.:

Leibniz, Gottfried Wilhelm

Titel/Untertitel:

Philosophische Werke. 4 Bde 1906

Rezensent:

Mayer, Emil Walter

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Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 31.

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aus feiner Feder befitzen; aber im Heffenlande und in
Luthers Freundeskreife foll der treffliche Mann unver-
geffen bleiben.

Die Abhandlung ift Zug um Zug aus den Quellen
gearbeitet, und die einfchlagende Literatur, foweit ich
fehe, forgfam benutzt. Die Darfteilung lieft fich angenehm.
Leider fließen die Quellen über den erften heffifchen
Lutheraner äußerft dürftig; unfer emfiger Forfcher hat
unter den Beilagen nur drei unbekannte Briefe Schnabels
mitteilen können.

Zur Ablehnung des Rufes nach Danzig im April
1525 von feiten Schnabels (Seite 25) möchte ich eine
Bemerkung hinzufügen. Über die Sendung Bonholts
nach Wittenberg habe ich in meinem Urkundenbuche
der Ref.-Gefch. Preußens (3 Bde. Leipzig 1890) gehandelt.
Die Vokation nach Danzig gefchah mitten in einer revolutionären
Bewegung der Stadt, und die Lage eines evan-
gelifchen Predigers, der dahin ging, mußte eine höchft
bedenkliche werden. Vielleicht hat Schnabel davon gehört
und deshalb abgelehnt. Für Schnabel war das ein
großes Glück. Denn in Danzig unterdrückte der ultramontane
polnifche König Siegesmund I. gleich im
nächften Jahre mit Waffengewalt die ffädtifche Revolution
und zugleich die kirchliche Reformation. Der Geiflliche,
welcher an Schnabels Stelle nach Danzig gegangen war,
Michael Meurer aus Hainichen oder Hähnchen, wie
ihn Luther fchreibt, (lat. Gallicullus) mußte froh fein,
daß er in das Gebiet des Herzogs von Preußen flüchten
konnte und dort Unterkommen fand. Vor diefem Schick-
fal blieb Schnabel bewahrt und konnte fleh für fein
Heimatland refervieren. — Wir fchließen mit einem besonderen
Dank für das fchöne Denkmal, welches fein kundiger
Landsmann ihm pietätvoll gefetzt hat.

Göttingen. P. Tfchackert.

Leibniz, G. W., Philofophifche Werke. 4Bände. (Philofophi-

fche Bibliothek Band 107, 108, 69 und 71.) Leipzig,
Dürrfche Buchhandlung. 8° Geb. M. 24 —

I. Hauptfchriften zur Grundlegung der Philofophie. Überfetzt
von Dr. A. Buchenau. Durchgefehen und mit Einleitungen und Erläuterungen
herausgegeben von Dr. Ernft Caffirer. Band I. 1904.
(VIII, 375 S.) — II. Dasfelbe. Band II. 1906. (582 S.) — III. Neue
Abhandlungen über den menfehlichen Verftand. Ins Deutfche überfetzt
, mit Einleitung, Lebensbefchreibung des Verladers und erläuternden
Anmerkungen verfehen von C. Schaarfchmidt. Zweite Auflage.
1904. (LXVIII, 590 u. 120 S.) — IV. Die Theodicee. Überfetzt
von J. H. v. Kirchmann. 1879. (IV, 533 S. m. 2 Tafeln.)

Der erfte Band des gefamten Werkes ift bereits in
der Theologifchen Literaturzeitung 1905 Nr. 20 angezeigt
und gewürdigt worden. Er enthält Schriften zur Logik
und Methodenlehre, zur Mathematik, zur Phoronomie
und Dynamik und einzelne präludierende Abhandlungen
zur Mttaphyfik, die lediglich die gefchichtliche Stellung
des Syftems kennzeichnen follen.

Der zweite, fehr intereffante und wichtigfte Band
enthält die eigentlichen Schriften zur Metaphyfik, ferner
Schriften zur Ethik und Rechtsphilofophie, endlich einen
Anhang.

Die erfteren zerfallen in zwei Gruppen: I. Schriften
zur Biologie und Entwickelungsgefchichte; II. Schriften
zur Monadenlehre. Unter I. werden dargeboten:
1) Zwifchen Leibniz und Huyghens gewechfelte Briefe,
die zur Charakteristik der Leibnizfchen Begriffe der
Materie dienen; 2) die Betrachtungen über die Lehre
von einem einigen, allumfaffenden Geifte; 3) die Betrachtungen
über die Lebensprinzipien und über die plaftifchen
Naturen; 4) ein Brief über das Kontinuitätsprinzip, der
höchstwahrfcheinlich an Varignon gerichtet war. Über
das unter II. Dargebotene orientiert folgende Inhaltsübersicht
: 1) Über die Methode, reale Phänomene von
imaginären zu unterfcheiden; 2) Von dem Verhängniffe;

3) Metaphyfifche Abhandlung; 4) Briefe Leibniz' an Ar-
nauld; 5) Neues Syftem der Natur und der Gemeinfchaft
der Substanzen, wie der Vereinigung zwifchen Körper
und Seele; 6) Zur präftabilierten Harmonie; 7) Aufklärung
der Schwierigkeiten, die H. Bayle in dem neuen
,Syftem der Vereinigung von Seele und Körper' gefunden
hat; 8) Aus dem Briefwechfel zwifchen Leibniz und
de Volder; 9) und 10) Aus dem Briefwechfel zwifchen
Leibniz und Johann Bernoulli; n) Erwiderung auf die
Betrachtungen über das Syftem der präftabilierten Harmonie
in der zweiten Auflage des Baylefchen ,Dictionnaire
historique et crilique'; 12) Von dem, was jenfeits der
Sinne und der Materie liegt; 13) Die Vernunftprinzipien
der Natur und der Gnade; 14) Die Monadologie; 15) Aus
den Briefen von Leibniz an Remond; 16) Aus den Briefen
von Leibniz an Bourguet. Unter den Schriften zur Ethik
und Rechtsphilofophie figurieren die Abhandlungen ,Von
der Weisheit' und ,Über die Freiheit' fowie Fragmente
aus ,Juris et aequi elementa' und der ,Meditation sur la
notion commune de la justice'. Im Anhang werden mitgeteilt
die ,Unvorgreiflichen Gedanken betreffend die
Ausübung und Verbefferung der deutfehen Sprache', und
das franzöfifche Original des vermutlich an Varignon
adreffierten Leibnizfchen Briefes über das Kontinuitätsprinzip
.

Die nicht ganz leichte Auswahl der Schriften ift von
dem Herausgeber, der fich ja auch fonft als ausgezeichneter
Leibnizforfcher und Leibnizkenner hervorgetan hat,
fo getroffen worden, daß ein möglichft vollftändiges Bild
der metaphyfifchen und verwandten Gedanken des großen
Polyhiftors fich ergibt. Zahlreiche orientierende und
erläuternde Anmerkungen Caffirers find beigegeben. Von
ganz befonderm Wert aber find die beiden gleichfalls
vom Herausgeber flammenden Einleitungen zu den bio-
logifchen und entwicklungsgefchichtlichen Schriften einer-
feits, zur Monadenlehre anderfeits. Ausgehend von der
Bedeutung des mathematifchen Motivs für Leibniz' Denken,
geben fie eine ebenfo glänzende als geiftreiche Darfteilung
feines Syftems. Dabei wird freilich das letztere
nicht fchlechtweg feiner empirifchen Befchaffenheit nach
befchrieben. Es erfährt eine ähnliche Behandlung wie
neuerdings vielfach die kantifche Philofophie. Es wird
gelegentlich in der Weife retufchiert und dem modernen
Verftändnis näher gerückt, daß es einheitlicher, konfe-
quenter, fefter zufammenhängend erfcheint, als es vielleicht
in Wirklichkeit ift. Beftimmte Gedanken werden Mark
bevorzugt, andere nicht dazu paffende zurückgedrängt.
Der Spiritualismus beifpielsweife verfchwindet fafl ganz
zu Gunften des Idealismus; die theologifche Spitze wird
abgeftumpft.

Der dritte Band enthält das große erkenntnistheore-
tifche Werk Leibniz': wie es in der Übertragung heißt,
die ,Neuen Abhandlungen über den menfehlichen Verftand
'. Der Text ift eine verbefferte, durch die Rücksichtnahme
auf die mittlerweile erfchienene Ausgabe von
Gerhardt geförderte Reproduktion der bereits früher
angefertigten Überfetzung von Schaarfchmidt. Von dem-
felben rühren die Anmerkungen her, die kurze Skizze
von Leibniz' Leben und die Einleitung, die auf einen
etwas andern Ton gestimmt und mehr mit der Überlieferung
im Einklang ift als die Darfteilung Caffirers und
infofern diefe ergänzen könnte.

Der vierte Band endlich enthält die Theodicee in der
bekannten Übertragung von Kirchmann. Die mit Recht
mannigfach angefochtenen Erläuterungen des letzteren
,find aus triftigen Gründen nicht mit in die vorliegende

Ausgabe.....aufgenommen. Sie find als Band 72 der

philofophifchen Bibliothek gefondert erfchienen'.

So wird denn in vier relativ fehr billigen Bänden
eine koftbare Sammlung der wichtigsten Leibnizfchen
Schriften und damit zugleich eine anfehauliche Illustration
des ganzen Syftems dargeboten. Es ift fogar einzelnes
aufgenommen, wie der erwähnte Brief an Varignon, das