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Ausgabe:

1906 Nr. 18

Spalte:

499-501

Autor/Hrsg.:

Küchler, Friedrich

Titel/Untertitel:

Die Stellung des Propheten Jesaja zur Politik seiner Zeit 1906

Rezensent:

Baudissin, Wolf Wilhelm

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499

Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 18.

500

aber bemüht er fich, die textgefchichtliche Stellung und
den textkritifchen Wert des Papyrus durch einen eingehenden
Vergleich mit andern Textzeugen feftzuftellen.
Seine Ergebniffe find folgende: 1) der Papyrus bildete
nicht ein Stück einer Bibelhandfchrift, fondern entweder
eines ,Katechismus', oder wahrfcheinlicher noch eines
Gebetszettels (S. 9); 2) fein Text ift nicht aus dem Gedächtnis
niedergefchrieben, auch nicht aus dem Grie-
chifchen zurücküberfetzt, fondern von einer hebräifchen
Bibelhandfchrift abgefchrieben (S. 41); 3) für den Dekalog
diente als Vorlage der Text des Exodus, nicht der des
Dtn., wiewohl Spuren eines Einfluffes der dtn. Rezenfion
nicht ganz fehlen (S. 42f.); 4) diefe Vorlage bot aber
nicht den mafforetifchen Text oder eine Vorftufe des-
felben, fondern den einer ägyptifchen Rezenfion, und zeigt
daher große Verwandtfchaft mit der Vorlage der LXX
(S. 43—56); 5) der Text diefer Vorlage ift älter und meift
beffer als MT (S. 49), doch fleht der Pap. Nash der LXX
wieder an textkritifchem Wert nach (S. 5of.).

Das Beweismaterial hat P. fehr forgfältig gefammelt
und von Fall zu Fall meift (doch nicht immer) mit anerkennenswerter
Unparteilichkeit erwogen. Seine Refultate
dürften daher im allgemeinen gefichert fein. Im einzelnen
wäre freilich manchmal etwas mehr Zurückhaltung des
Urteils am Platze gewefen; daß z.B. in Z. 12 (Ex. 2010)
vor 1133 kein 1 ftand, dürfte fchwer zu erweifen fein.
Daß die Reihenfolge der Gebote in der ägyptifchen
Rezenfion (Ehebruch vor Mord, fo LXX Dtn. und
teilweife auch Ex., Philo, Pap. Nash) urfprünglicher ift
als die des MT, ift mindeftens fehr zweifelhaft; P. hält
fie für die naturgemäße, weil ,die Pflichten gegenüber
dem andern Eheteil' vor den ,Pflichten gegen die Mit-
menfchen allgemein' behandelt werden müffen, verkennt
aber dabei, daß nach israelitifcher Anfchauung der Mann
nur eine fremde, nicht die eigene Ehe brechen kann.
Auch die Voranftellung des Weibes vor das Haus (LXX,
Pap. Nash, Dtn.) hält P. wohl zu Unrecht für das Ur-
fprüngliche; aber gerade, daß Ex. (auch Vulg.) das Haus
vor dem Weibe nennt, und daß P. gleichwohl die andere
Anordnung bevorzugt, ift ein Beweis für fein Streben
nach Unparteilichkeit. Von einer Tendenz kann höchftens
in der Beziehung die Rede fein, daß P. geneigt ift, den
Wert der ägyptifchen Rezenfion möglichft hoch, den des
MT möglichft gering einzufchätzen; doch erkenne ich
gern an, daß diefe Tendenz nicht bewußt verfolgt ift.
Das Ergebnis wird dadurch nicht beeinflußt; denn wenn
auch einzelne Beweife fortfallen, fo bleibt doch immer
noch eine genügende Anzahl übrig.

Halle a. S. C. Steuernagel.

Küchler, Lic. Dr. Friedrich, Die Stellung des Propheten
JeTaja zur Politik feiner Zeit. Tübingen, J. C. B. Mohr
1906. (XII, 57 S.) gr. 8» M. 1.60

Die Schrift ift von der Berliner Theologifchen Fakultät
als Lizentiatendiffertation angenommen worden.
Eben deshalb würde ich fie nicht befprechen, wenn nicht
der erfte Satz der vom 1. Juni 1906 datierten Vorrede
es mir nahe legte, ein Mißverftändnis zu verhüten, das
er veranlaffen könnte. Es wird vom Verf. korrekt mitgeteilt
, daß fein Manufkript fchon im März 1905 ,wefent-
lich vollendet' war und liegen geblieben ift bis zur Beendigung
der Promotion. Diefe ift aber lediglich deshalb
fo fpät erfolgt, weit der Verf. felbft feine weitern Lei-
ftungen nicht früher zu abfolvieren wünfchte.

Mit Rückficht auf die Beziehung diefer Schrift zu
unferer Fakultät unterlaffe ich an diefer Stelle eine eigentliche
Beurteilung und befchränke mich im wefentlichen
auf ein Referat über das vom Verf. Gebotene und Intendierte
.

Seine Darfteilung ift entftanden im Anfchluß an das
Studium der 3. Auflage von Schräders Werk ,Die Keil-
infchriften und das Alte Teftament'. Der Verf. will nach- •

weifen, daß die altteftamentlichen Propheten nicht ihre
.Infpirationen vonNiniveh aus erhalten' haben, wie Winck-
ler es in feiner Neubearbeitung des genannten Werkes
darfteile (S. VI). Jefaja wird nur als ein Beifpiel für das
Prophetentum überhaupt behandelt. — Man kann eine
ausführliche Widerlegung jener Auffaffung vielleicht über-
flüffig finden, weil die altteftamentlichen Prophetenfchriften
keinerlei Anhaltspunkt dafür darbieten. Es ift aber doch
von Wert, daß der Verf. als gefchulter Affyriologe auch
in den Keilfchrifttexten keinerlei Ausfage zugunften der
Annahme Wincklers aufzufinden vermag. Schwerlich
werden andere Affyriologen in der Lage fein, diefem
negativen Refultat zu widerfprechen.

Um die Stellung Jefajas zur Politik beurteilen zu
können, fchildert der Verf. in einem erften Kapitel ,die
politifche Lage zur Zeit des Auftretens Jefajas' (S. 1—25).
Das zweite Kapitel befpricht ,die Tätigkeit Jefajas und
die Politik' (S. 26—35). In dem erften werden neben der
affyrifchen Weltmacht zunächft die Nachbarftaaten Judas
und dann Judas eigene äußere Lage und innern Zuftände
zur Darftellung gebracht. Am meiften eigenes bietet hier
die Unterfuchung über die Bedeutung des keilfchriftlichen
Landesnamens Musri S. ioff. Der Verf. lehnt Wincklers
Annahme eines nordarabifchen Reiches Musri ab und
findet in dem Namen überall eine Bezeichnung Ägyptens,
hält es aber für möglich, daß er auch gebraucht wurde
von Nachbargebieten des eigentlichen Ägyptens; dagegen
meint er, daß ,König von Musri' überall von dem ägyptifchen
König zu verftehen fei. Diefe Darftellung ift unabhängig
von der erft während der Drucklegung erfchienenen
Eduard Meyers, der ebenfalls ein nordarabifches Musri
ablehnt. — Das Refultat des zweiten Kapitels und damit
der ganzen Abhandlung ift, daß Jefaja Politik überhaupt
nicht getrieben habe, daß fein Bemühen vielmehr dahin
ging, feinem Volk und deffen König ,zu feiner Einficht zu
1 verhelfen, daß das Volk nichts andres und befferes tun
könne, als fein Gefchick Gott anheimzuftellen und fich zu
befcheiden und ftille zu halten' (S. 56).

Diefem Grundgedanken ftimme ich durchaus zu und
halte jede andere Auffaffung für unmöglich. Ich möchte
aber doch nicht ungefagt laffen, daß ich zu dem Gefamt-
bild des Jefaja, das der Verf. zeichnet, meinerfeits noch
Züge hinzufügen müßte, die hier fehlen oder doch zurücktreten
. Es ift das Moment der Hoffnung, was ich
nicht genug hervorgehoben finde. Der Verf. verkennt
nicht, daß der Name des Jefajafohnes Schearjafchub nicht
nur ,untergangdrohend' fondern zugleich auch ,heilverhei-
ßend' ift (S. 28). Ich verliehe aber nicht recht, wie fich
damit die Ausfage S. 53 über Jefajas Ausfprüche zur
Zeit Hiskias verträgt, daß Jefaja ,aller Wahrfcheinlichkeit
nach von Anfang bis zu Ende konfequent' bleibe, da
,aus dem von ihm erwarteten Untergang Affurs keineswegs
die endgültige Rettung feines eigenen Volkes folge'.
Das klingt fo, als ob fich die Konfequenz Jefajas auf die
Nichterwartung diefer Rettung beziehe. Der Verf. kann
hier doch nicht wohl meinen, daß dem Volk als ganzem
die Rettung nicht in Ausficht geftellt wäre; das brauchte
nicht erft behauptet zu werden. Wie mir fcheint, ift die
richtige Auffaffung des Schearjafchub ein Moment, das
der Verf. noch nicht in feine Gefamtauffaffung von dem
Propheten hineingearbeitet hat. Ebenfo vermiffe ich eine
befriedigende Rückfichtnahme auf die Bedeutung des
■pEXri, des Glaubens, für Jefaja.

Noch zwei Einzelheiten untergeordneter Art. Es ift
abfolut nicht einzufehen, warum ein Perfonname ,Sohn
des Gottes X1 unmöglich fein foll (S. 3). Vielmehr kennen
wir einige femitifche Namen — viele find es nicht —, die
allem Anfchein nach fo lauten, z. B. palmyrenifch 135-13
und Kn3>-13, nr»-13, wohl auch 331-13 in Sendfchirli
und ©13»-13 palmyrenifch undv in Edeffa (einmal freilich
Patronymikon: Marjahb bar Smei in der Chronik von
Edeffa). Dazu kommt punifches 3i>3-ri3 ,Tochter des Baal'.
I Natürlich ift es in allen Fällen möglich, daß der mit