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Ausgabe:

1906 Nr. 19

Spalte:

539-541

Autor/Hrsg.:

Wielandt, Rudolf

Titel/Untertitel:

Die Arbeit an den Suchenden aller Stände 1906

Rezensent:

Drews, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 19.

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unwandelbaren Gnade Gottes organifch in Luthers An-
fchauung über die Heilsbedeutung der Taufe der Er-
wachfenen ein, ohne daß die magifche Theorie von einer
durch den Taufvollzug gefchehenden Wandlung der Kinder
zu Glauben und neuem chriftlichen Leben erforderlich
wäre (41).

Was nun für Luther das eigentlich Bürgende war,
das ift auch für uns moderne Menfchen das vollauf Genügende
an Chriftus, Jefu Gotteinheit in feinem perfön-
lichen und in feinem Berufsleben, feine fuchende und fürbittende
Heilandsliebe, alfo Züge feines offenbaren Lebens
und folche, deren Gefchichtlichkeit die Chriftenheit, die
durch fie gefchaffen ift, hinreichend gewährleiftet (22—23).
Wer fich zu diefen aus dem Evangelium gewonnenen
Wahrheiten bekennt, wird notwendig zu dem Ergebnis
gelangen: in keinem Fall kann davon die Rede fein, daß
die Kraft oder der Heilswert der Taufe von dem Gebrauch
der Taufformel ,im Namen des Vaters, des
Sohnes und des heiligen Geiftes' abhänge (47—48). Ja,
,die Heilsbedeutung der Taufe ift unabhängig von der
Gefchichtlichkeit der Einfetzung' (50). Die Begründung
diefer letzten Thefe bildet den Abfchluß der lichtvollen
und wohl jedem nicht dogmatifch verbildeten Lefer einleuchtenden
Ausführungen des Verfaffers. Erft durch
diefe, den Tatbeftand klar formulierenden und die hifto-
rifchen Zeugniffe forgfältig abwägenden Seiten werden
die kritifchen Sorgen, die dem modernen Theologen,
angefichts der Unficherheit der Überlieferung, fchwer auf
die Seele fallen, fiegreich gehoben. ,ln bezug auf das j
Miffionswerk, deffen Matth. 2819 als mit der Taufe eng
verbundenen gedenkt, fagt ein ftrenger Konfeffionalift
wie der Erlanger Frank, daß es nicht etwa gefetzlich
der Kirche obliege infolge eines .Miffionsbefehles' Chrifti, 1
fondern aus ihrem Wefen refultiere und infofern dem !
Willen Chrifti entfpreche. Sollte es nicht mit den Sakramenten
fich ähnlich verhalten können, daß fie Handlungen
Gottes an uns find und den Einzelnen die eine
Gnadenverheißung des Neuen Teftamentes verfiegeln, 1
auch wenn fie nicht ausdrücklich von Chriftus eingefetzt
find?' (52). In der Anwendung diefer Sätze, zunächft auf
das heilige Abendmahl, dann auf die Taufe findet G.
die Löfung der Schwierigkeiten, die dem Dogmatiker aus
dem hiftorifchen Problem erwachfen, und welche zuweilen
auch dem Glauben des Laien mancherlei Anfechtungen
und Verlegenheiten bereiten dürften.

Wir möchten die vorzügliche Schrift G.s nicht nur
unfern Geiftlichen, fondern allen gebildeten Proteftanten,
ja den Vertretern des evangelifchen Kirchenregiments
empfehlen, von denen die Sage geht, daß fie für theologifche
Erörterungen wenig empfänglich find; follten fie
indeffen auch durch die dogmenhiftorifchen und biblifch-
theologifchen Auseinanderfetzungen des Verf.s nicht überzeugt
werden, fo könnten fie aus diefem Büchlein den
Unterfchied wahrnehmen, der zwifchen der juriftifchen
Auslegung und dem hiftorifchen und geiftlichen Verftänd-
nis unfrer Bekenntniffe obwaltet. Käme einmal die Bedeutung
diefes Unterfchieds den maßgebenden Kreifen
zu lebendigem Bewußtfein, welch ein Segen würde aus
diefer Erkenntnis für unfre Kirche fich ergeben!

Straßburg i. E. P. Lobftein.

Wielandt, Stadtvik. Liz. R., Die Arbeit an den Suchenden

aller Stände. Anleitung zur Tätigkeit in Vorträgen
und Preffe. (Praktifch-theologifche Handbibliothek,
herausgegeben von F. Niebergall. III. Band.) Göttingen,
Vandenhoeck & Ruprecht 1906. (VI, 232 S.) 8°

Die Popularifierung der theologifchen Wiffenfchaft
ift im vollen Gange. Vorträge, Bücher oder Brofchüren
und Zeitungsartikel, das find die Wege, auf denen unferer
Laienwelt aller Stände die theologifchen Erkenntniffe
bald vom alt orthodoxen, bald vom modernen Standpunkt
aus zugeführt werden. Das vorliegende Buch will
dazu eine ,Anleitung zur Tätigkeit in Vorträgen und
Preffe' bieten. Der Verf. hat bereits felbft in zahlreichen
Vorträgen an diefer Arbeit fich beteiligt, und mit fo
gutem Erfolg, daß er zu einem eifrigen und überzeugten
Apoftel diefes Zweiges kirchlicher Tätigkeit geworden
ift. Sein Büchlein will vor allem neue Mitarbeiter werben.
Es ift mit großer Frifche und mit warmer Begeifterung
gefchrieben. Daraus erklärt fich auch, daß manches
Selbftverftändliche faft allzu breit und eingehend dargeftellt
ift. Ermüdend wird der Verf. aber niemals. Sein Standpunkt
ift der der fog. modernen Theologie. Doch zeigt
er in erfreulichfter Weife auch für die Beftrebungen der
älteren Theologie Verftändnis und Anerkennung. Vielleicht
hat ihn feine konziliante Gefinnung auch zu dem
höchft anerkennenden Urteil über Luthardts ,Apologe-
tifche Vorträge' verführt, die er als ,eine ganz hervorragende
, gründliche und formvollendete Leiftung' (S. 51)
bezeichnet. Hat er fie wirklich gelefen?

Seit Dr. Joh. Müllers vortrefflichem Buche: ,Die
Evangelifation unter den Entkirchlichten' (1895) >ft ^as
vorliegende Werk das erfte, das fich mit der Frage der
Evangelifation wieder befchäftigt. Es ift lehrreich zu
fehen, wie fich feit diefem Jahrzehnt die Aufgabe ver-
fchoben hat. Müller wollte noch im guten Sinn erbaulich
, d. h. religiös fördernd, belebend wirken, bei W. fleht
dagegen das aufklärerifche Moment im Vordergrund. W.
ift fich deffen auch völlig bewußt. ,Unfere Arbeit ift
mehr Kopfarbeit, und kann deshalb auch nur feiten fo
große Wirkungen haben, wie die feine oft hat'. Indeffen,
fo fährt W. fort, ,ift auch die unfrige einfach unerläßlich,
auf jeden Fall in diefer Stunde und bei unferen kirchlich-
religiöfen Verhältniffen. Auch kann fie relativ leichter
ausgeführt werden, da fie nicht den religiöfen perfön-
lichen Reichtum erheifcht, der bei einem Dr. Müller
unerläßlich ift. Aber freilich werden auch unfere Redner
um fo mehr wirken, je mehr fie (Neue Menfchen' und je
mehr fie ganze Menfchen find' (S. 35 f.). Hier ift ein
wichtiger Punkt berührt. So gewiß ich mit W. der
Überzeugung bin, daß ganz fachliche, objektive Aufklärungsarbeit
um fo nötiger ift, als — ich vermiffe die
Erwähnung diefes Punktes bei W. — der Atheismus
fortgefetzt feinerfeits, von feinem Standpunkt aus wiffen-
fchaftliche Erkenntniffe popularifiert, fo gewiß ift mir
aber auch, daß fie allein fchlechterdings nicht genügt.
Damit, daß wir eine richtigere Vorftellung von der Ent-
ftehung der Bibel, von der Entftehung des Dogmas ufw.
verbreiten, können wir gewiß bei Manchem Steine aus
dem Wege räumen, die ihm den Weg zu lebendigem,
perfönlichem religiöfen Leben verfperren, wir können
damit aber ebenfo gut den religiös indifferenten und
feichten Aufklärungsphilifter in feiner Pofition ftärken.
Immer wieder wird durch diefe Vorträge hindurchklingen
müffen, daß es fittliche Pflicht ift, fich für die Religion,
für Jefus zu entfcheiden, wie denn auch W. ganz von
felbft im Weiteren zu Sätzen gedrängt wird, wie diefen:
,So gilt es, in Allen das einfache religiöfe Gefühl zu
wecken' (S. 113), oder: ,Die alten, aber immer wieder
neu hervorbrechenden Zweifel an der ,Vorfehung' hängen
mit den feinften perfönlichen religiöfen Empfindungen
zufammen und find darum nicht leicht zu packen' (S. 117),
oder: ,An die Stelle objektiver Wunder und wirklicher
Wirkungen des Gebetes auf Gott würde ich in meinen
Hörern den füllen Verkehr des Herzens mit Gott und
das vertrauensvolle Gefühl von feiner Nähe zu erwecken
Richen' (S. 118 f.). Wenn W. aber folche Ziele im Auge
hat, fo geht er über die einfache Aufklärungsarbeit weit
hinaus. Daher Rheinen mir jene Erörterungen, in denen
er feine Arbeit von der der Evangelifation eines Müller,
Schrenck u. a. abgrenzt, nicht erfchöpfend und gründlich
genug zu fein. Hier hätte tiefer gegraben und das Problem
aufgerollt werden müffen, von welchem Wert klare
und richtige Vorftellungen für das religiöfe Leben find.