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Ausgabe:

1906 Nr. 11

Spalte:

328-330

Autor/Hrsg.:

Preuschen, E.

Titel/Untertitel:

Antilegomena. Die Reste der außerkanonischen Evangelien und urchristlichen Überlieferungen herausgegeben und übersetzt. 2. umgearbeitete und erweiterte Auflage 1906

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 11.

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daß eine Lücke entfleht.' Diefe Argumentation kehrt
wohl gegen 50 mal wieder. ,Nach Ausfcheidung von
1. Kor. 11,11. 12 fchließen die Verfe 13-10 fehr gut an
Vers 10 an.' ,Der Anfchluß von I. Kor. 12,u an Vers 12
ifi haarfcharf, und Vers 13 gibt fich fo von felbft als ein
Hörendes Einfchiebfel zu erkennen.' ,Die Worte 1. Kor.
15,32a laffen fich ohne Schwierigkeit aus dem Zufammen-
hang herausnehmen; Vers 32b fchließt fehr gut an
Vers 31 an' ufw. ufw. Nun, nach diefem Grundfatz will
ich jeden lebendigen Brief, z. B. eines Reformators, um
einen großen Teil feiner charakteriftifchen Beftandteile
verkürzen, aber mehr als ein Spiel ift diefe Art Kritik
nicht. Als ich felbft in meiner Studentenzeit fie mit
einiger Virtuofität getrieben hatte, hat mich ein Scherzwort
gründlich und für immer davon geheilt: daß am
Ende im Gleichnis vom barmherzigen Samariter auch
urfprünglich auf 10,30 fofort jcoqfvov xal Ov jcolei 6/ioicog
v. 37 gefolgt fein möchte. Das ift das allein paffende Motto
für eine Kritik diefer, ja durchaus nicht von Völter allein
befolgten Interpolationskritik.

Das zweite Mittel diefer Kritik ift der Nachweis
disparater Gedankenreihen in der Theologie der Paulusbriefe
. Völter konftruiert fich einen braven echten Paulinismus
mit dem Zentrum des Verföhnungstodes Chrifti und
der daraus folgenden Rechtfertigung, aber ohne die Bafis
der im Fleifch wurzelnden Sünde, ohne Präexiftenz Chrifti,
ohne Geifttheorie und Antinomifmus, und läßt dann diefe
radikalen dualiftifchen und fupranaturaliftifchen Gedanken
von fpätern Ultrapaulinern erft herzugebracht werden.
Er glaubt auch beftimmte einleuchtende Kriterien der einen
und andern Gedankenbildung gefunden zu haben: dort
der Sühntod Chrifti das Zentrum — hier feine Aufer-
weckung, dort ein fchlicht menfchlicher Meffias — hier
ein Wefen vom Himmel, dort die Macht der Sünde in
der Gefchichte — hier die Macht der Sünde im Fleifch,
wobei dann auch die Entwickelung der fchärferen
Tonart aus der milderen zu ihrem Recht kommt. Allein
ganz abgefehen von der unglaublichen Willkür diefes
Interpolationsverfahrens ift eine folche Zerlegung des
Paulismus nur möglich bei abfoluter Verkennung feiner
pfychologifchen Eigenart. Diefe liegt ja vor allem an
ihrem gänzlich unphilofophifchen, praktifchen Charakter
, dem es auf die richtige Herausarbeitung gewiffer
zentraler, praktifch und kirchlich durchfchlagender Grundgedanken
ankommt, für die dagegen alle noch fo reiche
und bunt variierende Argumentation nichts ift als Mittel
zum Zweck. Ein folcher Grundgedanke ift das völlige
Verderben und die Ohnmacht der ganzen außerchrifi-
lichen Menfchheit, während dagegen die Ableitung diefes
Verderbens von Adam oder aus dem Fleifch oder vom
Satan oder aus der fchlechten Welt gänzlich fekundäres
Hilfsmittel ift, das wechfeln kann je nach dem augenblicklichen
Gefichtspunkt und das einheitlich fyftematifch
in fich zu verarbeiten ganz außerhalb der Intereffen des
Apoftels liegt. Es ift derfelbe praktifche Grundzug, der
ihn auch in praktifch-organifatorifchen Fragen die Argumente
möglichft häufen und das tieffte, prinzipielle neben
das augenblicklich in den Sinn gekommene, höchft mangelhafte
Argument ftellen läßt. Im Theoretifchen gilt
dasfelbe für die Chriftologie, für die Erlöfungslehre, für die
Eschatologie, und eine Hauptaufgabe der paulinifchen
Theologie müßte gerade darin beliehen, die feften abfo-
luten Grundgedanken aus dem bunten, regellofen Beiwerk
ihrer Begründung herauszuarbeiten. Diefes Verfahren ift das
einzige, welches ohne harmoniftifchen Zwang die Wider-
fprüche des paulinifchen Denkens an ihrem Ort gelten
läßt, ohne darüber den gefchloffenen einheitlichen Kern
diefer Theologie, der als folcher eine weltgefchichtliche
Potenz ohnegleichen darfteilt, zu überfehen. Mit der
Möglichkeit diefes Tatbeftandes hat leider Völter gar nicht
gerechnet, und deshalb würde felbft eine Verdoppelung
der von ihm geltend gemachten Widerfprüche in dem,
worauf es ankommt, nichts beweifen.

Nur mit wenig Worten fei noch die Kritik des
Galaterbriefs berührt, des einzigen Hauptbriefs, an dem
auch nicht ein Kern paulinifchen Urfprungs fein foll.
Allein gleich das erfte ausfchlaggebende Hauptargument,
daß ,der ganze Gedankengehalt von Gal. auf Rom beruhe
', ftellt den Tatbeftand auf den Kopf. In Gal. 3
hat der Beweis der Abrahamskindfchaft der Gläubigen
felbftändigen Zweck, in Rom. 4 keinen. In Gal. 3 ift der
Gefchichtsverlauf Abraham — Mofes — Chriftus fofort
einleuchtend, während zwifchen den zwei Adam das
Gefetz gar nicht recht zwifchenhineingekommen ift.
In Gal. wird überhaupt der ganze Rechtfertigungsftreit
gefchichtlich verftändlich, während er in Rom fchon
Hark den Eindruck einer theoretifchen Erörterung post
festum macht und eben deshalb die ganze Art des Vortrags
fo temperiert und verföhnlich erfcheint. Diefe Erwägungen
find m. E. entfcheidend. Nun aber der uner-
findbare gefchichtliche Stoff von Kap. 1 und 2! Ganz mit
Recht betont Völter den parteiischen Charakter der
paulinifchen Darflellung; er iH häufig zu leicht genommen
worden. Nur daß damit gegen paulinifchen Ur-
fprung auch nicht das mindeHe bewiefen iH, denn was
war Paulus in diefem Kampf anders als Partei? Für
Völter iH diefe Erzählung nun auf ihre Quellen zurückzuführen
. Er verfucht ihre Ableitung — nicht aus unfern
Acta, das ifl unmöglich — aber aus verlorenen Quellen
der Acta und aus urfprünglich veränderter Reihenfolge
ihrer Kapitel, was alles z. T. erH von Gal. 2 aus re-
konHruiert werden muß. Z. B. die 14 Jahre Gal. 2,1 hat
der Autor der ihm vorliegenden Quellenfchrift der Acta,
in der Kap. 15 vor Kap. 12 Hand, entnommen. Dagegen
möchte ich nichts einwenden als das Bedenken, wie feltfam
diefe Vertrauensfeligkeit gegenüber den eigenen Auf-
Hellungen fich neben der übrigen kritifchen Bedenklichkeit
unferes Verfaffers gegenüber unfern Paulusbriefen
ausnimmt. Schließlich wird das kleine Stück
4,12-20, das Intimfle, Zartefie, Perfönlichfie des ganzen
Briefs, aus angeblichen Parallelen in 1. und 2. Kor. abgeleitet
, während m.E. allein fchon diefe Verfe die ganze
Echtheitsfrage entfcheiden für jeden, der auf das Geheimnis
perfönlichen Lebens und Liebens zu laufchen
verheilt.

Und fo wird das Ergebnis diefer wie fo mancher
andern Interpolationskritik der Paulusbriefe doch vor
Allem dies fein, daß die Forfchung fich noch kräftiger
bemühen wird, den gegebenen Text mit all feinen Bedenken
erregenden Schwierigkeiten zu verheilen.

Bafel. P. Wer nie.

Preufchen, E., Antilegomena. Die Rehe der außerkanoni-
fchen Evangelien und urchrihlichen Überlieferungen
herausgegeben und überfetzt. 2. umgearbeitete und
erweiterte Auflage. Gießen, A. Töpelmann 1905. (VI,
216 S.) 8° M. 4.40

Das Erfcheinen einer neuen Auflage fchon vier Jahre
nach der erden, beweifl, wie fehr diefe nützliche Sammlung
einem Bedürfniffe entgegengekommen iH. Die neue
Auflage bezeichnet fich als eine umgearbeitete und erweiterte
'. Eine eigentliche ,Umarbeitung' hat nun allerdings
nicht Hattgefunden. Die große Mehrzahl der Stücke,
welche die vorige Auflage geboten hat, kehrt auch
in der neuen ohne wefentliche Veränderungen wieder.
Die Texte find revidiert und es haben hie und da
zweckmäßige Modifikationen Hattgefunden.# So werden
z. B. gleich bei den erden Stücken (II. Ägypterevangelium
, III. Hebräerevangelium, IV. Evangelium der Ebjo-
niten) die ,Nachrichten' über diefelben und die ,Bruch-
Hücke' durch befondere Überfchriften unterfchieden, was
in der vorigen nicht gefchehen war. Aber folche und
andere Verbefferungtn im Text und in den Anmerkungen
wird man doch nicht gerade als ,Umarbeitung' bezeichnen