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Ausgabe:

1906 Nr. 14

Spalte:

404-405

Titel/Untertitel:

Lukas der Arzt, der Verfasser des dritten Evangeliums und der Apostelgeschichte 1906

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 14.

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der jüngeren bezeugt in; nur in 7 oder 8 Fällen fleht
ihm eine folche Zeugenreihe zur Seite, daß man fchwanken
könnte, ob er im Recht in; innere Gründe entfcheiden
auch hier gegen ihn. In 36 Fällen find es Umflellungen;
Hieronymus fetzt z. B. autem auch an 3. Stelle hinter
das Verbum, der jüngere Text fchiebt es vor, 522 717 923.
Noch öfter (41 mal) find es verdeutlichende und volltönende
Zufatze, wiefie auch der jüngere griechifche Text,
vielfach freilich auch die altlateinifche Überlieferung bieten,
z. B. 4- dominus noster" J. Chr. 410 934 1048, spiritu -- sancto
63, obdormivit -j- in domino 700, ostendentes -j- ei 939; ganze
Sätze s. 515 837 95 ioe. Der durch die englifchen Herausgeber
wieder hergeflellte Hieronymustext trägt den
Charakter des Gedrungenen, vyie der der älteren
griechifchen Minuskeln SB AC. Über die griechifchen
Vorlagen des Hieronymus handelt kurz Kap. II der
praefatio; bemerkenswert ift, daß Hieronymus LAA vorausfetzt
, die keine unferer griechifchen Handfchriften
bietet, die aber auch durch griechifche Väter des 4. und
5. Jahrhunderts bezeugt find: fo 53 ssieIquoev fl. escXriQcoöev.
Auf die Art der Revifion des Hieronymus fällt ein Licht von
der Beobachtung, daß er z. B. 72 abraham indeklinabel
als Dativ braucht (allerdings nach patri nostro), 717 aber
nach Ausweis aller Zeugen abrahae fchreibt, wie die Altlateiner
; hier wäre allerdings der Dativ fonft unkenntlich;
vgl. Mt 3» Lk 38. Stellen wie 220 magnus et manifestus
beweisen (was in der ntlichen Einleitung zuweilen über-
fehen wird), daß auch ein Überfetzer, wenn anders er
ein gewandter Stililt ift, Wortfpiele zu Wege bringt.

Befondere Sorgfalt ift, wie bei den Evangelien, den
literarifchen Beigaben gewidmet. Die 5 Prologe bieten
wenig Intereffe; der I. ift freie Nachbildung des monar-
chianifchen zu Luk, drei andere find aus Hieronymusfetzen
zufammengefetzt. Weit wichtiger find die Kapiteltafeln
, 6 an der Zahl: eine der euthalianifchen Manier,
wie fie bei den Evangelien in II (III) vertreten war, mit
großen Kapiteln und Subdivifionen, entfprechende, ift nicht
darunter. Codex I hat Initien für 74 capp., wie die bekannten
36 Initien im euthalianifchen Apparat. Der tab.
I der Evangelien entfpricht ein Bruchftück (cap. 1—3), das
unter die Prologe geraten ift {praef. tertia, codd. MR).
Den tabb. IV, V, VI der Evangelien verwandt find hier
I, II. im ubi-Stil (II hat vereinzelt dafür Initien), ganz
nach Vulg. gearbeitet, 70 bezw. 74 capp. Davon unter-
fcheidet fich die Gruppe III, IV, VI, die bei aller Ver-
fchiedenheit doch wefensverwandt ift, mit 62, 63 bezw.
53 capp. im Ton der Regelte. Hier find deutliche
Spuren einer altlateinifchen Vorlage vorhanden: z. B.
III38 VI31 mulierem ancillam für 1616 scacöiöxnv riva {vg.
puellam qtiandam); in nennim (-vo) mittere (vg. in lignum);
IV38 carcerarius {vg. custos carceris); VI51 colligens . . .
momordit (283 vg. congregasset. . . invadii), vgl. gig. Bei
weitem am intereffanteften aber ift eine in zwei Handfchriften
des 9. und einer des 14. Jahrhunderts aufgefundene
capitulatio (V), welche höchft originell und temperamentvoll
gefchrieben, die Gefchichte der Apoftel im Sinne der
eignen Zeit und Partei zu lefen Anweifung gibt. White
zeigt, daß fie donatiftifchen Kreifen der Zeit nach 347
entflammt: man lefe Kap. XLI1II De auctoritate publica
quod rebus divinis numquam se interposuerit zu Act. 1812 ff.,
und XLV De auctoritate rebaptizandi zu Act. 191fr.
Diefer ganze Zweig altkirchlicher Bibelwiffenfchaft verdiente
einmal eine gründliche Unterfuchung.

Der Druck ift im höchftem Grade korrekt. 8s >
gaud. magn. DE liegt wohl ein Verfehen vor; p. VIII
hätte Potts Collation des Oxon. Clark 9 Erwähnung
verdient. Über den Titel actus acta handelt neuerdings
Jof. Denk in Preufchens ZntW VII, 1906, 92fr. Daß trotz
der klaren Klaffifikation der Handfchriften die Sigla in
der nichtsfagenden oder vielmehr irreführenden alpha-
betifchen Reihenfolge erfcheinen, ift fchade, war aber
durch den erften Band geboten. Ebenfo das Prinzip,
die zuweilen doch finnlofe Kolometrie des Amiatinus

(s. z. B. 319. 21.22) unbefehen dem Textabdruck zugrunde
zu legen (nur 812 ift fie korrigiert). Was die offiziellen
j römifchen Ausgaben an Interpunktion zu viel haben, ift
hier zu wenig, z. B. ns. Die Oxforder Vulgata bleibt
trotzdem eine Mufterleiftung, die in uns neben dem Dank
zugleich den Wunfeh hervorruft, daß nicht nur das Neue
Teftament bald zum Abfchluß gebracht, fondern auch
das Alte Teftament in gleicher Weife in Angriff gegenommen
werden möge.

Straßburg i. E. von Dobfchütz.

Harnack, Adolf, Lukas der Arzt, der Verfalfer des dritten
Evangeliums und der Apoltelgefchichte. Eine Unterfuchung
zur Gefchichte der Fixierung der urchrift-
lichen Überlieferung. (Beiträge zur Einleitung in das
Neue Teftament. I. Heft.) Leipzig, J. C. Hinrichsfche
Buchhandlung 1906. (VII, 160 S.) gr. 8°

M. 3.50; geb. M. 4.50

Daß die unter dem Namen des Lukas im N.T. flehenden
Schriften von Lukas, dem Begleiter des Paulus, feien,
gilt heute in weiten Kreifen der Forfcher als eine abgetane
Meinung. Ich habe in der vorftehenden Arbeit
das gute Recht diefer Annahme darzutun verfucht. Die
Methode, die ich dabei angewendet habe, ift nicht neu:
Kloftermann, Weiß, Hawkins und Vogel find ihr
gefolgt; aber vielleicht haben ihre ausgezeichneten Nachweife
deshalb nicht den gebührenden Erfolg gehabt, weil
fie die Tatfachen noch nicht in ihrer ganzen Vollftändig-
keit und Kraft haben fprechen laffen. Der fprachliche
Beweis ift nicht der einzige. Die vollftändige Einheit in
■ den Zwecken, Intereffen und Erzählungsmitteln, die zwi-
fchen den „Wir'ftücken" und dem ganzen Werk befteht,
I und die Erkenntnis, daß das ganze zweiteilige Gefchichts-
j werk von einem Arzt gefchrieben ift, führen zu demfelben
Ergebnis.

Die Abfaffung des dritten Evangeliums und der Apoftel-
gefchichte durch Lukas fcheint mir ebenfo gefichert zu fein
wie die der Korintherbriefe durch Paulus. Für die Gefchichte
der Fixierung der urchriftlichen Überlieferung ift
diefe Erkenntnis von hohem Werte. Da auch Markus,
die Hauptquelle des Lukas im Evangelium, dem paulini-
fchen Kreife angehört und das Markus-Evangelium ebenfalls
dem erften Evangelium zu Grunde liegt, fo ift jener
Kreis die Stätte der Fixierung. Aber andrerfeits wird
man fich doch hüten müffen, den Namen des Paulus
hier zu fehr zu betonen: Lukas, auch Markus und gar
,Matthäus* (landen dem Paulus augenfeheinlich mit großer
und eigentümlicher Selbftändigkeit gegenüber und haben
dazu fämtlich erft geraume Zeit nach feinem Tode gefchrieben
.

Für die einzelnen Überlieferungen von Jefus, die in
der fynoptifchen Tradition enthalten find, ift die Erkenntnis
, daß das dritte Evangelium von Lukas verfaßt
ift, gewiß nicht unwichtig, jedoch nicht von durchfchla-
gender Bedeutung. Aber für die Würdigung der Apoftel-
gefchichte — und deshalb indirekt auch für die der
evangelifchen Gefchichte — ift jene Erkenntnis fundamental
. Eine Fülle von Hypothefen, die über das Buch
und über die in ihm enthaltene Gefchichtserzählung aus-
gegoffen worden find, ift mit einem Schlage befeitigt.
Man fleht auf feftem Boden; denn die Abzüge und Modifikationen
, welche fich die Berichte gefallen laffen müffen,
find nun verhältnismäßig leicht anzugeben. Die Glaubwürdigkeit
des Lukas wird vornehmlich nur durch feine
Eigenart als enthufiaftifcher Medizinmann und als griechi-
fcher Stilift befchränkt. Im allgemeinen war er in der
Lage, Zuverläffiges zu berichten, und hat fich diefer Lage
gewachfen gezeigt. Auch feine Berichte in der erften
Hälfte des Buchs find beffer, als fie zunächft erfcheinen;
allerdings ift er hier neben Markus Autoritäten als Be-
richterftattern gefolgt (dem Evangeliften Philippus und