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Ausgabe:

1906 Nr. 14

Spalte:

411-414

Autor/Hrsg.:

Jordan, Hermann

Titel/Untertitel:

Rhythmische Prosa in der altchristlichen lateinischen Literatur 1906

Rezensent:

Kattenbusch, Ferdinand

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Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 14.

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Gefchulten zu wenig anfprechen. Es ift zu panegyrifch I
und zu klerikal, darum einfeitig gefchrieben. A. arbeitet, I
trotz der Vorficht in den Einzelheiten, zu viel im Gold
und Purpur der erbaulichen Heiligenlegende. Von den
Gefallenen redet A. gar nicht, obwohl ein genauerer Hinweis
auf fie z. B. im 6. Vortrag fehr wohl am Platze
gewefen wäre. Die kafuiftilche Art, wie am Eingang
des 9. Vortrags zwifchen den Märtyrern der Kirche und
den Märtyrern, die die Kirche felber bluten ließ (A. bezieht
fich auf Boissier, Fin du Paganisme I, 400, der
der Kirche la mort courageuse des vaudois, des hussites,
desprotestants vorhält, quelle a brüles oupendus) ift eines
Hiftorikers fchlechthin unwürdig. Im 10. Vortrag tritt der
ungeheuere Aberglaube, der mit der Märtyrerverehrung
verbunden war, gar nicht genügend ans Licht. Einwände
gegen die Darfteilung des 3. und 4. Vortrags find fchon
oben erhoben worden. — Mag zum Schluß nicht unerwähnt
bleiben, daß A. fein Buch in einer Zeit und in
einem Lande fchreibt, wo das Verhältnis von Staat und
Kirche ein feindliches geworden ift. Namentlich in der
erften Hälfte feines Buches wirft A. manchen Seitenblick
auf den franzöfifchen Kulturkampf.

Marburg i/Heffen. Rudolf Knopf.

Jordan, Priv.-Doz. Lic. Hermann, Rhythmifche Prosa in der
altenri(fliehen lateinifchen Literatur. Ein Beitrag zur alt-
chriftlichen Literaturgefchichte. Leipzig, Dieterichfche
Verlagsbuchh. 1905. (78 S. m. 1 Tabelle.) gr. 8°

M. 2 —

Jordan, Priv.-Doz. Lic. Hermann, Rhythmifche Profatexte
aus der alterten Chriftenheit (das apoftolifche Symbol,
Novatian de Trinitate I und Novatianpredigt I) für
Seminarübungen. Mit Angabe der Rhythmen herausgegeben
. Leipzig, Dieterichfche Verlagsbuchh. 1905.
(22 S.) gr. 8° M. — 60

Die Philologen haben in den letzten Dezennien fich
einem Probleme zugewendet, welches eine Fülle von
Vexiererfcheinungen bietet und wohl nur langfam fich
ganz klären wird, dem der fog. rhythmifchen Profa bei
den Alten. Unzweifelhaft das größte Verdienft hier hat
fich Wilhelm Meyer erworben, der das eigentliche
Grundgefetz des kunftvollen Satzfchluffes bei den Rhetorikern
und mehr oder weniger allen guten Profaiften in
der römifchen Kaiferzeit, fpeziell feit Cicero, entdeckt hat:
nämlich daß es der Kretiker (- <-> -) ift, der irgendwie,
d. h. in verfchiedenen Kombinationen und Auflöfungen,
die clausula rhetorica beherrfcht. Neben W. Meyer ift
eine nicht geringe Zahl weiterer Arbeiter auf diefem
Gebiete erfchienen, die ihm im Detail oder auch in der ge-
fchichtlichen Deutung der beobachtbaren Phänomene
vielfach entgegengetreten find. Im vorigen Jahre hat
Meyer, der feine Studien bis tief in das Mittelalter,
auch in die romanifchen und germanifchen Literaturen,
die von der lateinifchen beeinflußt find, unter gleichzeitiger
Bearbeitung der griechifchen (klaffifchen und by-
zantinifchen) Schriftwerke, verfolgt hat, die wichtigeren
feiner Studien zufammengefaßt und in zwei Bänden als.Ge-
fammelte Abhandlungen zur mittelalterlichen Rhythmik'
(Berlin 1905) herausgegeben. Schon er, aber auch andere
(zumal E. Norden) haben die chriftliche Literatur in er-
giebigfter Weife mit herangezogen. Es ift nun ein Verdienft
von H. Jordan (Privatdozent in Greifswald), daß
er als Theolog verfucht mit einzutreten in diefe Arbeiten
und fogleich womöglich fchon die Studenten in
den Seminaren dafür mit zu intereffieren. In der oben
zuerft verzeichneten Schrift behandelt er nach einer
kurzen Einleitung, die nur andeuten foll, wiefern es fich
hier um ernftliche und fruchtverheißende Fragen auch
für die Theologen handele, zuerft ,die Grundzüge der
lateinifchen rhythmifchen Profa', dann, um an bedeut-

famen Stücken eine Probe der Wichtigkeit der Sache zu
liefern, unter den Gefichtspunkten der Regeln der
rhythmifchen Profa zunächft das altrömifche Symbol
lateinifcherForm, dann die dem Novatian zugefchriebenen
Schriften. Die kleine zweite Schrift bietet für .Übungen'
den rhythmifch konftruierten Text von R, des erften
Kapitels von Novatians de trinitate und des erften der von
Batiffol edierten, von Jordan (mit anderen) dem Novatian
zugefchriebenen tractatus. In dem erften Kapitel
der unterfuchenden Schrift behandelt J. befonders die
Frage nach den Merkmalen, woran man erkennen könne,
ob ein Lateiner feine Profa rhythmifch geftalten ,wolle',
denn die fog. clausula rhetorica ftelle fich bei der
Eigenart des lateinifchen Idioms oft und leicht ,von
felbft' ein. J. glaubt es ftatiftifch faft ficher feftftellen zu
können, wann ein Autor nicht .zufällig', fondern mit Abficht
rhythmifiere. Ich bekenne, daß ich zu wenig
felbfiändig in der Sache verfiert bin, um anders als
unter Referve mitfprechen zu dürfen. Verfchweigen
darf ich nicht, daß Wilh. Meyer fich fehr hart über J.s
Arbeit, wenigftens feine Konftruktion der Texte, geäußert
hat (Abhandlungen, II, S. 241, Anm.: ,Hiat, Elifion,
falfche Auflöfungen, verbotene Wortgrößen find ihm
gleichgiltig'). Ich habe die Texte weder im allgemeinen
nachgeprüft, noch würde ich mir ohne weiteres zutrauen,
das überall ficher zu können. Intereffiert hat mich per-
fönlich J.'s Arbeit auch wefentlich nur, weil darin R mit
berückfichtigt ift.

Hat J. recht, daß R ein ftreng rhythmifches Gebilde
fei (er betont, daß wir es in ihm, d. h. dem lateinifchen
Text, mit ,einem fehr fein zufammengefetzten rhythmifchen
Ganzen zu tun haben!'), fo wäre gerade auch für diejenige
fachliche Würdigung der Formel, die ich vorgetragen
habe, vielleicht etwas gewonnen. Ich gewann
den Eindruck, daß R ein qualitatives ,Ganzes' fei, ein
Totalausdruck bewußten Verftändniffes des Chriftentums
im Sinne "etwa der Zeit um das Jahr 100. Meine Exe-
gefe geht von diefem Eindruck aus und will die Probe
darauf fein, daß er der richtige fei. Man hat bisher
nicht gerade forglältig beachtet, was ich vorgebracht
habe. Vielleicht könnte J.'s Idee, daß R eine rhythmifch
erwogene, geradezu künftlerifch ftilifierte Formel fei, für
meine Idee mit Intereffe erwecken. Freilich gar viel
dürfte ich wenigftens a priori von diefer Seite nicht für
mich erwarten. Denn ich müßte auch darauf gefaßt fein,
daß fich nun vielmehr zeigte, wie Formrückfichten den
Ausdruck beftimmten, wo ich an Sachrückfichten dachte.

J. hat aus feiner .Entdeckung' über R die Konfe-
quenz gezogen, daß die lateinifche Form die eigentliche
Grundform fei. Bisher war man mehr oder weniger
unwillkürlich der Meinung, daß R graece die Urgeftalt
repräfentiere, R latine nur eine vielleicht (oder fogar
wahrfcheinlich) fofort mitkonftituierte Überfetzung. Ift
die lateinifche Form ftiliftifch fo fehr .Kunftwerk', wie J.
meint, fo würde auch ich glauben, daß man in ihr die
maier fehen müßte. R graece ift nicht in dem fpezi-
fifchen Sinn rhythmifch, wie R latine es fein foll. Die
griechifche rhythmifche Profa hat ihre eigenen Regeln
gehabt, wie man bei Meyer fehen mag. R graece ift
zwar feierlich in feinem Klange, aber in keinem Sinne
rhythmifch .regelrecht'.

Ich muß doch auch, je länger ich es erwogen habe,
um fo beftimmter in Abrede ftellen, daß R latine einen
technifchen Rhythmus zeige. Ift die Formel zwifchen
IOO und (fpäteftens) 200 verfaßt, fo kann fie nur auf
ihre Quantitäts-, nicht etwaige Accentuationstechnik
geprüft werden, wenn fie denn /Profa' ift und doch rhythmifch
fein foll. J. hat fie auch dementfprechend und
mit Scharffinn analyfiert. Ich kann hier nicht bis in
jedes Detail feine Konftruktion beleuchten. Aber foweit
ich urteilen kann, behält ihr gegenüber wirklich Meyer
recht. J. fcheint der Meinung zu fein, daß die Langzeilen
der Formel fich mehr oder weniger in zwei Kurz-