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Ausgabe:

1906 Nr. 20

Spalte:

560-561

Autor/Hrsg.:

Kißling, Johannes B.

Titel/Untertitel:

Lorenz Truchseß von Pommersfelden (1473 - 1543), Domdechant von Mainz. Ein Zeit- und Lebensbild aus der Frühzeit der Kirchenspaltung 1906

Rezensent:

Harnack, Adolf

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559 Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 20. 560

Dem jungen verdienten Forfcher Dr. Karl Schornbaum
, dem wir die beiden trefflichen Biographien der
Markgrafen Kafimir und Georg von Brandenburg verdanken
, ift es gelungen, im Nürnberger Kreisarchiv ein

den Nachfolgern des Origenes und den Plänen der Juden
geftrichen wurde, während der Satz gegen die Fronleich-
namsprozeffion in Folge der Ereigniffe am 15. Juni aufgenommen
, dagegen die Beweisführung gegen die Toten-

Manufkript zu entdecken, das Kolde als eine von Hier, j meffen und damit gegen das Fegfeuer im Zufammenhang

Baumgärtner im Auftrag des Nürnberger Rates gefertigte
deutfche Überfetzung des ,lateinifchen Ratfchlags' erkannte
, welchen die Nürnberger Reichstagsgefandten am
3. Juni an den Rat fandten, nachdem fie denfelben am
31. Mai erhalten und eine Abfchrift veranftaltet hatten.
Diefer Ratfchlag ift nichts anderes als die Geftalt der
Auguftana, wie fie am 31. Mai vorlag. Leider ift das
lateinifche Original noch nicht gefunden, aber es dürfte
von den Nürnberger Gefandten, denen es zu ihrer Information
zurückgegeben wurde, unter ihren Reichstagsakten
wohl aufbewahrt und noch zu finden fein. S. 4—31
gibt Kolde den Text des Hier. Baumgärtner und in den
Anmerkungen die erften von diefem wieder geftrichenen
Überfetzungsverfuche. Es wäre gut gewefen, wenn die
Stucke, welche in den endgiltigen Text der Auguftana
übergegangen find, durch befondern Druck hervorgehoben
worden wären. Der von Kolde auffallend gefundene
Ausdruck, ,einig, an leib', das er für eine ungefchickte
Überfetzung von incorporeus hält (S. 11 u. 49), gibt das
Zahlwort una, das im endgiltigen Text bei divina essentia
fteht, an anderer Stelle und incorporeus ganz gut, aber
in fränkifchem Dialekt (an = on). S. 12 cf. 49 beweift
das Z. 9 von Baumgärtner geftrichene ,das er wer' nicht,
daß Baumgärtner urfprünglich überfetzen wollte, daß er
verfünte, und alfo die Vorlage ,patrem reconciliaret' gab,
fondern daß Melanchthon nur gefchrieben hatte, ut hostia
esset und reconciliaret nobis patrem einer fpäteren Redak

mit Melanchthons Verhandlungen mit Valdes fiel. Am
merkwürdigften ift das Schickfal der Art. von der Gewalt
der Kirche, wo Melanchthon unterließ, das Papfttum
,herauszuftreichen', und dafür von der Gewalt der Bifchöfe
handelte, aber fo, daß bei der Schlußredaktion eine ftarke
Einfchränkung der alleinigen Jurisdiktion der Bifchöfe
eintrat und die Verteidigung des jetzigen Rechtszuftands
in den evangelifchen Gebieten eingefügt wurde. Zu beachten
ift, daß in keiner Rezenfion außer im übergebenen
Text vom opus operatum die Rede war.

Im zweiten Teil wendet fich Kolde gegen Brieger,
der in fcharffinniger, forgfältiger Unterfuchung Melanchthon
wegen der Verhandlungen mit dem kaiferlichen
Sekretär Valdes und dem Legaten Campeggi zu entladen
fuchte. Mit durchfchlagenden Gründen beweift Kolde
aus Melanchthons eigenen Äußerungen, daß die Verhandlungen
nicht, wie Brieger will, von Valdes, refp. Schepper,
fondern von Melanchthon angezettelt wurden. Auch wird
Kolde mit Recht an der Annahme fefthalten, daß Melanchthon
nicht im Einvernehmen mit den kurfürftlichen
Räten handelte und Brück ihn ficher nicht für die geeignete
Perfönlichkeit zu folcher Aktion gehalten hätte.
Die Gefährlichkeit diefer Verhandlungen hat Kolde völlig
klar gelegt. Melanchthon verzichtet auf den Rechtsboden,
den das Reichstagsausfehreiben gewährt hatte. Nichts
konnte dem Kaifer willkommener fein als ein Verzicht
auf eine feierliche Übergabe des Bekenntniffes und eine

tion angehört. S. 12 Z. 34 vergebens = gratis hat in 1 öffentliche Verlefung desfelben, fowie eine Überreichung
der Sprache der damaligen Zeit nichts Auffallendes. Vgl. j von wenigen 4 Streitpunkten, auf welchen die Evange-
S. 50 Anm. 3. Mit Recht nimmt Kolde an, daß das lifchen beftehen würden. Sehr klar weift Kolde nach,

geftrichene ,unter denen fo' S. 13 beweife, daß Baumgärtners
Vorlage vescentibus las, das er bei der Überfetzung
als entbehrlich wegließ. S. 15 Anm. 5 1. baweu =
fabricare domum.

Das ganze Schriftftück zerfiel am 31. Mai in die
Vorrede, 18 Artikel der Lehre, von denen Baumgärtner

daß man erft am 21. Juni wieder an die endliche Fertig-
ftellung des Bekenntniffes ging. Eine Verzögerung lag
alfo jedenfalls vor. Es ift nur die Frage, ob fie durch

die Sonderverhandlungen Melanchthons verfchuldet wurde,
was Brieger beftreitet, während Kolde energifch daran
fefthält und zeigt, wie Melanchthon noch nach dem

aus Verfehen den 14. übergangen hatte, und 7 ,fpenige' I 21. Juni mit Valdes weiter verhandelte und Campeggi
Artikel. Die Vorrede ift fehr umfangreich. Sie verrät fchon von der Forderung des Konzils und den Argumen-
eine der Wirklichkeit völlig abgewandte Anfchauung von | ten gegen den Priefterzölibat Kunde bekam. Am Schluß

des Kaifers Friedfertigkeit gegenüber den Evangelifchen
und ift in der unvorfichtigften Weife bereit, ihm und
dem Reichstag die Entfcheidung der religiöfen Frage zu
überlaffen, die im Interim fo gefährlich wurde. Man fieht,
wie dem Gelehrten alles Gefchick zum Diplomaten fehlte.
Ebenfo unhiftorifch dürfte die Leugnung des Zufammen-
hangs des Täufertums mit der neuen Reformationsbewegung
S. 8, Z. 26 und die Behauptung fein, daß ,folchs
fchon vor Luther fich hat angedreet und am meiden
an den Orten, da Mangel an gefchickten Seelforgern ift
gewefen'. L. Keller hätte noch vor wenigen Jahren feine
helle Freude an diefer Behauptung Melanchthons gehabt,
welche heutzutage nur in dem Sinn fich rechtfertigen
läßt, daß das Täufertum mit feinem Heiligungsprinzip auf
dem Boden der vorreformatorifchen Frömmigkeit fteht.
Zu beachten ift die Anordnung der Katechismusftücke
S. 9 Z. 32: Glauben, zehn Gebote, Vater Unfer, etliche
Stücke des Evangeliums: Vergebung der Sünde, Buße,
Glauben an Chriftum, gute Werke, Kreuz, Taufe und
Sakrament des Altars.

Sehr lehrreich ift, wie Kolde zeigt, daß die lange
Vorrede mit dem Lob des Kurfürften von Sachfen, mit
dem Marken Ausfall auf die Zwinglianer ufw. fallen mußte,
fobald das fächfiTche Bekenntnis zum gemeinfamen Be

gibt Kolde noch 5 unbekannte Briefe Joh. Rurers an
Althamer vom 4. Juni bis 6. September, aus denen fich
z. B. ergibt, daß Melanchthon fich fchon Anfang Juni in
Verhandlungen mit Kardinal Albrecht eingeladen hatte.
Diefer Briefwechfel ift noch nicht gefunden. S. 110 Z. 1
ift Conrad N. Brunner, Z. 15 Georg Hala, der fpätere
Pfarrer in Waiblingen und Leipzig. Z. 18 ift wohl zu
lefen Schalkhaufen, wo der wiedertäuferifch gefinnte
Pfarrer Hechtlein entfetzt worden war.

Nabern. G. Boffert.

K i ß I i n g, Dr. J. B., Lorenz Truchfeß von Pommersfelden (1473—
1543) Domdechant von Mainz. Ein Zeit- und Lebensbild
aus der Frühzeit der Kirchenfpaltung. Diff. (Aus:
,Der Katholik'.) Mainz, Kirchheim & Co. 1906. (VII,
96 S.) gr. 8° M. 1.20

Ich hoffte in diefem Mainzer Domdechanten einen
bedeutenden Gegner Luthers im Reformationszeitalter
kennen zu lernen, aber die Hoffnung war vergeblich. ,Ein
Mann von vielfeitiger Bildung, voller Intereffen und Ver-
ftändnis für die großen kirchlichen und politifchen Aufgaben
feiner Zeit, ragt er über die Mehrzahl der dama-
kenntnis der evangelifchen Stände wurde. Ebtnfo ver- | ligen Prälaten in Deutfchland hoch empor' — fo der Biodient
Beachtung die allmähhge Umgeftaltung der einzelnen I graph (S. 93). Das mag fein; aber dann bietet er nur
Artikel, die Kolde beleuchtet, hier aber nicht weiter i einen neuen Beweis für die bekannte Beobachtung, wie
verfolgt werden kann. Hier fei befonders auf Art. 16 fchwächlich und unbedeutend, ohne Kraft und Saft, diefe
hingewiefen, wo die Lehre des Thomas, der Satz von | Prälaten im Reformationszeitalter alle gewefen find. Die