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Ausgabe:

1906

Spalte:

527-529

Autor/Hrsg.:

Boor, Carolus de (Ed.)

Titel/Untertitel:

Georgii Monachi Chronicon. Vol. I et II 1906

Rezensent:

Meyer, Philipp

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Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 19.

528

Georgii MonachiChronicon ediditCarolus deBoor. Vol.I.
Textum genuinum usque ad Vespasiani imperium con-
tinens. Vol. II. Textum genuinum inde a Vespasiani
imperio continens. Lipsiae, B. G. Teubner MCMIV.
(LXXXIV, 804 p.) 8° M. 18 — ; geb. M. 19.80

Georgios Monachos oder Hamartolos lebte im 9. Jahrhundert
. Seine Zeit beflimmt er felbß genauer, wenn er
in der Vorrede zu feinem Chronikon den Kaifer Michael
III (842—867) den xeXsvxalog nennt, der als fieigaxiov
den Sieg der Orthodoxie in den Bilderftreitigkeiten herbeigeführt
habe (Vol. I. S. 4, 21). Er hat ein XQOVixbv
Gvvzopov gefchrieben, das unter den byzantinifchen Ge-
fchichtswerken einen befondern Platz einnimmt. Denn
es bildet einen Knotenpunkt in der Entwickelung der
byzantinifchen Gefchichtsfchreibung. Georgios hat eine
große Menge von Quellen aller Art benutzt und fie
mehr oder weniger ausgefchrieben. Er felbft ift aber
wieder die Quelle für viele fpätere byzantinifche Chroni-
ften geworden. Und nicht allein Gefchichtsfchreiber,
fondern auch z. B. Lexikographen wie Suidas haben ihn
benutzt. Wir erhielten, fagt Krumbacher, durch eine Ausgabe
des Georgios in Verbindung mit der des Theophanes
das Mittel, die ganze fpätere Chronographie in ihre Teile
zu zerlegen und eine Anzahl Bände des Corpus der
byzantinifchen Hiftoriker auf ein Minimum zu reduzieren.
Hat eine folche Vereinfachung der byzantinifchen Ge-
fchichtsquellen auch für die Kirchengefchichte einen
Wert, fo kann Georgios für die Regierungszeit des
Kaifers Leo des Armeniers bis zu Michael III, alfo für
die Jahre 813—843, eine erhöhte Bedeutung in Anfpruch
nehmen, da er für diefeZeit faft der einzige zeitgenöffifche
Chronift iß. Zwar kann feine Darßellung der Bilder-
ßreitigkeiten diefes Zeitraums nur eine fehr parteiifche
genannt werden. Wie er diefe Kämpfe beurteilt, fleht
man fchon aus der Stelle des Prologs, wo er den Inhalt
feines Chronikon angibt und dabei auf den Bilderftreit
zu fprechen kommt: xal xrjv IxfpvXov xal dsoGxvytj xs
xal napßbßqXov xmv Mavr/aimv XvGGav, afp iig wGjieq
tx rtvog XvGGmvog xvvog xj]v aiG~/iGxi]v xe xal xäxiGxoy
uextiXrjfpvla vÖGov dvecpv/j ?} xcöv aXixrQi(av xal xaxoGyd-
Xmv elxovouäxcov ipßgpvxTjxog aigeGig (V. I. S 3, 16).
Hat er nun auch im Übrigen das Intereffe des Mönch-
tums und der Kirche vertrMen und dabei eine für feine
Zeit fehr intereffante Fülle von fonßigen Darflellungen
aus allen Gebieten zufammengetragen, fo kann man heb.
nicht wundern, daß er einer der gelefenßen Schriftßeller
des griechifchen Mittelalters gewefen iß. Das hat es
aber auch verurfacht, daß fein Chronikon mehrfach Fortfetzungen
erfahren, und daß der Text feines Buches
mannigfache Interpolationen erlitten hat.

Der Erfle, der eine Gefamtausgabe des Chronikon
plante, war Leo Allatius. Er fah fchon, daß Georgius
es fei, ex quo recentiores Graecorum historici sua fere
omnia neque verbis ipsis immutatis hausere {Praefatio p. V).
Er hat aber feine Abficht nicht ausgeführt. In das
Parifer Corpus der Byzantiner iß nur ein letztes Stück
des Chronikon aufgenommen und zwar mit den fpäteren
Fortfetzungen. Es führt von Leo dem Armenier bis
Konßantinos Porphyrogennetos und iß ediert von Com-
befis 1685, wiederholt in der Bonner Ausgabe von Becker
1838. Nachdem inzwifchen manche Vorarbeiten für eine
neue Ausgabe erfchienen waren, gab im Jahre 1859 E. v.
Muralt das ganze Chronikon heraus. War er dabei von
Gelehrten wie Miller, Miklofich und Tafel bei der Ver-
gleichung der Handfchriften unterflützt, fo bezog fich
diefe doch nur auf einzelne zerßreute Stellen, fo daß in
der Ausgabe diefelbe Stelle nicht von allen Handfchriften
geßützt wurde. Außerdem folgte Muralt wefentlich
einem Moskauer Kodex, der von Interpolationen fehr ver-
unßaltet iß. Daher denn auch die Textgeßalt des Ganzen
nicht erfichtlich wurde. Wie vielfach von Sachkennern

fcßgeflellt iß, fehlte es endlich Muralt auch an der nö-
| tigen Vorbildung für eine fo fchwere textkritifche Arbeit,
j Seine Ausgabe des Chronikon war daher verfehlt. Schon
längß hat man feitdem im Kreife der Byzantinißen und
Hißoriker eine neue Edition des Georgios gewünfeht.
Jetzt endlich hat De Boor nach jahrelangen Vorarbeiten,
über die auch die byzantinifche Zeitfchrift vielfach Kunde
gibt, den allgemeinen Wunfeh erfüllt. Seine Ausgabe
des Chronikon darf als epochemachend angefehen werden.

Über die Grundfätze, nach denen feine Ausgabe
gearbeitet iß, gibt De Boor in der fchon zitierten Praefatio
p. V—LXXXIII Auskunft. Die Handfchriften zer-
I fallen, wie der Herausgeber fchon in feinen früheren
| Arbeiten mitgeteilt hatte, in zwei Gruppen, deren eine
zur Zeit nur von dem Coislinianus 305 (P) vertreten wird
(p. LX), die andere durch eine große Zahl von Codices,
welche ihrerfeits wieder in mehrere Gefchlechter ge-
fpalten, doch auf einen Archetypus zurückgehen (p. LXII).
Der Unterfchied des P von dem Archetypus der übrigen
Handfchriften zeigt fich namentlich darin, daß P die
Exzerpte aus den kirchlichen Schriftßellern in auffallend
befferem Maße konferviert hat, als der Archetypus. Außerdem
find die Zitate bei P auch vielfach länger, als in
den übrigen Handfchriften (p. LXII). De Boor fchließt
daraus, daß P vor dem Archetypus der übrigen exißiert
hat und daß der Schreiber des letzteren die Exzerpte
geändert und verkürzt hat (p. LXIII). Das wird an ver-
fchiedenen Beifpielen nachgewiefen (p. LXIII—LXVIII).

DerZufammenhang der beiden Handfchriftengruppen
erklärt fich nach dem Herausgeber durch folgende Annahme
. Georgios hat zuerß einen Entwurf feines Werkes
gemacht und an den Rand die Stellen aus der heiligen
Schrift und eine Reihe von Exzerpten aus andern Schriftßellern
gefchrieben, mit denen er feine Schrift illußrieren
wollte. Bei der Abfchrift hat der ,lib)-arius' fämtliche
Randbemerkungen in den Text aufgenommen. Dabei
j find mancherlei Nachläffigkeiten und Unrichtigkeiten vor-
I gekommen. So entfland die Textgeßalt P. Georg ging
darauf von neuem an die Arbeit, brachte Ordnung in den
nunmehrigen Text, kürzte einige Exzerpte, korrigierte andere
, verglich wieder andere noch einmal nach der
Quelle und fügte endlich noch neue hinzu. So iß aus
P der Archetypus der übrigen Handfchriften geworden.

Es bleibe dahingeßellt, ob wir der Unvorfichtigkeit
des ßibrarius' das Rätfei des Georgifchen Textproblems
verdanken.

De Boor hat in der vorliegenden Ausgabe nicht P
fondern die zweite Redaktion, eben jenen Archetypus
herausgegeben, fo gut diefer nach den fehr von einander
abweichenden Handfchriften zu rekonßruieren war. Einige
derfelben mußten von der Rezenfion des Textes überhaupt
ausgefchloffen werden. Die Ausgabe hat nicht P
i folgen können, da diefe Textrezenfion nur einmal fpäter
zitiert iß, während der breite Strom der fpäteren Benutzer
der zweiten Rezenfion fich angefchloffen hat. Doch
find die geringeren Varianten auch von P unter dem
Texte bemerkt, während die größeren Abweichungen von
P in dem zu erwartenden dritten Bande Aufnahme finden
werden. Dort erfcheinen auch die Fortfetzungen des
Chronikon und die Indices.

Neben den Varianten führt der Text noch eine
andere fehr wertvolle Beigabe, nämlich die Angabe der
Quellen, aus denen Georgios gefchöpft hat. Da diefer
fie nur in den feltenflen Fällen felbß näher bezeichnet
hat, darfman die große Sachkenntnis und den Fleiß bewundern
, mit dem die Nachweife zur Stelle gefchafft find.

Über die Geflaltung des Textes im Einzelnen glaube
ich mich einer folche Autorität wie De Boor gegenüber
nicht äußern zu follen.

Zum Schluß fei nur einem Wunfche Ausdruck gegeben
. Sollte der dritte Band wiederum eine längere
Einleitung bringen, fo empfiehlt es fich, am Rande oder
durch ßärkeren Druck der Stichwörter den Fortfehritt