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Ausgabe:

1906 Nr. 10

Spalte:

304-306

Autor/Hrsg.:

Goltz, Eduard Freiherr von der

Titel/Untertitel:

Tischgebete und Abendmahlsgebete in der altchristlichen und in der griechischen Kirche 1906

Rezensent:

Drews, Paul

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303 Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 10. 304

vveshalb die ,quellenkritifche Unterfuchung' einer Ergän- I (S. 90). In irgend einem Maße ergibt fich daraus als

zung durch die ,begriffsgefchichtliche' bedarf, welche den
Wert des überlieferten Gutes beftimmt, je nachdem es
fich um Entlehnung oder um originale Wahrheit und in
letzterem Falle entweder um Umprägung bereits vorhandener
Begriffe oder um felbftändig gefchaffenen Ausdruck
einer neuen Lebensanfchauung handelt, die felbft
wieder bald einheitlich, bald widerfpruchsvoll fein kann.
,Die begriffsgefchichtliche Unterfuchung hat daher zu
ermitteln, ob in den Tatfachen und Lehren, den Mahnungen
und Verheißungen des Evangeliums in der Tat
eine neue Religion fich emporringt, eine Religion urfprüng-
lichen, eigenartigen Wefens, wie ferner diefe neue religiöfe
Lebensanfchauung fichihren ebenmäßigen Ausdruck fchafft.
Um dies zu erreichen, hat fie einen Vergleich anzuftellen
mit verwandten Erfcheinungen, um das gegenfeitige Verhältnis
abwägend zu ermitteln' (S. 7). So ift es zu ver-
ftehen und zu begründen, wenn der Verf. in vorliegender
Veröffentlichung eine Leiftung bietet, die, was jüdifches
Material betrifft, auf Dalman, Fiebig, Bifchoff und andere
Zeitgenoffen, was griechifch-römifches auf ältere Gelehrte,
wie befonders Grotius und Wetftein, als auf Vorarbeiter
verweifen kann. Der eigentümliche Wert feiner Parallelen-
fammlung befteht befonders in der reichlichen Berück-
fichtigung der griechifch-römifchen Popularphilofophie, in

Folgerung eine Verflochtenheit fchon des Urchriftentums in
die ethifchen Errungenfchaften, Anfchauungsbedingungen,
Ausdrucksweifen und Empfindungsformen nicht bloß des
gleichzeitigen Judentums, fondern auch des Hellenismus
und der damaligen antiken Welt. .Überhaupt darf an
die antiken Myfterienkulte erinnert werden, die ihre verborgene
Weisheit nur den eingeweihten enthüllten'. Diefe
den Spruch 70 kommentierende Bemerkung begleitet der
Verf. allerdings fofort mit dem an fich nicht zu bean-
flandenden Monitorium: ,Aber hier handelt es fich um
organifierte Geheimniskrämerei, während der Herrenfpruch
die perfönliche Verantwortung vor Augen (teilt' (S. 83).
Stellen wir diefen jedoch hinein in den Zufammenhang
mit fo vielen andern neuteftamentlichen Sprüchen, die von
,Geheimnis', von efoterifchem Wiffen und Weisheit der
Vollkommenen, von Verbergen und Enthüllen reden, fo
befinden wir uns eben doch in einer, eine beftimmte Zeitlage
und Entwicklungsftufe charakterifierenden, Atmo-
fphäre, in der es fich anders atmete, als in unferer, grund-
fätzlich keinerlei Geheimwalten anerkennenden und re-
fpektierenden, Gegenwart.

Diefe erfte Abhandlung ift gleichzeitig auch als Uni-
verfitätsprogramm ,zur Feier des Reformationsfeftes' er-
fchienen (bei Edelmann in Leipzig). Das zweite Stück

deren zweckmäßiger Ausbeutung die bekannte und an- (S. 99—120) befchäftigt fich mit einem patriftifchen Kom-
erkannte philologifche Gelehrfamkeit des Verf.s fich j mentar zu Matthäus, an deffen Herausgabe der Verf.
glänzend bewährt. Aber auch das Alte Teftament, LXX | zurzeit arbeitet. Der Kommentar ift teils einheitlich,
und die fpätjüdifche Literatur kommen zu ihrem Recht, teils in Katenen überliefert, und zwar in zahlreichen
So gleich in der ungemein ausgiebigen und fruchtbringen- ■ Handfchriften, deren ältefte und befte wenigftens teilweife
den Erörterung der Seligpreifungen (S. 16—26). Doch | ihn dem Petrus von Laodicea zuweifen, während mit ihm
wüßte ich nicht, wo enden, wenn ich alle die Fälle nam- meift verbundene Kommentare zu den 3 andern Evangelien
irgendwie auf Victor von Antiochien, Titus von
Boftra und einen noch nicht ermittelten Dritten zurückweifen
, dabei übrigens den Charakter einer Katene in
noch höherem Grade tragen als jener. Da nun die Ge-

haft machen follte, in denen des Verf.s Belefenheit durch
Beibringung von bisher nicht in ihrem ganzen Umfang
gewürdigten oder auch ganz unbeachtet gebliebenen
Analogien in fachlicher und von Parallelen in oft bis aufs

Wort fich erftreckender formeller Beziehung überrafcht, j fchichte fowohl von der Perfon wie von der Wirkfamkeit
oder fein, immer vorfichtig formuliertes, Urteil bald zu des Petrus, der in dem phrygifchen Laodicea Bifchof
lebhaftem Beifall reizt, bald Bedenken und Widerfpruch oder Lehrer gewefen fein wird, fchweigt, ift der Verf.,
veranlaßt. Beifpielshalber flehe hier zu Matth. 5 23 f. der | der dabei an v. Soden und Sickenberger Gefährten hat,
Hinweis auf das Gefinnungsvergehen in Rechnung (teilende ; auf der Suche nach Notizen begriffen, welche uns jenen
(S. 36) und fich zur religiös-fozialen Schätzung der Ehe Petrus etwas näher bringen könnten. Was er bisher von
bekennende (S. 41 f.) römifche Recht; zu 539 auf die I folchen, fei es ficher, fei es doch möglicher Weife zum
Unbekanntfchaft der antiken Welt mit modernen Ehr- Ziel führenden Spuren aufgetrieben hat, bringt er hier

begriffen (S. 47 f.; hier hätte auch Odyffeus erwähnt werden
können, der fein liebes Herz damit beruhigt, daß
er geduldig fchon ,Hundemäßigeres' ertragen hat); zu
5 43—18 auf eine die bisherigen Leiftungen weit überbietende
Auswahl klaffifcher Zeugniffe (S. 51 f.); zu 67 auf die
griechifche Einfehätzung der Gebete nach Länge und
Wortreichtum (S. 65). Selbft der längft und oft mit
jüdifchen und heidnischen Trabanten verfehene Stern 7 12
tritt noch in eine teilweife neue Beleuchtung (S. 87f.). Die
zu 7 13. 14 angeführten Parallelen aus Philo (S. 89) könnten
noch durch Leg. alleg. II, 84 (§ 24) vermehrt werden. Im
ganzen genommen ift es eine höchft achtungs- und dankenswerte
Leiftung, die hier geboten wird; ein xxrjfia
eiq dei für Evangelienforfchung und biblifche Theologie.

Der Verf. ift bekanntlich kein Gönner der ,religions-
gefchichtlichen Methode'. Gleichwohl liefert er den Vertretern
derfelben in vorliegender Veröffentlichung mancherlei
Material zu geeigneter Benutzung. Nicht als ob
er es verfäumt hätte, am paffenden Ort auf die Grund-
verfchiedenheit der Motive aufmerkfam zu machen, durch
welche formell und inhaltlich nahe zufammenrückende
Sentenzen wieder auseinandergeriffen werden (z. B. S. 63 f.
52. 57- 78 f- 83. 85). Ausdrücklich verwahrt er fich gegen
jeden Schein, ,fie aus dem religiös-ethifchen Gemeingut
des Spätjudentums und des Hellenismus abzuleiten' (S. 96).
Und er hat in der Hauptfache wohl recht. Aber von
,Gemeingut' fpricht er doch nicht ohne Grund fehr häufig,
und auch an Stellen, wo Jefus offenbar eine den Griechen
wie Juden bereits geläufige Bildrede ,übernommen hat'

zum Abdruck, nämlich eine, auch fchon im Matthäuskommentar
enthaltene, Erklärung des Herrngebetes, drei
in dem erwähnten Lukaskommentar ebenfalls vorfindliche
Erklärungen der Hymnen der Maria, des Zacharias und
des Simeon und zwei zufammengehörige kirchenrechtliche
Erörterungen über die Verwandtfcnaftsgrade: alles
nur Prolegomena zur Herausgabe des fraglichen Kommentares
, welchem Vorzüge nachgerühmt werden, die
eine wefentliche Bereicherung unferes Wiffens um die
Gefchichte der griechifchen Bibelauslegung in Ausficht
ftellen.

Straßburg i. E. H. Holtzmann.

Goltz, Priv.-Doz.Lic.Eduard Freiherr von der, Tifchgebete
und Abendmahlsgebete in der altchriftlichen und in der
griechifchen Kirche. (Texte und Unterfuchungen zur
Gefchichte der altchriftlichen Literatur. Herausgegeben
von Oscar von Gebhardt und Adolf Harnack. Neue
Folge. Vierzehnter Band, Heft 2b.) Leipzig, J. C. Hin-
richs'fche Buchhandlung 1905. (67 S.) gr. 8° M. 2 —

Diefe kurze Studie verdient unferen lebhaften Dank.
Sie bringt uns in der Erkenntnis der Urfprünge der altchriftlichen
Abendmahlsliturgie um ein gutes Stück vorwärts
. Daß wie der Wortgottesdienft fo auch die eucha-
riftifche Feier der älteften Chriften im Judentum wurzle,
ftand uns feft. Die Abendmahlsfitten und -formein
mußten fich aus jüdifchen Vorbildern herleiten laffen.