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Ausgabe:

1906 Nr. 15

Spalte:

430-431

Autor/Hrsg.:

Calmes, P. Th.

Titel/Untertitel:

Évangile selon Saint Jean 1906

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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429

Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 15.

430

betreffs der übernommenen griechifchen Wörter z. B.
ftellt fich das Verhältnis fo, daß beide etwa ein Drittel
gemeinfam haben, jede aber je ein Drittel für fich; alfo
ift nicht die eine puriftifcher als die andere; die jüngere
Bearbeitung vermeidet allerdings Gräcismen an manchen
Stellen, wo die ältere fie hatte, bringt dafür aber an andern
Stellen solche ein, wo jene bereits den nationalen Ausdruck
gefunden hatte, boh. liebt offenbar Abwechslung
im Ausdruck: 1 Cor 1O23 wird das 1. egsoxiv koptifch
wiedergegeben, das 2. beibehalten, wie in sah. beidemal.
Auch fonft kann man nicht einfeitig fagen, daß diefe oder
jene Überfetzung fprachlich glatter, koptifch korrekter
fei: oft fcheint es, als nähere fich boh. ftärker an das
griechifche an, wo fah. mehr koptifchen Klang hat, dann
aber findet fich auch das umgekehrte. Eine Reihe von
Beobachtungen fcheinen mir aber zu beweifen, daß boh.
von fah. abhängt, es find einmal fprachliche: boh. braucht
für oiöaxs meift cur, einigemal aber übernimmt es aus
fah. ciooTtt u. ä.; zum andern textliche: fah. reprä-
fentiert eine ältere Stufe der Textgefchichte als boh.
Nun aber fragt es fich, wo die Textüberlieferung von
boh. auseinandergeht: ift eine allmähliche Entfernung von
fah. unter Einfluß der griechifchen Textentwicklung anzunehmen
, oder liegt hier das gleiche vor wie bei den
Mifchtexten der Vulgata, ein nachträgliches Einwirken
von fah. auf boh.. die allerdings felbft aus einer Revifion
von fah. hervorgegangen war? Nur eine umfaffende
Unterfuchung kann diefe Probleme löfen; hier muß es
genügen, fie angeregt zu haben. Dabei müßten dann auch
noch die andern ägyptifchen Dialekte und die arabifchen
und die äthiopifchen Texte zugezogen werden; denn
zwifchen allen diefen beftehen innere Zufammenhänge.
An vielen Stellen, wo bei Tifchendorf aeth. gegen cop.
fleht, zeigt fich jetzt, daß doch ein Teil der bohairifchen
Überlieferung mit aeth. zufammengeht.

Vielleicht ift es willkommen, wenn ich noch einige ;
wichtigere Varianten heraushebe. Eph. Ii ift sv s<ps6q> j
einftimmig bezeugt (auch fah.); I Tim 3 ig og, ebenfo das
Fehlen von R. 1621, wo Tattam willkürlich ergänzte;
boh. hat die Worte bei V. 20; nur K, eine nach dem
Griech. überarbeitete Handfchrift, fügt fie nochmals nach
V. 27 bei (gr. P 17. 80). Von den fpezififch abend-
ländifchen Lesarten in Gal 2 5, 425, 51 findet fich bei boh.
nichts, ebenfowenig in der AG. Daß II Th 12 in AE fehlt,
hängt mit gr. 177 Dam. nicht zufammen, fondern beruht
beiderfeits einfach auf Homoioteleuton, durfte alfo nicht
in den Text aufgenommen werden. Mindeftens fehr j
zweifelhaft ift das Recht der LA. von ABa 26 in AG 262,
wo jisql — Aygixjta noch zur Einführung gezogen und
die Rede erft mit i/ynuac begonnen wird: hier handelt
es fich offenbar um ein durch das Fehlen von ort (sc) |
veranlaßtes innerkoptifches Mißverftändnis. Zuweilen
finden fich allerdings auch hier, wie bei Hieronymus, LAA, 1
die im griechifchen uns nicht mehr bezeugt find, die j
aber aus Mifchlesarten noch erfchloffen werden können, j
fo z. B. Apoc. ig 411 8 6. Andererfeits aber gibt es j
auch Stellen, wo die gefamte handfchriftliche Über- j
lieferung in boh. offenbar verderbt ift und mit Konjektur
hätte eingegriffen werden müffen, was übrigens Horner
auch ftellenweife, z. B. Mc. 5 ii getan hat. So hat es
ficher nie in Apc. 43 für opoioq [ogaasi] Xi&m laömöi xai
octQÖico eine LA. gegeben being in tlie Light of iaspis and j
sardinos (= o/ioioq oder gar sv spooxi . . .), es handelt j
fich vielmehr um einen innerkoptifchen Fehler na.uoi j
nortomi für n*.qoni noirumi (sah. eqeme Iie-opA.cic HOircone)
und es kann fich nur fragen, ob diefer dem urfprüng-
lichen Bearbeiter von boh. zur Laft zu legen ift, der fah. j
mißverftand, oder — was wahrfcheinlich ift — einem
Abfchreiber des bohairifchen Textes (in n-orr-um ift ou
unbeftimmter Artikel, in n-o-s-iomi gehört es zum Wort).

Erwähnung verdienen wohl noch die Beigaben zu i
dem Text; von den euthalianifchen Prologen fcheint fich |
fo wenig etwas zu finden als von den pfeudoathanafi- |

anifchen Argumenten; auch nichts von den kritifchen
Vorbemerkungen zu Heb. Die Stichometrie weicht von
der euthalianifchen beträchtlich ab; ebenfo die Kapitel,
bei denen längere und kürzere unterfchieden werden
und neben denen in einer Gruppe noch die mir unerklärlichen
Qco/iaioi flehen (follen dies Lektionen sein?);
nur in einer kleinen Gruppe findet fich eine Zählung der
atlichen Zitate, die mit der euthalianifchen übrigens nicht
genau ftimmt.

Einen Fortichritt bedeutet die andersartige Verwendung
der Kurfivfchrift in der Überfetzung, nicht
mehr zur Markierung von textlichen Abweichungen,
fondern zur Hervorhebung der griechifchen Lehnwörter
im Koptifchen. Im Hinblick auf die in Ausficht flehende
Ausgabe des fahidifchen Neuen Teftamentes fei es geblattet
noch folgende Wünfche auszufprechen: 1) Gleiche
Worttrennung im Apparat wie im Text. 2) Aufführung
der Zeugen nach Gruppen, nicht in alphabetifcher Folge;
am fchönften wäre es, wenn es dem Herausgeber gelänge,
dabei die fortfchreitende Bewegung des Textes, die allmähliche
Umbildung zur Darftellung zu bringen. 3) Ent-
laftung des Apparates von allen rein grammatifch-ortho-
graphifchen Varianten, die in einem Anhang zufammen-
geftellt werden mögen. So wenig wir die koptifche
Philologie um die fehr wertvollen Beiträge, u. a. zur
Lautlehre, die fich aus diefen von Horner mit pein-
lichfter Sorgfalt gefammelten Varianten ergeben, bringen
wollen, fo fehr glauben wir im Intereffe beider, der
Sprachwiffenfchaft wie der Textkritik, eine Scheidung
befürworten zu follen. 4) Trennung des koptifchen und
des griechifchen Variantenapparates; wo auf griechifche
Zeugen verwiefen wird, mag auch das griechifche st. des
koptifchen Wortes angeführt werden. 5) In der Einleitung
eine Darftellung der wichtigeren Texteigentümlichkeiten
, Tabellen der für die Klaffifikation inbetracht
kommenden Varianten u. a. m. Kritifche Ausgaben der
alten Verfionen wollen doch in letzter Linie der Textkritik
des Neuen Teftaments dienen; fie müffen mit
Lefern rechnen, die von der betreffenden Sprache wohl
eine Ahnung haben — ohne eine folche kann niemand
trotz der beigefügten englifchen Überfetzung den Text
mit Erfolg benutzen —, denen fie aber doch Schwierigkeiten
macht. Da ift es nur billig foviel Hilfe zu bieten
als möglich. Niemand kann das beffer als der Herausgeber
.

Straßburg i. E. von Dobfchütz.

Calmes, P. Th., SS. CC, Evangile Selon Saint Jean. Paris,
V. Lecoffre 1906. (XXVIII, 204 p.) 8»

In der unter dem Titel ,La pensee Chritienne' veran-
ftalteten Sammlung hatte Pere Rofe 3 Werke über die
fynoptifchen Evangelien veröffentlicht, zu welchen Pere
Calmes hier ein Seitenftück liefert, das, obwohl mit Erlaubnis
des erzbifchöfüchen Generalvikariates erfchienen,
doch keine Aufnahme in jene Sammlung gefunden hat,
fich dafür jetzt unter die Kategorie der ,Etndes bibli-
qnes' ftellt. An fich ftellt es einen popularifierten Auszug
des in vieler Beziehung verdienftvollen größeren Werkes
dar, welches vor 2 Jahren erfchienen und in diefer Zeitfchrift
(Jahrg. 1904, Sp. 435 f.) befprochen ift. Die Einleitung
zeichnet mit Zügen, die an Deutlichkeit nichts zu wünfchen
übrig laffen, den Abftand des vierten Evangeliums von
feinen Vorgängern und charakterifiert es als eine wefent-
lich theologifche, vielfach allegorifierende Lehrfchrift. Als
folche erweift es fich infonderheit durch feine, ganz von
der Logosidee getragene und durchdrungene Chriftologie
und durch feinen Begriff vom Reich Gottes, der durchweg
die Linie Luc. 1721 ,inwendig in euch' einhält, gleichwohl
aber feine Realifierung in der Kirche und zuletzt, wegen
Kap. 21, fogar im Primat des Petrus findet.

Der Körper des Buches zeigt auf jeder Seite oben
eine flotte und korrekte Überfetzung, unter dem durch-