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Ausgabe:

1906 Nr. 13

Spalte:

396

Autor/Hrsg.:

Drews, Paul

Titel/Untertitel:

Der Einfluß der gesellschaftlichen Zustände auf das kirchliche Leben 1906

Rezensent:

Bassermann, Heinrich

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 13.

396

Gebiet Intereffe zu erwecken und insbefondere dazu dienen
kann, in dem angehenden modernen Theologen (4 ff.)
die freudige Überzeugung zu beleben, daß gerade er
imflande fei, den heute an die Predigt zu {teilenden Anforderungen
gerecht zu werden. Es will keine Theorie
geben, fondern lediglich Winke für die Praxis. Man mag
jawohl bedauern, daß durch derartige Bücher das Studium
der eigentlichen Homiletik in den Hintergrund gefchoben
wird, aber die Hauptfache ift doch, daß die Sache, der
Stoff auf geeignete Weife an den Mann kommt. Und
diefe Aufgabe hat Schian fehr gut gelöft. Vor allem
verfteht er vortrefflich zu fchreiben; er hat eine leichte
flotte, glückliche Ausdrucksweife, der es auch an geift-
vollen Pointen, an fchlagenden, mitunter herzerquickenden
Sentenzen nicht fehlt. Praktifch wie die Darftellungsweife
ift auch die Einteilung: in einem erften allgemeinen Teil
wird unter den Kategorien ,die Aufgabe der Predigt',
,die Ausbildung zum Prediger', ,die Hörer der Predigt'
etwa der Stoff der prinzipiellen Homiletik gegeben,
ein zweiter fpezieller Teil: ,die Arbeit an der Predigt'
bringt dann die materielle und formelle Methodenlehre.
Den Wert des Studiums der Predigtgefchichte weiß
Sch. (52 ff.) fortrefflich darzulegen. Der Verf. ift fleh
erfreuhcherweife darüber klar, daß (5) ,eine ganz beftimmte,
auch prinzipiell feftgegründete Anfchauung' auch folchen
rein-praktifchen Ausführungen, wie er fie gibt, zugrunde
liegen muß. Indem er diefe nun (9) auf die gottesdienftliche
Predigt befchränkt, eine chriftliche Gemeinde als Zuhörerichaft
vorausfetzt (19), den ,gemeinfamen Heilsbefitz' als
Grundlage und Anknüpfungspunkt bezeichnet (11) für
alles was gefagt wird, als Inhalt der Predigt ,das religiös-
beftimmte Evangelium' (16. 26) hinftellt, die bekehrende
Evangelifationsrede ebenfo wie die belehrende und kritifche
Standpunktsrede ablehnt (19. 25. 28 u. fonft) und überall
den religiöfen Charakter der Predigt hervorhebt, läßt
fleh füglich behaupten, daß er prinzipiell den homiletifchen
Standpunkt Schleier machers teilt, wobei man nur nicht
von der verkehrten Vorausfetzung ausgehen darf, als habe
Schleiermacher den Gedanken, daß die Predigt ,wirken'
folle, abgelehnt (auch bei Schian findet fich S. 12 in
einer Polemik gegen J. Smend der feltfame Gegenfatz
von ,wirken' und ,feftlich erheben'; das letztere ift doch
auch ein Wirken?). Wie Sch. (12) die Wirkung des Kultus
und der Predigt befchreibt, ift doch ganz in Schleier-
macherfchem Sinn, und der etwas unklare Ausdruck
,das religiös-beftimmte Blvangelium' dürfte fich bei genauerem
Zufehen mit ,chriftlichem Gemeindebewußtfein'
decken. Alfo: Schleiermacher die Lofung für moderne
Prediger! Ich glaube in der Tat, daß eine beffere nicht
ausgegeben werden kann. Gerade Sch.s Buch zeigt fehr
gut, wie bei diefer Auffaffung der Sache ebenfowohl die
traditionellen Verirrungen einer erftarrten Homiletik überwunden
, als die für unfre heutige Zeit fich geltend machenden
Anforderungen an die Predigt befriedigt werden
können. Inhaltlich darf man in dem Büchlein natürlich
nichts Neues erwarten; aber was geboten wird, ift gut, be-
fonnen, umfichtig, vor allem erquickend-ehrlich, meift auch
für die Bedürfniffe des Anfängers zunächft genügend. Am
wenigften befriedigt hat mich § 6 ,die Geftaltung der
Predigt': hier läßt fich d. V. zu fehr von der modernen
Angft vor der ,Schablone' beherrfchen und fcheidet auch
nicht genügend zwifchen der inneren Form, die der Redner
dem Thema und der Dispofition geben muß, und dem
fprachlichen Ausdruck, in dem er beides vor die Gemeinde
bringt (vgl. mein Handbuch §§ 68. 73). Dagegen bin
ich mit der Lehre von der Stoffgewinnung ganz einver-
ftanden, nur daß der S. 130 aufgeftellte Satz: ,aller Stoff
hat nur Exiftenzrecht, wenn er zum Mittel für die Predigt
des Evangeliums wird' eine etwas energifcher-konzen-
trierende Wirkung hätte üben dürfen (gegen S. 133 u.
135 ff.). Die ,Darftellungsmittel' (197 ff.) find einfeitig nur
unter dem Gefichtspunkt der ,Veranfchaulichung' behandelt
. — Alles in allem: ein vortreffliches Werkchen,

deffen Lektüre insbefondere homiletifchen Anfängern aufs
wärmfte empfohlen werden darf.

Heidelberg. Heinrich Baff er mann.

Drews, Prof. D. Paul, Der Einfluß der gerellfchaftlichen Zu-
ftände auf das kirchliche Leben. Vortrag, gehalten auf der
Verfammlung der Sächfifchen- kirchlichen Konferenz
zu Chemnitz am 18. Oktober 1905. Separatabdruck
aus der ,Zeitfchrift für Theologie und Kirche' 1906.
Tübingen, J. C. B. Mohr 1906. (48 S.) gr. 8° M. — 60

Der Begründer der evangelifchen Kirchenkunde und
Darfteller der Gefchichte des evangelifchen Pfarrerftandes
legt hier einen fehr intereffanten Beitrag zu diefen beiden
von ihm bearbeiteten Forfchungsgebieten vor. Ausgehend
von der Grundanfchauung, daß es eine der wichtigften
Aufgaben der praktifchen Theologie fei, ,eine gründliche
Kenntnis des empirifchen kirchlichen Lebens zu vermitteln
', dies aber nur gelingen könne durch das Verftändnis
unfrer Gegenwart aus der gefchichtlichen Vergangenheit,
führt er den Lefer mit großer Sachkunde und klarem Urteil
durch die verfchiedenen Phafen der kirchlichen Ent-
wickelung von der Reformationszeit bis in unfere Tage
hindurch, natürlich nur in großen Zügen, um die Einficht zu
erwecken, daß (S. 41) ,unfre Kirche, das Ergebnis einer
volkstümlichen Bewegung ohnegleichen, von Anfang an
hineingezogen in den politifchen, ftändifchen, fozialen und
Bildungsgegenfatz, die Fühlung mit dem gefamten Volke
nicht zu gewinnen vermocht hat', ein Ergebnis, das ebenfo
einleuchtend als weittragend ift und recht deutlich zeigt,
wie alles Herumdoktern an unfern kirchlichen Verhältniffen
ohne ein klares Verftändnis von ihrem gefchichtlichen Ge-
wordenfein nur vom Übel fein muß. Auf den Inhalt der
feinfinnigen Studie einzugehen, verbietet der Raum. Es
ift daraus fehr viel zu lernen und noch mehr Anregung
zur weiteren Arbeit zu fchöpfen. Daß beiläufig (S. 10)
auch der Erkenntnisertrag abfällt, daß nicht erft die böfe
Aufklärung den Verfall kirchlicher Sitte herbeigeführt hat,
ift erfreulich. Derartige Unterfuchungen wie die hier an-
geftellte werden noch manches kirchenhiftorifche Vorurteil
fchwinden machen. Zum Schluß einige Bedenken. Kann
man (S. 5) von einer .Entrechtung' der Gemeinden durch
die reformatorifche Kirche reden, da diefe doch gar keine
Rechte befaßen? Ift ,der große Riß von Gebildet und
Ungebildet' (S. 23) wirklich erft durch die Aufklärungszeit
hervorgerufen worden? Beftand er nicht doch fchon lange
vorher? Mitunter wird, wie mir fcheint, doch allzu be-
ftimmt etwas für eine Folge der gefellfchaftlichen Zuftände
ausgegeben, was doch vielleicht auch andere Gründe
gehabt haben mag, wie z. B. S. 7 die Paffivität der lu-
therifchen kirchlichen Gemeinden. Und zum Ganzen:
ift nicht Beeinfluffung des kirchlichen Lebens durch die
gefellfchaftlichen Zuftände, die hier durchweg als etwas
Bedauerliches und Verderbliches hingeftellt wird, im
Grunde etwas ganz Natürliches und bis zu einem gewiffen
Grade Unvermeidliches?

Heidelberg. Heinrich Bafferman n.

Bibliographie

von Lic. theol. Paul Pape in Berlin.
jDeutfcbc Literatur.

Ginzel, F. K., Handbuch der mathematifchen u. technifchen Chronologi«'.
Das Zeitrechnungswefen der Völker. I. Bd. Zeitrechnung der Baby-
lonier, Ägypter, Mohammedaner, Perfer, Inder, Südoftafiaten, Chinefen,
Japaner u. Zentralamerikaner. Mit 6 Fig. im Text, chronolog. Taf. u.
I Karte. Leipzig, J. C. Hinrichs'fche Buchh. 1906. (XII, 584 S.j
Lex.-8» M. 19-*-; geb. in Halbfaff. M. 22 —

Winckler, H., Religionsgefchichtler u. gefchichtlicher Orient. Eine
Prüfg. der Vorausfetzgn. der ,religionsgefchichtl.' Betrachtg. des Alten
Teftaments u. der Wellhaufen'fcheu Schule. Im Anfchlull an K. Marti's
,Die Religion des A. T. unter den Religionen des vorderen Orients.
Zugleich Einführg. in den kurzen Hand-Kommentar zum A. T'. Leipzig,
J. C. Hinrichs'fche Buchh. 1906. (64 S.) gr. 8c M. — 50