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Ausgabe:

1906 Nr. 20

Spalte:

547-548

Titel/Untertitel:

Die Hibeh-Papyri Part I 1906

Rezensent:

Deissmann, Adolf

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Seite 1

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547

Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 20.

548

verglichen, die Mehrzahl derfelben auch bereits von Holmes
und Parfons herangezogen. Außerdem werden gelegentlich
einzelne Lesarten anderer Handfchriften nach
Holmes und Parfons angeführt.

Neben den griechifchen Handfchriften kommen —
wie im Neuen Teftamente — noch zwei Kategorien wichtiger
Text-Zeugen in Betracht: die alten Überfetzungen
und die Citate bei den älteften Kirchenvätern, zu welchen
fich hier noch Philo gefeilt. Von den alten Überfetzungen
find zwei der wichtigften, die alte lateinifche und die
fyrifch-hexaplarifche, leider für die Genefis nur äußerft
fragmentarifch erhalten. Von Belang find ferner: die
armenifche, die beiden koptifchen (bohairifch und fahi-
difch) und die Fragmente der paläftinenfifch-aramäifchen,
während die äthiopifche wegen ihrer großen Freiheit für
die Textkritik der LXX nur untergeordnete Bedeutung
hat. — Die Kirchenväter, fowohl die griechifchen als die
lateinifchen, werden reichlich herangezogen. Leider ift
aus Gründen der Raum-Erfparnis durchweg darauf verzichtet
worden, patriftifche Zitate in extenso mitzuteilen.
Wie wertvoll das in einzelnen Fällen fein kann, weiß
jeder, der Tifchendorfs große Ausgabe des Neuen Tefta-
mentes kennt.

Die Einrichtung des kritifchen Apparates darf als
eine fehr zweckmäßige bezeichnet werden. Unter dem
Texte werden drei Reihen von Anmerkungen gegeben.
1. Direkt unter dem Text werden die Itacismen und fon-
ftigen geringfügigen und offenkundigen Fehler der führenden
Handfchrift und derjenigen Handfchriften, welche
in der kleinen Ausgabe benützt find, notiert (NB! nur
diefer als der wichtigften, während fonft folche Fehler
der Handfchriften im Apparat überhaupt nicht berück-
fichtigt find). Vom 20. Kapitel der Genefis an entfchloffen
fich die Herausgeber, in diefe Noten alle Lesarten der
führenden Handfchrift, welche im Text nicht beibehalten
find, aufzunehmen. 2. Die zweite Reihe der Anmerkungen
bringt den eigentlichen kritifchen Apparat: die vom Text
abweichenden Lesarten aller verglichenen Text-Zeugen.
Trotz knappfter Faffung nimmt er doch oft die größere
Hälfte der Seite ein. 3. In einer dritten Reihe von Anmerkungen
findet man Materialien aus der Hexapla, nämlich
diejenigen Mitteilungen aus der Hexapla, welche fich
am Rande der verglichenen Handfchriften und der fyrifch-
hexaplarifchen Überfetzung finden. Es find namentlich
Überfetzungsproben aus Aquila und Symmachus. Da
hiermit keineswegs alles geboten wird, was wir von der
Hexapla wiffen, fo dienen diefe Anmerkungen eben nur
dazu, das Bild der verglichenen Handfchriften zu ver-
vollftändigen.

Eine wertvolle Einrichtung, die fich immer mehr
einbürgert, ift die, daß auf jeder Seite angegeben wird,
welche Zeugen für den Text der betreffenden Seite in
betracht kommen. Bei dem fragmentarifchen Charakter
vieler Zeugen fchwankt dies oft von Seite zu Seite.
Durch Zeichen am Rand wird genau angegeben, wo
ein Fragment beginnt und wo es endigt. Die Siglen
derjenigen Zeugen, welche nicht für die ganze Seite in
betracht kommen, find eingeklammert.

Statt der Prolegomena erhalten wir bei diefer Lieferung
nur kurze Vorbemerkungen. Erft bei Vollendung
des erften Bandes follen auch die Prolegomena zu dem-
felben gegeben werden.

Göttingen. E. Schürer.

Die Hibeh-Papyri Part I.

Nur wenige Wochen nach dem Abfchluß ihrer diesjährigen
Grabungskampagne, die für die Altertumswiffen-
fchaft (auch für die chriftliche) von der größten Bedeutung
gewefen ift1, befchenken uns die Herren Grenfell und

1) Vgl. The Times, May 14, 1906. Die Ergebniffe diefer Grabung
follen im Juni 1907 publiziert werden.

Hunt mit dem erften Bande der Hibeh-Papyri {ßgypt
Exploration Fund Graeco-Roman Brauch The Hibeh Papyri
Part I edited with translations and notes by Bernard P.
Grenfell . . . and Arthur S. Hunt . . . With ten Plates,
London 1906, XIV, 410 p. gr. 40 s. 45 —). Er enthält
die im Frühling 1902 teils durch Kauf, teils durch eigene
Grabungen erworbenen Papyri aus der Nekropole von
El-Hibeh, die zwifchen Benifuef und Shekh Fadl (Kyno-
polis) auf dem örtlichen Nilufer liegt. Die Nekropole
flammt aus der Ptolemäerzeit, und die mit einer Ausnahme
aus Mumienkartonagen gewonnenen 171 Papyri
gehören fämtlich dem dritten Jahrhundert vor Chriftus
an. Der Theologe denkt dabei fofort an den Sprach-
und Kulturhintergrund der Septuaginta, und tatfächlich
bieten die zum Teil recht langen unliterarifchen Texte
wieder ein prachtvolles Material zur Erforfchung der in
der Bibel der Siebenzig zu fo großer Geltung gekommenen
Umgangsfprache der Diadochenzeit. Wie ein Hinweis
hierauf ift die Hibeh-Urkunde No. 96 vom Jahre 259/258
vor Chr., eine övyygacpr) ajtoöxaöiov zwifchen zwei in dem
Herakleopolitifchen Dorfe Phebichis angefiedelten Soldaten,
von denen wenigftens der eine, Alexandros Andronikos'
Sohn, ein Jude ift. Die Urkunde ift nicht bloß ein neuer
Beleg für die jüdifche Diafpora Ägyptens in der Diadochenzeit
, fondern gibt auch einen willkommenen Beitrag
zum Verftändnis des auch ins N. T. übergegangenen
Septuaginta-Wortes ästoöxdöiov, das ein technifcher Begriff
des griechifchen und weiterhin des helleniftifchen
Rechtes ift; näheres gibt die Anmerkung der Herausgeber
S. 268. Ich würde övyyQacprj äscoöxaöiov überfetzen ,Aus-
einanderfetzungsvertrag'. Viele andere derartige Beobachtungen
ließen fich hinzufügen; ich nenne bloß eine:
den neuen Beleg für die juriftifche Formel elq zb ovopa
in der Urkunde No. 74 vom Jahre 250 vor Chr.: övpßola de
Tcoirjöai sxg[b]q avxo[vq] ß, xo uxv tv slq xb KXeouayov
bvoua, ... To ö'txnQov dq xolubv "covo(ia. Des Weiteren
vermehren zahlreiche Briefe untere Kenntniffe des antiken
Briefwefens; die Eingabe der Hierodulen No. 35 fei als
Beifpiel für die religionsgefchichtlich intereffanten Stücke
des Bandes erwähnt. Und auch in den literarifchen Fragmenten
aus Hibeh finden wir Stücke, die den Theologen
überlieferungsgefchichtlich und fachlich intereffieren, z. B.
Gnomen des Epicharmos und Ausfprüche des Simonides
von Keos, namentlich aber das Fragment einer Anthologie
(No. 7), in dem das von Paulus 1 Kor. 1533 zitierte Wort
,Böfe Gefellfchaften verderben gute Sitten' höchftwahr-
fcheinlich mitüberliefert ift. Die Provenienz diefes Wortes
ift noch nicht völlig gefichert; da das Hibeh-Fragment
vorher ficher ein größeres Euripideszitat bringt, verdient
des Sokrates Notiz (hist. eccl. 3 ig), Paulus zitiere den Eu-
ripides, eine größere Beachtung.

Heidelberg. Adolf Deißmann.

Kirchengetchichtliche Abhandlungen. Herausgegeben von Dom-
kapit. Prof. Dr. Max Sdralek. Vierter Band. Breslau,
G. P. Aderholz 1906. (182 S.) gr. 8° M. 4 —

Inhalt: I. Wittig, Jofeph, Der Ambrofiafter „Hilarius". Ein
Beitrag zur Gefchichte des Papftes Damafus I. — II. Ulbrich, Theophil
, Die pfeudo-melitonifche Apologie. — III. Seppelt, Franz Xaver,
Wiffenfchaft und Franziskanerorden, ihr Verhältnis im erften Jahrzehnt
des letzteren. Eine kritifche Auseinanderfetzung mit P. Dr. H. Felder.

Der vierte Band der Sdralekfchen Abhandlungen
enthält drei Stücke. Zwei Beiträge zur Literaturgefchichte
der alten Kirche und einen zur mittelalterlichen Ordens-
gefchichte. Der letzte, von F. X. Seppelt, Wiffenfchaft und
Franziskanerorden, ihr Verhältnis im erften Jahrzehnt
des letzteren (S. 151 —179) ift nicht fo langweilig, wie
der Titel fürchten läßt: er bietet eine kritifche Auseinanderfetzung
mit H. Felder, dem Verfafier einer Gefchichte
der wiffenfchaftlichen Studien im Franziskanerorden bis
um die Mitte des 13. Jahrhunderts. Auch ohne eigentlich