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Ausgabe:

1906 Nr. 12

Spalte:

355-358

Autor/Hrsg.:

Geß, Felician

Titel/Untertitel:

Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen. 1. Bd. 1517-1524 1906

Rezensent:

Virck, H.

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Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 12.

356

redet). Auch das Zeugnis Ephrams von Antiochien kann
ich nicht fo werten wie v. d. Goltz. Er fagt felbft (S. 117),
Ephram könne fehr wohl den Anfang unteres Traktats
im Auge gehabt haben. Das berechtigt aber nicht zu
dem fpäteren Satz (S. 118): das Zitat bei Ephram bezeuge
, daß fchon im 6. Jahrh. die (obige) Stelle ähnlich
gelefen wurde. Wir haben ja das Zitat gar nicht! Mit
jener Stelle find die Worte: jcazrjQ xcä vcog xal ayiov
nvevfia, XQElq vjtoözdöEig, [tia ß-eozrjq, fiia övvcifiiq, sv
ßdnxiCfia gemeint, die fchon den Früheren, bef. Batiffol
die Autorfchaft des Athanafius auszufchließen fchienen.
Auch ich bin diefer Meinung, halte aber mit v. d. Goltz
nicht für unmöglich, daß die Worte fpäter eingefchoben
find, da fie das Satzgefüge fprengen. Wäre das richtig,
fo wäre damit zugleich der wefentlichfte Einwand, der
gegen Athanafius als Verfaffer fpricht^ befeitigt: denn
das Vorkommen von d-Eoxöxoq (nicht &£ozoxoq, wie v. d.
Goltz S. 119 A. druckt) rechne auch ich nicht dahin. Das
ift aber auch alles. Im Übrigen ift die Schrift fpezififch
unindividuell. Man vergleiche fie einmal mit der Bafilius
von Cäfarea zugefchriebenen, neuerdings von Cavallera
(Rev. d'/nsi. eccles. 6, 1905, 1 —14) für Bafilius von Ancyra
in Anfpruch genommenen ausführlichen Schrift über das
gleiche Thema (Migne 30, 669—810). Da wird man den
Unterfchied inne werden. Will man das Zeugnis des
Hieronymus als ausfchlaggebend betrachten, gut. Darüber
hinaus aber ift zur Stunde nur Negatives beizubringen;
denn daß es fich bei dem Verf. ,um keinen ganz unbedeutenden
Mann handeln kann' (S. 115), ift doch nicht viel
mehr als eine Redensart. Wenn ich mich übrigens einen
Augenblick auf v. d. Goltzens Standpunkt ftelle, fo muß
ich fragen, mit welchem Recht er (S. 122) ,das 2. oder 3.
Jahrzehnt des 4. Jh.' (d. h. 310—330) als ,die wahrfchein-
lichfte Datierung' betrachtet? Oder handelt es fich um
einen Schreibfehler für ,3. oder 4. Jahrzehnt' ? Ob ,die
literarifchen Beziehungen' (S. 85—113) unferes Traktates
zu anderen kirchlichen Schriften durch v. d, Goltz ganz
erfchöpft find, ift mir fraglich. Ich weife nur darauf hin,
daß zu Kap. 1 eine Stelle wie Hermas Vis. I, 3 nicht
herangezogen ift, deren Berückfichtigung es außer Zweifel
ftellen dürfte, daß auch für den Eingang Hermas das
Vorbild gewefen ift. Übrigens mußte zu S. 37, 30 1 Petr.
3, 9 zitiert und daraufhin die Bemerkung S. 95 unten
über die (gar nicht vorhandene) Berührung mit Polyc.
Phil. 2282 (wo notorifch 1. Petr. benutzt ift) modifiziert j
werden. Überhaupt hätte ich es gerne gefehen, wenn
der Stellenapparat unter dem Texte reicher ausgeftattet 1
worden wäre. v. d. Goltz notiert, wie Migne, nur direkte
Zitate; Anklänge (,vgl.') find aber unter Umftänden
viel wichtiger, und hier kann man wirklich fagen, daß
das Schriftchen von folchen Anklängen an biblifche und
außerbiblifche Stellen .wimmelt'. Sollte es übrigens wirklich
urfprünglich eine .Predigt' oder ,eine wörtlich (fo !)
gehaltene Rede' (S. 114) gewefen fein? Das ift mir gar
nicht wahrfcheinlich. Auch hätte ich nicht den Begriff
des ,2,070c, amzrjQiag' zum Haupttitel erhoben, v. d. Goltz
hat felbft gut gezeigt (S. 63f.), daß ,köyog öcozrjQiaq' die
übliche Bezeichnung einer beftimmten Rede- oder Schriftgattung
war. Alfo wird der Titel xeqi jtaQ&sviag nach
wie vor zu Recht beliehen.

Gießen. G. Krüger.

Geß, Felician, Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog
Georgs von SachTen. Erfter Band. 1517—1524. Leipzig,
B. G. Teubuer 1905. (LXXXVIII, 848 S.) Lex. 8<>

M. 29 —

Seit vielen Jahren warteten die Freunde der Refor-
mationsgefchichte mit Ungeduld auf das Erfcheinen der
vorliegenden Sammlung. War doch niemand fo eifrig
und unermüdlich beftrebt gewefen, die durch Luther ver-
anlaßte Bewegung zu hemmen und zum Stillftand zu

bringen, als Herzog Georg. Die Erweiterung unferer
Kenntnis von feiner Kirchenpolitik mußte demnach auch
einen tieferen Einblick in den Werdegang der Reformation
gewähren. Bei oberflächlicher Betrachtung der
.Akten und Briefe' könnte es nun zunächft fcheinen, als
ob die gehegten Erwartungen nicht ganz in Erfüllung
gegangen feien. Denn ein großer und zwar der inte-
reffantefte Teil der Briefe war fchon vorher bekannt.
Dazu gehören vor allem die von Seidemann in feinen
verfchiedenen Schriften zur Reformationsgefchichte veröffentlichten
Stücke und der fo anziehende und lehrreiche
Briefvvechfel des Herzogs mit Erasmus. Manchen
wird es vielleicht befremden, alle diefe Briefe hier von
neuem abgedruckt zu finden. Indes ganz davon ab-
gefehen, daß einige jener früheren Veröffentlichungen
außerordentlich feiten geworden find, durften in einer
Sammlung, die das Material für die gefamte kirchen-
politifche Tätigkeit des Herzogs bieten will, diefe Dokumente
nicht fehlen. Dazu kommt, daß durch die Vereinigung
aller für die Kirchenpolitik Georgs in Betracht
kommenden Aktenftücke in einem Band die Dinge ganz
von felbft oft in eine ganz neue Beleuchtung treten.
Das wird jeder erkennen, der diefe Sammlung auf-
merkfam durchlieft. Jedenfalls werden alle, die jene
Zeit zum Gegenftand ihrer Forfchungen gemacht haben,
dem Verfaffer für den Wiederabdruck der fchon früher
bekannten Stücke dankbar fein, da er ihnen hierdurch
ihre Arbeit außerordentlich erleichtert hat. — Es gibt
kaum etwas Anziehenderes, als an der Hand diefer
Sammlung den Kampf der neuen Weltanfchauung mit
der alten zu verfolgen, wie er in den beiden benachbarten
Gebieten des Erneftinifchen und Albertinifchen
Sachfen ausgefochten wird. Während man in erfterem
den neuen Ideen völlig freie Bahn gewährt, fucht man fie
in letzterem auf jede nur denkbare Weise zu unterdrücken
. Was der Herzog in diefer Beziehung geleiftet
hat, wird doch erft durch die vorliegende Sammlung
völlig klar. Er begnügt fich nicht, den kirchlichen
Oberen auf ihre Bitte den weltlichen Arm zur Bekämpfung
der neuen Lehre zu leihen, vielmehr ift er felbft es, der
jene durch unabläffige Mahnungen an ihre Pflichten
erinnert. Die Bifchöfe von Meißen und Merfeburg erfcheinen
lediglich als Beamte des Herzogs, die von ihm
ihre Direktiven erhalten. Meiftens aber wendet fich der
Herzog überhaupt nicht an die Bifchöfe, fondern fchreitet
durch feine Verwaltungsorgane, die Amtleute, die er
unausgefetzt in Atem zu halten weiß, unmittelbar gegen
die Neuerer ein. Immer von neuem erregt es die Verwunderung
des Lefers, welche genaue Kenntnis der
Herzog von den kirchlichen Vorgängen in feinem Lande
hat. Er hört fofort, wenn ein Geiftlicher das Abendmahl
unter beiderlei Geftalt verteilt, wenn er Martinifche
Ketzereien auf der Kanzel oder fonftwo äußert. Er
wird alsbald auf verdächtige Bewegungen in den Mönchsund
Nonnenklöftern aufmerkfam; er weiß, wenn an einem
Orte die Faftengebote nicht gehalten werden, die Leute
nicht zur Beichte gehen, die Meffe nicht mehr befuchen,
die Heiligen nicht verehren, verächtlich von der Kirche
reden; er kennt die ketzerifchen Schriften, die im Lande
verbreitet werden, und er erfährt, wenn einheimifche
Kaufleute auf ihren Reifen an den neuen Gottesdienften
teilnehmen. In jedem Falle ergreift er fofort die nötigen
Maßregeln, um die gefährdeten Ordnungen der alten
Kirche zu fchützen. Die ketzerifchen Pfarrer und Mönche
werden gefangen genommen und ihren Oberen zur
Beftrafung überfandt, die Laien mit Geldbuße belegt,
auch wohl bei Waffer und Brot eingefperrt, an den
Pranger geftellt oder fonftwie, oft in höchft draftifcher
Weife, beftraft. Eine ftrenge Zenfur fowie das Verbot
des Befuches der Univerfität Wittenberg fuchte dem
Eindringen der neuen Ideen nach Möglichkeit zu wehren.
Kurz, es gibt kein Mittel, daß der Herzog nicht in Anwendung
gebracht hätte, um fein Land von der Ketzerei