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Ausgabe:

1906

Spalte:

562

Autor/Hrsg.:

Bautz, Joseph

Titel/Untertitel:

Grundzüge der Christlichen Apologetik. 3., verb. u. verm. Aufl 1906

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 20.

562

Reformen, die diefer Domdechant im Auge hat, find von
jedem Standpunkt aus von geringem Belang und flehen
durchweg hinter feiner Sorge für den materiellen Beftand
des Mainzer Erzflifts zurück. Zu diefer war er freilich
gegenüber den Verfchwendungen und Haltlofigkeiten
feines Erzbifchofs verpflichtet; aber ein höherer Ton
findet fich fafl nirgends in feiner Oppofition, und auch
feine flreng ablehnende Haltung Luther gegenüber ift in
ihren Motiven und Ausdrucksformen ohne jedes tiefere
Intereffe. Offen geflanden — ich fehe nicht ein, warum
es nötig war, diefem Prälaten aufs neue ein Gedächtnis
zu ftiften, zumal da auch das hiftorifche Material, das
wir für fein Leben und feine Tätigkeit befitzen, recht
fpärlich ifl und das Unternehmen, ihn monographifch —
als Spiegel feiner Zeit — zu behandeln, nicht rechtfertigt.
Berlin. A. Harnack.

Glawe, Dr. Walther, Die Religion Friedrich Schlegels. Ein

Beitrag zur Gefchichte derRomantik. Berlin, Tro-
witzfch & Sohn 1906. (VIII, in S.) gr. 8° M. 3—

Der Titel diefer Schrift ift fehr allgemein gehalten.
Mit Abficht vielleicht, mit Recht jedenfalls. Denn was
zur Darftellung gelangt, ift nicht etwa bloß des berufenen
Romantikers Auffaffung vom Wefen der Religion,
fondern feine religiösmetaphyfifchen Anfchauungen felbft.

Verf. unterfcheidet drei Perioden in der Geiftesent-
wicklung Friedrich Schlegels. Die erfte, die den Zeitraum
von 1794—1800 umfpannt, wird gekennzeichnet
als die eines .äfthetifierenden und moralilicrenden Synkretismus
'. Die zweite, von 1800—1808 reichend, ift be-
herrfcht durch einen ,den Ubergang bildenden myftifchen
Idealismus'. Für die dritte, 1808—1829, ift charakteri-
ftifch ein ,myftifcher Pofitivismus'. Sieht man genauer
zu, fo gewahrt man bald, daß der Abfchnitt, der fich
mit der erflen Periode befchäftigt, einen Verfuch enthält,
fpeziell die Religionspfychologie Schlegels zu fchildern.
Aus zahlreichen Schriften, Abhandlungen, Auffätzen des
betreffenden Zeitraums werden die wichtigsten einfchla-
gigen Äußerungen forgfältig zufammengeftellt. Was
aber bei der Zeichnung herauskommt, ift ein ziemlich
unklares und verfchwommenes Bild; nicht etwa, weil die
Hand des Autors unficher in der Linienführung wäre,
fondern weil der Geift des jungen Schlegel viel zu undiszipliniert
war, um eine einheitliche religionspfychologi-
fche Theorie entwerfen und vertreten zu können. Das
geht deutlich aus der Darfteilung hervor.

Erheblich ergibiger ift der zweite Teil. Als Hauptquelle
werden die von Windifchmann herausgegebenen
philofophifchen Vorlefungen Schlegels aus den Jahren
1804—1806 benutzt. Die religionspfychologifchen Betrachtungen
treten zurück. Befchrieben ift lediglich in zwei
Kapiteln, deren eines die Lehre von Gott, deren anderes
die Lehre vom Menfchen behandelt, die religiös-metaphyfi-
fche Weltanfchauung Schlegels, die kein .eigentliches reli-
gionsphilofophifchcs Syftem' ift, wohl aber ,ein myftifches
Gewebe', darin abgefchwächte Gedanken der idealiftifchen
Philofophie und katholifierende Ideen zu einem disparaten
Ganzen zufammengewirkt find.

Der intereffantefte Teil dürfte der dritte und letzte
fein. Die Hauptquellen bilden die ,Philofophie des Lebens
', 1827, die .Philofophie der Gefchichte', 1828, die
.Philofophifchen Vorlefungen insbefondere über Philofophie
der Sprache und des Wortes, gefchrieben und vorgetragen
zu Dresden im Dezember 1828 und in den erften
Tagen des Januar 1829'. Mehr und mehr gewinnt in der
Iheologie, in der Anthropologie und in der relativ beachtenswerten
Gefchichtsphilofophie des älter werdenden
Konvertiten ein mit dem Katholizismus Fühlung fuchender,
aber phantafitifcher Myftizismus die Oberhand.

Wenngleich Fr. Schlegel bei der Lektüre des Buchs
kaum gewinnt, fo darf dies doch als ein intereffanter
Beitrag zur Gefchichte der Romantik bezeichnet werden

Insbefondere wird man es dem Autor danken müffen,
daß er fich nicht durch fein Thema hat beftechen laffen,
und, namentlich im erften Teil, nicht der naheliegenden
Verfluchung erlegen ift, aus der tumultuarifch-chaotifchcn
Gedankenwelt des zuchtlofen Romantikers mehr zu
machen, als wirklich an ihr ilt.

Straßburg i. E. E. W. Mayer.

Bautz, Prof. Dr. Jofeph, Grundzüge der Chriitlichen Apologetik.

Dritte, verbefferte und vermehrte Auflage. Mainz,
Kirchheim & Co. 1906. (VIII, 179 S.) gr. 8°

M. 2.50; geb. M. 3.50

Diefes Buch fei allen denen empfohlen, welche die
Apologetik des heutigen deutfchen Vulgär-Katholizismus,
unangekränkelt von allen modernen Erwägungen, mit
ihren Deduktionen und Beweifen in bequemer Zufammen-
ftellung kennen lernen wollen. Der Verf. hat es für feine
Zuhörer und für gebildete Laien gefchrieben und diefe
dritte Auflage vornehmlich durch Berückfichtigung ,der
modernen Verfuche, den Urfprung des Chriftentums in
rein natürlicher Weife zu erklären', bereichert. Eine Aus-
einanderfetzung mit diefer Apologetik wäre ebenfo unfruchtbar
, wie die Auseinanderfetzung des Verfaffers mit
unferer heutigen Pfychologie und Gefchichtserkenntnis,
denen der fcholaftifche Rationalismus des Übernatürlichen
und des Natürlichen entgegengefetzt wird, völlig unfruchtbar
ift. Fafl die Hälfte des Buchs nimmt ,die Apologetik
der Kirche' ein (neben der .Apologetik der chriftlichen
Religion') und ein ftarkes Fünftel des Buchs die Lehre
vom Papfle. In diefem Umfang zeigt fich doch ein gewaltiger
Unterfchied von der mittelalterlichen Apologetik,
und gewiß nicht zum Vorteil der heutigen. Warum geht
man aber nicht noch einen Schritt weiter und konftruiert
die ,Apologetik der Kirche' nicht einfach vom Papfle
aus? Ich mache mich anheifchig, mit den Mitteln des
Verfaffers vom Papfle aus eine Remonstratio catholicaf zu
entwerfen, die eindrucksvoller ift als der Umweg über
die Kirche, auf welchem der Verf. zum Papfle gelangt.
Warum wird der Stellvertreter Chrifti nicht gleich an
Chriftus felbft angefchloffen? Hier fcheint mir eine Zaghaftigkeit
vorzuliegen, die vom Standpunkte des Verfaffers
nicht wohl gerechtfertigt ift.

Berlin. A. Harnack.

Sülze, past. em. D. Dr. E., Die Reform der evangelischen

Landeskirchen nach den Grundfätzen des neueren Pro-
teftantismus dargeflellt. Berlin, C. A. Schwetfchke
& Sohn 1906. (III, 248 S.) gr. 8°. M. 5 —

Sulzes Buch ,Die evangelifche Gemeinde' (1891/92)
ift bekannt. Es hat viel Segen geftiftet. Vor allem ift
die Organifation der ftädtifchen Kirchgemeinden, aber
auch eine neue Bewegung auf dem Gebiete des evang.
Kirchenbauwefens feiner Anregung vornehmlich zu
danken. Nicht zwar eine neue, längft nötig gewordene
Auflage diefes Buches, wohl aber eine freie Neubearbeitung
der in ihm niedergelegten Gedanken bietet diefe
neuefte Schrift S.s dar. Mit unverminderter, bewunderungswerter
Frifche und mit unverwüftlichem, wahrhaft
jugendlichem Idealismus und Optimismus tritt der greife
Verfaffer hier wieder für fie ein. Durch die Sätze auf
S. 177 und 184: ,Das find Ideale; aber ohne Ideale
endigt alles Leben und Streben — auch in der Kirche'.
,Ideale sind eine Lebensmacht. Man gönne fie daher
auch unferem kirchlichen Leben' ift der ganze Geift und
Charakter des neuen Buches gekennzeichnet. Und wer
bereits soviel wie S. von feinen Idealen fich hat verwirklichen
fehen, hat gewiß ein Recht, fie hochzuhalten.
Es darf als bekannt vorausgefetzt werden, daß der
Hauptfatz Sulzes lautet: nur die Schaffung von lebendigen
Gemeinden kann unfern Landeskirchen aufhelfen,