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Ausgabe:

1906 Nr. 12

Spalte:

359-360

Autor/Hrsg.:

Frey, Johannes

Titel/Untertitel:

Die Theologische Fakultät der Kais. Universität Dorpat-Jurjew 1802-1903 1906

Rezensent:

Bonwetsch, Gottlieb Nathanael

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359

Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 12.

360

Frey, Priv.-Doz. Mag. theol. Johannes, Die Theologifche 1
Fakultät der Kais. Univerfität Dorpat-Jurjew 1802—1903.

Hiftorifch-biographifches Album mit Beiträgen früherer
und jetziger Glieder der Fakultät bearbeitet und
herausgegeben. Mit I Titelbilde, 35 Porträts und
4 Diagrammen. Reval, F. Kluge 1905. (XII, 232 S.)
gr. 8° M. 5 —

In dem biographifchen Album, das zur Säkularfeier
der Univerfität Dorpat-Jurjew in ruffifcher Sprache er-
fchienen ift, find die Biographien der Dozenten der theo-
logifchen Fakultät auf einen fehr knapp bemeffenen
Raum befchränkt worden. Und doch ift diefe Fakultät ;
die einzige, bei der im Ernft von einer Säkularfeier die j
Rede fein konnte, denn die andern Fakultäten der Univerfität
Jurjew haben mit denen derUniverfitätDorpat wenig
gemein. Sehr dankenswert ift es daher, daß der Privatdozent
der Dorpat-Jurjewer theologifchen Fakultät
Joh. Frey in einem ,hiftorifch-biograpifchen Album' eine
Gefchichte feiner Fakultät während des erften Jahrhunderts
ihres Beftehens zu geben unternommen hat.
Was er bietet, ift das Refultat einer fehr forgfältigen
und mühevollen Arbeit. Er hat dabei die Manulkripte
verwertet, aus denen das ruffifche Univerfitätsalbum
Exzerpte mitgeteilt, aber zugleich die Akten für alle Biographien
durchgearbeitet und diefe daher zum Teil
völlig umgeftaltet; auch hat er die Schriftenverzeichniffe
nach Möglichkeit vervollftändigt. Hiermit verbindet aber i
Frey auf Grund der Akten des Univerfitätsarchivs auch
reiches ftatiftifches Material nicht nur für die Gefchichte
der theologifchen Fakultät, fondern auch der Dorpater
Univerfität überhaupt. In bezug auf letztere ift es inter-
effant, daß, während die Univerfität Dorpat noch 1893
keinen einzigen Seminariften unter ihren Studierenden
zählte, im Jahre 1901 mehr als die Hälfte der Angehörigen
der Univerfität Jurjew nur über die minderwertige femi-
nariftifche Bildung verfügte. Da es fich hierbei nur um
griechifch Orthodoxe handeln kann, ift die theologifche
Fakultät von diefer Umgeftaltung des ftudentifchen
Materials direkt nicht betroffen. Umfomehr freilich
indirekt, wie die jüngften Ereigniffe gezeigt haben; denn
jene Elemente, welche die ruffifche Regierung durch
ihre Revolution von oben nach Dorpat gezogen hat,
haben den Unterricht durch ihr revolutionäres Treiben
gegenwärtig und wohl noch für einige Zeit unmöglich
gemacht. — In zahlreichen Tabellen werden wir über
die jeweilige Zahl der Theologen, ihr Verhältnis zur Ge-
famtzahl aller Studierenden und zu denen der evange-
lifchen Konfeffion ufw. orientiert. Bis zur Umgeftaltung
der Univerfität 1890 durch Einführung der ruffifchen
Unterrichtsfprache läuft die Zahl der Theologen der
der Studierenden überhaupt im wefentlichen parallel.
Sie wächft von 11 in den Jahren 1802—1805 auf 50 an,
um jedoch erft 1814 wieder darüber hinauszukommen;
von da an fteigt fie allmählich bis auf 91 im Jahre 1829,
ift aber 6 Jahre fpäter wieder auf 37 gefunken; dann
hält die Zunahme im wefentlichen an bis 1859 mit 103
Theologen; die Zahl finkt bis 1868 auf 56, um dann bis
1890 ftetig anzuwachfen. Befonders die Jahre 1878 bis
1890 waren folche ftarken Zudrangs zum theologifchen
Studium (von 119 fteigt die Zahl auf 284). Es war dies
doch nicht nur durch das von Frey betonte kirchliche
Bedürfnis bedingt, fondern jetzt beginnt die lebhafte
Beteiligung der Letten und Eften am Studium, und zwar
zunächft vorzüglich an dem der Theologie. — Es ift
Frey gelungen, von faft allen Dozenten, die an der
theologifchen Fakultät tätig gewefen, die Bildniffe beifügen
zu können. Die kurze Gefchichte diefer Fakultät,
die Freys Darftellung einleitet, flammt noch aus der
Feder F. Hörfchelmanns, Frey hat nur einige Korrekturen
gegeben; das Datum 1890 für den Verzicht des Minifters
auf die Einführung der ruffifchen Unterrichtsfprache in

der theologifchen Fakultät (ftatt 1893?) ift offenbar ein
Druckfehler. Die Entwicklung der Fakultät ift deutlich
durch beftimmte Vertreter gekennzeichnet. An der
Spitze fleht Hetzel mit feinen zahlreichen Schriften,
unter denen freilich auch folche über die ,Mayskultur',
die Hetzelfche Erdftampfmafchine etc. Durch den Grafen
Lieven wird der Umfchwung zum Pietismus herbeigeführt
, den Karl Ulmann und Sartorius repräfentieren;
es folgt das ftreng konfeffionelle Luthertum eines
Philippi und Theodofius Harnack und deffen modifizierte
Geftaltung durch Moritz von Engelhardt und
Alex, von Oettingen. Die Gefchichte der deutfchen
Theologie fpiegelt fich auch hier wieder, aber doch in
eigenartiger Weife. — Angefichts der über die baltifchen
Provinzen Rußlands hereingebrochenen Kataftrophe drängt
fich die Frage nach dem ferneren Gefchick der Dorpater
theologifchen Fakultät auf. Die baltifche Ritter-
fchaft hatte durch Stipendien Dozenturen an der theologifchen
Fakultät gefchaffen, hat diefe aber nun kündigen
müffen. Auch der Verfaffer diefer Schrift ift
meines Wiffens davon betroffen.

Göttingen. N. Bonwetfch.

Steinmann, Doz. Th., Die geiftige Offenbarung Gottes in
der gefchichtlichen Perlon Jehl. Göttingen, Vanden-
hoeck & Ruprecht 1903. (VIII, 125 S.) gr. 8° M. 3.60

Von dem Beftreben geleitet, im geiftig-perfonlichen
Leben das Gebiet für Wunder und Offenbarung nach-
zuweifen, geht S. fcharffinnig und unerbittlich ins Gericht
mit allen Anfchauungen, die äußerliche Kennzeichen
für die Offenbarung Gottes aufftellen; dabei macht er
nicht nur kurzen Prozeß mit den äußeren Wundern und
auch den großen Heilstatfachen, in denen durchaus
nicht die Welt Gottes empirifch in die Welt hereinragt
, fondern er entwurzelt auch kühn und ficher jeden
Vertuen, aus der Eigenart und Unableitbarkeit der
Seelentiefe Jefu und der Propheten die Überwelt als
empirifch greifbar feftzuftellen, da wir nicht dulden
dürfen, daß Gott in den noch beftehenden Lücken
unferer Erkenntnis lebt. Statt auf das dem Verftande
unerklärbare Wunder muß der Nachdruck auf das im
Gefühl erlebbare Geheimnisvolle gelegt werden; denn
jenes beruht auf einer irreligiöfen, der Naturwiffenfchaft
angenäherten Weife, den göttlichen neben die natürlichen
Faktoren zu ftellen. In der Idee der Bekundung
vollendet fich der religiöfe Wunderbegriff, der nicht auf
das unbeftimmte,metaphyfifche Gefühl'befchränkt bleiben
darf. Der vorzügliche folgende Abfchnitt legt nun die
Objekte dar, an denen im Lauf der Religionsgefchichte
der Eindruck göttlicher Bekundung empfangen wurde.
Die Entwicklung von den unterften Religionen führt
über die ,geftalteten' und ,verfelbftändigten' zu den
,verinnerlichten' hinauf, indem immer mehr jenes Objekt,
das Medium der Bekundung, aus dem Sinnenfälligen in
das geiftige Leben verlegt wird, bis fie in der Myftik
und in der Religion Jefu ihre Spitze erreicht. Zwifchen
beiden ift eine wiffenfehaftliche, nicht nur eine perfön-
liche Entfcheidung möglich. Die Myftik als das religiöfe
Urgeftein liegt nicht wie das Chriftentum im Fortgang
der religiöfen Entwicklung, deren Hauptkennzeichen die
Wendung zur geiftigen Art ift. Um nun in der Perfon
Jefu die Offenbarung Gottes nachzuweifen, ftellt fich
S. zuerft die Aufgabe, in Jefus nicht nur den Durchbruchs
punkt der Offenbarung, gefchweige denn nur ein Vorbild
der Frömmigkeit, fondern den Quellpunkt der geiftigen
Religion zu erkennen; denn man könne an ihm jenes
Erlebnis des Geheimnisvollen und der göttlichen Bekundung
machen, das uns in die Gemeinfchaft Gottes
einführt. Diefes Erlebnis hat an der inneren Hoheit
Jefu, des in Gott ruhenden Menfchen, völlig Halt
genug, und bedarf keiner Überfchrift: Hier ift eine Offenbarung
. Darin braucht man fich nicht irremachen zu