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Ausgabe:

1906

Spalte:

511

Autor/Hrsg.:

Lehmkuhl, Augustinus

Titel/Untertitel:

Probabilismus vindicatus 1906

Rezensent:

Bruckner, Albert

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5"

Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 18.

512

das corpus juris canonici und in der Erklärung der diesbezüglichen
Partien der großen Scholaftiker, befonders
Thomas' behandelt worden feien. Mit Grund weift deshalb
Schmitt die Thefe Ter Haars von dem Überwiegen
der Äquiprobabiliften vor Medina und Laymann ent-
fchieden zurück, da die Beurteilung diefer Autoren durch
Ter Haar eine rein zufällige und unfyftematifche fei.
Auch wenn man Schmitt in der Beurteilung jener Scholaftiker
' und ihrer Leiftungen für die Moral nicht zu
folgen vermag, wird man doch fein Verdienft, jene Periode
zum erftenmal gründlich beleuchtet zu haben, dankbar anerkennen
.

Bremgarten. A. Bruckner.

Lehmkuhl, Augustinus, S. J., Probabilismus vindicatus. Fri-
burgi Brisg., Herder MCMVI. (VIII, 126 S.) 8° M. 1.80

Wer nach dem Titel diefes Buches darin eine Aus-
einanderfetzung des bekannten Gelehrten mit den neueften
akatholifchen Angriffen gegen die probabiliftifche Moraltheologie
zu finden erwartet, wird fich bald nicht wenig
enttäufcht fehen. Denn Lehmkuhl hält es nicht der
Mühe wert, auf diefe Vorwürfe zu antworten, da fie bereits
hinlänglich widerlegt feien, und die Feinde der Wahrheit
auch durch neue Darlegungen nicht überzeugt werden
könnten. Sein Abfehen ift vielmehr ausfchließlich
auf die neuen Werke der beiden Redemptoriften Franz
Ter Haar und Lud. Wouters (1904 und 1905) über den
Probabilismus und Minusprobabilismus gerichtet, die den
Aquiprobabilismus ihres Meifters als einen grundfätzlichen
Gegner des Probabilismus darfteilen und deshalb in der
Rückkehr zu ihm das Univerfalheilmittel von allen Schäden
des von ihnen als feelenverderbender Laxismus verpönten
Probabilismus erblicken. Lehmkuhl hält demgegenüber
mit Grund (fiehe auch mein Buch: Die 10
Gebote im Lichte der Moraltheologie des Heiligen Alphons
von Liguori 1904, p. 246°. 39ff.) an feiner Thefe feft, daß
der Aquiprobabilismus fich außer im Namen, in nichts
Wefentlichem vom Probabilismus unterfcheide, und daß
alle Vorwürfe, die den Probabilismus treffen würden,
auch jenen mit verwunden müßten. Daß Lehmkuhl aber
die Berechtigung diefer Vorwürfe nicht anerkennt, braucht
bei feinem Standpunkt kaum noch ausdrücklich erwähnt
zu werden.

Bremgarten. A. Bruckner.

Pibonq, Zrjxov A., A. &. x. Evßxwfitz Aoy/u.axtxi]g xvg
oqS~o6o%ov xa&okixris txxXnoiaq, To/zog Jtgooxog. 'Ev
'Au-t]vaig 1903. (Leipzig, B. Liebifch.) (503 p.) gr. 8°

M. 10 —

Es würde angenehmer fein, diefe Dogmatik zu beurteilen
, wenn fie vollftändig vorläge. Erft dann könnte
man das Syftem des Verfaffers überfehen. Aber da der-
felbe einen konfervativen Standpunkt in feiner Wiffen-
fchaft vertritt, fo mag man aus dem Teile auf den Zu-
fammenhang des Ganzen fchließen.

Der erfte Band enthält zunächft in einem JcnoZoyoq,
einer oiQoeiöaymyrj und einer zißaymyi] das, was wir zu
den Prolegomenen der Dogmatik rechnen (bis S. 123).
Von den beiden Teilen, aus denen das Syftem fich zu-
fammenfetzt, lernen wir den erften ganz kennen und den
zweiten in feinem erften Abfchnitt. Der erfte Teil handelt
von dem Wefen und Wirken Gottes an fich (bis
S. 326), der zweite von dem Wirken Gottes gegenüber
der Welt. Die Lehren von der Schöpfung, Erhaltung
und Vorfehung machen hier die erfte Unterabteilung aus.
Die folgende handelt von der Religion.

Mit Recht betont der Verfaffer im Eingange feines
Werks, wie fchwer es bei dem heutigen Stande der Theologie
ift, eine Dogmatik zu fchreiben, am fchwerften
aber eine Dogmatik der orthodoxen Kirche. Denn es

ift richtig, daß feit Johannes v. Damaskus die Dogmatik
diefer Kirche keine den Anforderungen ihrer Zeit ent-
fprechende Bearbeitung gefunden hat. Namentlich feit
dem Untergange des romäifchen Reichs ift die fyftema-
tifche Theologie bei den Griechen arg vernachläffigt.
Auch der geiftige Auffchwung des Volkes im 18. Jahrhundert
hat auf diefem Gebiete nichts Hervorragendes
geleiftet. Doch werden die Arbeiten des Eugenius Bul-
garis und des Athanafius Parius zu nennen fein. Dagegen
hat im Abendlande die Arbeit nie geruht. Dem orthodoxen
Dogmatiker fteht daher von feiten anderer
Kirchen eine große Zahl wohlgefügter Lehrgebäude
gegenüber, von denen die proteftantifchen feit Schleiermacher
auch mehr oder weniger nach einer neuen Methode
konfluiert find, die der orthodoxen Dogmatik,
fo weit es eine folche gibt, fremd ift. Auch bei der
großen Abgefchloffenheit der orthodoxen Kirche kann
ein Dogmatiker derfelben fich doch der abendländifchen
Entwicklung gegenüber fowohl in der Sache als in der
j Form nicht ganz ablehnend verhalten, und das um fo
weniger, als die abendländifche allgemeine, naturwiffen-
fchaftliche und philofophifche Bildung doch in Griechen-
l land wenigftens die maßgebende geworden ift. Und der
Verfaffer der vorliegenden Dogmatik fcheint felbft durch
deutfche proteftantifche Bildung hindurch gegangen zu
fein. Um die Lehre feiner Kirche zu halten und genuin
darzuftellen, bedarf es alfo für ihn fowohl fachlich als
formal eines großen Wiffens und eines fichern kirchlichen
Taktes. Hat nun auch Roffis fowohl in der Methode
der Darfteilung und auch in dem Stoff viel vom Abendlande
und namentlich von den proteftantifchen Dogmatikern
, vor allen von Dorner übernommen, fo wird man
ihm doch das Zeugnis geben, daß er unter erfchwerend-
ften Umftänden das Syftem feiner Kirche treu wiedergegeben
hat. Freilich tritt das Liturgifche, das Kultifche,
welches in der orthodoxen Kirche das Dogma färbt, bei
1 dem Verfaffer zurück. Die langen apologetifchen Äus-
1 führungen dagegen folgen notwendig aus feinem Standpunkt
, da für ihn das religiöfe Erkennen von dem übrigen
der Art nach nicht unterfchieden ift, bei den fich notwendig
erhebenden Konflikten die Auseinanderfetzungen
apologetifcher Art fich daher häufen müffen.

Die Darftellungsweife Roffis' ift äußerft gewandt und
glatt. Er fchreibt ein fchönes und leicht verftändliches
Griechifch. Unwillkürlich muß man wieder den wundervollen
Reichtum der griechifchen Sprache bewundern,
die unerfchöpflich ift in der Bildung neuer und paffender
Wortformen und die fchwierigften Begriffe leicht und
ficher auszudrücken vermag. So viel erinnerlich, findet
fich in dem ganzen Buche kein Fremdwort. Freilich muß
der Verfaffer einige kühne Neubildungen durch die dabei
notierten lateinifchen Termini erläutern. Aber auch der
Sache nach beherrfcht Roffis fein Gebiet. Daß er die
Väter feiner Kirche kennt, ift zwar nicht zu verwundern,
aber er hat fich auch mit der modernen Geftaltung der
Dogmatik feit Schleiermacher befchäftigt. Allerdings
bildet die Lehre feiner Kirche auch die ftets nahe
Grenze für ein rechtes Verftändnis fremder Anflehten,
namentlich des Proteftantismus. Befangen dazu in der
Erkenntnistheorie der alten Welt mutet er der Einficht
der Lefer manche fchwere Aufgabe zu. Denn er ift
jenfeits von aller Erfahrung eben fo bewandert wie dies-
feits. Aber fo muß der Standpunkt eines orthodoxen
Dogmatikers fein, wenn er zu den yvrjOioi gehören foll.

Gehen wir nun näher auf das Syftem des Verfaffers
ein, fo kann es fich nur um die Andeutung der Hauptgedanken
handeln. Dogmen find nach dem Verfaffer
ai octol xmv evegyeimv xov &xov xal xmv otgovotod-ioemv
rj oqojv xal djxoxeZsa/idxmv avxmv öiöaßxaliai xrjg %prö-
xiavixijg xiöxecoq, dem Wefen und Prinzip nach in der
Schrift und der heiligen Überlieferung enthalten, entfaltet
und formuliert durch die wahre Theologie auf den
ökumenifchen und lokalen Synoden der rechtgläubigen