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Ausgabe: | 1906 |
Spalte: | 311-312 |
Autor/Hrsg.: | Jalaguier, Paul F. |
Titel/Untertitel: | De l‘Eglise 1906 |
Rezensent: | Lobstein, Paul |
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Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 10.
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Handwerke betreiben, kann derartigen Beftrebungen,
wenn ihnen der richtige Beiftand zuteil wird, ein gün-
ftiges Prognoftikon geftellt werden. Hoffentlich wird
der Verfaffer die verheißene Publikation der wiffen-
fchaftlichen Früchte feiner Miffion in naher Zeit be-
werkftelligen können.
Budapeft. W. Bacher.
Jalaguier, P. F., De l'Eglise, publie par Paul Jalaguier.
Avec unePreface de M. le pasteur de Feiice. (Oeuvres
posthumes de P. F. J. Tom. II.) Paris, Fischbacher
1899. (XXX, 515 p.) 8° fr. 10 —
— Theologie generale (Dogmes mixtes), publiee par Paul
Jalaguier. Avec une Preface de M. le pasteur Gout.
(Oeuvres posthumesde P. F. J. Tom. III.) Ebd. 1903.
(XVI, 529 p.) fr. 10-
Aus dem Nachlaß des im Jahr 1864 geftorbenen
Profeffors der Dogmatik an der theologifchen Fakultät
zu Montauban find, nach Veröffentlichung der früher hier
befprochenen Einleitung (Jahrgang 1898, Nr. 2), zwei
Bände erfchienen, deren verfpätete Anzeige nicht der !
Redaktion diefes Blattes, fondern dem Verleger des
Werkes zur Lad fällt.
Der erfte Band handelt von der Kirche. Er zerfällt
in vier Hauptteile: L Der biblifche Begriff (S. 23—194),
II. Von der wahren Kirche (S. 195—320), III. Die Or-
ganifation der Kirche (S. 321—420), IV. Vom Kultus
und den Sakramenten (S. 421—511).
Der zweite Band umfaßt die fogen. Articuli mixti
des hergebrachten Religionsfyftems: die Lehre von Gott
(S. 9—158), von der Schöpfung (S. 159—209), von der Vor-
fehung (S. 210—300), von den guten und böfen Geiftern
(S. 301—314); hierauf die Lehre vom Menfchen, feiner Ent- j
ttehung (S. 318—329), feinem Urftand (S.330—340), feinem
Fall (S. 341—353), feinem fündigen Zuftand (S. 355—508). !
Ein Nachtrag gibt eine Eröffnungsrede aus dem Jahre
1854 über die Lage der Theologie und die Frage nach
der dogmatifchen Methode in der Mitte des XIX. Jahrhunderts
(S. 509—525).
Das fehr fchön ausgeftattete Werk ift ein durch die
Pietät der Herausgeber dem Gedächtnis des geliebten und j
verehrten Lehrers gelüftetes Denkmal. Dem früher bereits
charakterifierten Geifte ftrengften Biblizismus und prak-
tifcher Frömmigkeit find auch die beiden vorliegenden
Bände treu. Zwar greifen fie nicht mehr in den Gang
der Wiffenfchaft und in die lebendigen Intereffen der
Gegenwart ein; auch geben fie, da fie nicht den Anfpruch
auf gründliche Gelehrfamkeit erheben können, kein voll-
ftändiges Bild des Standes der dogmatifchen Wiffenfchaft
vor fünfzig Jahren; allein, bei allen Mängeln und Ein-
feitigkeiten, die der Theologie des Reveil eigentümlich
find, enthalten fie doch eine folche Fülle von feinen Bemerkungen
, religiös und ethifch wertvollen Anregungen, 1
biblifch orientierten Nutzanwendungen, daß fie gewiß j
manchem Lefer, namentlich in den Kreifen der Laien- I
Orthodoxie, zur Belehrung und Erbauung gereichen
werden. Nur darf man die hier gebotene religiöfe Gedankenwelt
nicht überfchätzen, wie dies durch den nicht
immer erleuchteten Eifer pietätvoller Bewunderer ge- I
l'chehen ift. Wenn ein folcher Jalaguier als den Claude
Bernard der Theologie preift, fo muß eine fo offenbare
Übertreibung einen um fo heftigeren Widerfpruch
hervorufen, als der verftorbene Lehrer, deffen Standpunkt
bereits damals einer überwundenen Vergangenheit angehörte
, fich in den Geleifen einer pietiftifchen Rechtgläubigkeit
bewegt und nirgends mit klarem fettem
Bewußtfein neue Bahnen eingefchlagen hat. Höchftens
ließe fich fagen, daß er, dem Zuge feines durchaus
praktifch beftimmten Glaubenslebens folgend, zuweilen
Gefichtspunkte öffnete, die weit über feine dogmatifch
befchränkte Pofition hinauswiefen: fo finden fich zum
Beifpiel in feiner Lehre von Gott Andeutungen, die,
wenn fie konfequent verfolgt und durchgeführt worden
wären, das künftlich aus Bibelfprüchen und natürlicher
Theologie zufammengetragene Gebäude in die Luft ge-
fprengt hätten. Diefe fruchtbaren Anfätze, die auf eine
tiefere Erfaffung der religiöfen Erfahrung angelegt waren,
werden leider durch den biblifchen Scholaftizismus immer
wieder lahm gelegt und kommen daher nur fporadifch
und in verkümmerter Geftalt zur Geltung.
Weitere Veröffentlichungen werden uns von dem
Herausgeber in Ausficht geftellt (Tom. III, pag. 509).
Man wird diefelben nicht ohne Verehrung für den Verfaffer
, nicht ohne Dank gegen den Herausgeber hinnehmen
; eine nennenswerte Bereicherung unfrer dogmatifchen
Theologie, vor allem eine tiefere Förderung
der theologifchen Gedankenarbeit wird daraus gewiß
nicht erfolgen.
Straßburg i. E. P. Lob ff ein.
Farneil, L. R., M. A., D. Litt., The Evolution of Religion.
An anthropological study. (Crown Theological Library
, Vol. XII.) London, Williams & Norgate 1905.
(IX, 234 p.) 80 s. 5 -
Der Titel diefes vier Hibbert-Vorlefungen darbietenden
Buches ift viel zu weit. Es handelt fich in Wahrheit, wie der
Nebentitel angibt, um die von der Anthropologie und Ethnographie
aus zugänglichen Formen primitiven Denkens und
primitiver Religion, die aller höheren religöfen Entwicke-
lung zugrunde liegen und vielfach noch in fie hineinragen
. Aber auch von diefem großen Thema gibt es
nur einen Ausfchnitt. Der Verfaffer ift Spezialforfcher
auf dem Gebiet der griechifchen Philologie und Archäologie
und hat daher fein Hauptaugenmerk auf die griechifchen
Urformen primitiven Kults gerichtet, die er als
mit den Urformen der mittelmeerifchen Prähiftorie eng verwandt
betrachtet. Iranifche, indifche, babylonifche, he-
bräifche, ägyptifche Formen zieht er nur zur Illuftration
herbei, ebenfo wie auch das beliebte ,folkloriftifche' Material
nur vorfichtig als Illuftration einzelner Fälle und
zur Beleuchtung der Grundrichtungen primitiven Denkens
verwertet ift. Aber auch fo fchränkt er das Thema noch
auf zwei befondere Betätigungen der Religion ein, auf die
Reinigungskulte und auf das Gebet. Er fieht darin —
foweit ich die Dinge kenne, mit Recht — eine wünschenswerte
Ergänzung zu den fonft überwiegenden Unter-
fuchungen über Mythos und Kultus, Opfer, Totemismus,
Ahnenverehrung ufw.
Der Behandlung diefer beiden Themata fchickt er
eine prinzipielle Doppelvorlefung voraus, in der das
Wefen der Anthropologie und ihre Bedeutung für die
Religionsforfchung erläutert wird. Der Verfaffer bean-
fprucht hier gar nicht, für den Kundigen neues zu bringen,
aber er ftellt fehr anfchaulich und eindrucksvoll die
Notwendigkeit der anthropologifchen Problemftellung dar.
Die Anthropologie in dem hier verwendeten Sinne bedeutet
nicht die fomatifche Anthropologie, obwohl deren
Nachweife von Völkerverwandtfchaften und Wanderungen
eine Bedeutung als vorauszufetzende Orientierung haben;
auch nicht die rein auf die Sprachgefchichte begründete
linguiftifche Anthropologie, obwohl auch diefe für die
Aufdeckung hiftorifcher und kulturgefchichtlicher Zufam-
menhänge wichtig genug ift; fondern die pfychologifche
Anthropologie, welche als Teil der allgemeinen anthropologifchen
Studien fpeziell die Denkformen des primitiven
Menfchen, die von feiner inftinktiven Personifikation
alles Wirklichen ausgehenden Kaufalitätsbegriffe und die
darauf begründete praktifche Stellung zur derart aufgefaßten
Wirklichkeit, unterfucht. Einerfeits Perfonifikation
alles fich Bewegenden und Wirkenden, andererfeits
materielle Auffaffung alles Perfönlichen und Seelifchen,