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Ausgabe:

1906 Nr. 9

Spalte:

277-278

Autor/Hrsg.:

Blau, Ludwig (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Leo Modena‘s Briefe und Schriftstücke. Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Italien und zur Geschichte des hebräischen Privatstiles 1906

Rezensent:

Bischoff, Erich

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277

Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 9.

278

gebene Schluß der Predigt vom 2. Epiph.-Sonntag weggeblieben
, da er nicht zur Predigt gehört, fondern eine
Kanzelverkündigung mit einer fehr intereffanten Warnung
vor Läfterfchriften (Z. 32 L famosorum ftatt ttmoSorum)
wiedergibt. Dankenswert ift, daß Buchwald die Ver-
mahnung an die Studenten nach der Predigt an Maria
Reinigung 2. Febr. 1539 S. 515 aufgenommen hat. Sie ift
fehr zu beachten, befonders auch die Warnung vor Faft-
nachtsmummerei. Die Erläuterungen find mit Recht fpar-
fam gehalten und auf kurze Worterklärung und Stellennachweis
befchränkt. S. 151 Z. 8 ift nicht Jef. 55,6, fondern
65, 24 gemeint. Dem Prediger wird das Stellenregifter
S. VIII, dem Forfcher aber das Namen- und Sachregifter
S. X—XII willkommen fein, wobei Markus- und Matthes-
zettel S. 377 noch der Erklärung bedürfen und leider das
Stichwort Sprichwörter fehlt. Aber auch fo bildet der
Band eine wertvolle Arbeit, der nur zahlreiche Lefer zu
wünfchen find.

Nabern. G. Boffert.

Modena's, Leo, Briefe und Schriftrtiicke. Ein Beitrag zur
Gefchichte der Juden in Italien und zur Gefchichte
des hebräifchen Privatftiles. Zum erftenmal herausgegeben
, mit Anmerkungen und Einleitung verfehen
von Prof. Dr. Ludwig Blau. (In: 28. Jahresbericht der
Landes-Rabbinerfchule in Budapeft für das Schuljahr
1904—1905.) Budapeft 1905. (Pozfony, A. Alkalay
& Sohn.) (III, 96 u. 208 u. 41 S.) gr. 8°
Die Mss. 5395 und 5396 Brit. Mus. enthalten teils
als urfchriftliche Entwürfe, teils in Abfchriften 231 Briefe
und andere Schriftftücke (eigene und im Namen anderer,
auch des Venediger Rabbinats gefchriebene Briefe, eigene
Vorreden und Gelegenheitsgedichte, private und Rabbinats-
Gutachten ufw.) des bekannten Leone da Modena =
Jehudah Arjeh mi-Modena (1571—1648). Blau hat hiervon
214 Nrn. (unter Weglaffung eines fchlecht erhaltenen
Stückes und 16 faft identifcher) herausgegeben, mit wichtigen
hebr. Fußnoten verfehen und eine weitläufige deut-
fche Bearbeitung des Inhalts beigegeben, deren zweite
Hälfte noch folgen foll. Wir erhalten durch das fehr ver-
dienftliche Werk nicht nur ein treffendes Bild jenes
großen Talents ohne Charakter, fondern auch reiche
Belehrung über die Sittengefchichte der italienifchen
Juden am Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrh., fowie
über den mit biblifchen und talmudifchen Anklängen
geiftreichelnd fpielenden hebr. Mufivftil, deffen Meifter
Leo ifl. Theologifch intereffant find befonders die Angaben
über Leos Beziehungen zu katholifchen Klerikern,
zumal zu dem Talmud-Zenfor Marcus Marinus und
dem franzöfifchen Bifchof und Hebraiflen Plantavitius,
der trotz Steinfehneider Leos Schüler war. Befonders
wichtig ift die Erörterung der Frage, ob Leo Verf. der
antitalmudifchen Schrift "c blp (Kol sachal, ,Toren-
ftimme') gewefen fei. M. E. hat B. die Gründe Geigers
für Leos Verfafferfchaft nicht widerlegt. Daß Leo die
von ihm felbft herausgegebene Schrift mit einer Gegen-
fchrift begleitet hat, beweilt nichts gegen G.; Leo brachte
es ja auch fertig, immer neue Auflagen feiner Schrift
wider den Spielteufel zu verlegen und dabei dauernd
Unfummen feiner unfeligen Spielerleidenfchaft zu opfern.
Wenn Leo den Brief 156, den er im Auftrage des Venediger
Rabbinats an die Hamburger Gemeinde, die angebliche
Heimat des .Ketzers', fchrieb, wirklich abgefandt
und nicht (wie den Brief 124) unterdrückt hat, fo ift
es wunderbar, daß die Hamburger hierauf weder im
guten noch im böfen erwidert haben! Sehr vorfichtig
fagt Leo freilich, der Ketzer habe früher dort gewohnt.
Daß das Rabbinat zu Venedig hiervon überhaupt wußte,
verdankte es lediglich der unbewiefenen Angabe Leos!
Woher kam diefem folche Wiffenfchaft? Der als Beweismittel
für die Exiftenz des Hamburger Ketzers von B.

angeführte Venediger Bann (1618) wider die Traditionsverächter
galt lediglich den Venediger Anhängern des
Autors der ,Torenftimme'. Nimmt man zu obigem noch
hinzu, daß der Zahlen wert von ~zz blp (= 214) gleich
j dem von Leos Namen (rmst mini), und daß bDD blp ein
greif barer Anklang an bn© blp(Löwenftimme, Hiob4,10)
ift, endlich, daß Mofe Zakuth in nicht mißzuverftehender
Weife Leos ,Ari Nahem' geradezu eine .Torenftimme'
nennt, fo erfcheint Leos frivoles Doppelfpiel offenbar,
und dies ift auch bei einem Manne begreiflich, der z. B.
während der jüdifchen Tempelzerftörungs-Trauertage fich
eine Eintrittskarte zur Venediger Regatta beftellt, weil
,Neues immer willkommen' fei (Nr. 122 von 1607), und
der felbft einen unglücklichen Krüppel zum Gegenftande
feichter Witzelei macht (Nr. 184). — Die hebr. Fußnoten
zu den Texten enthalten neben wertvollem biographifchem
u. a. Material zahlreiche Fehler in den italienifchen Wörtern
; auch des lat. so/amen miseris ift entftellt. Die lehrreiche
deutfehe Abhandlung, bei welcher Streichung von
Wiederholungen, Nebendingen und Weitfchweifigkeiten
Raum auch für die zweite Hälfte gefchaffen hätte, weift
unangenehmfte Stilmängel auf! — Sachlich bemerke ich
noch folgendes: Laut S.6 wären fämtliche 20Einladungen
zur Doppelhochzeit übergangen; der hebr. Text bietet aber
1—4! — Leos ruhmredige Angabe (S. 33), er habe das
Gutachten Nr. 61 als Zehnjähriger verfaßt, wird durch
den Stil widerlegt, der wenigftens die jetzige Faffung
in fpätere Zeit verweift.— S. 71: Des M. Marinus Lexikon
n5 FOfi kann unmöglich 6100 kg wiegen! — S. 79:
Vor Güdemann ufw. hat fchon L. Low (Lebensalter 1875,
329 fr.) über die jüdifche Spielfucht im MA gehandelt.—
S. 94: Niemals ift der Talmud ins Arabifche überfetzt
worden (vgl. m. Krit. Gefch. der Talmudüberff. 1889,
12 f.). — Erwünfcht wäre in dem noch ausftehenden zweiten
Teile ein Abdruck der italienifchen Briefe Leos und des
italienifchen Textes der hebräifch und italienifch zu lefen-
den Elegie auf den Tod Archevoltes.

Leipzig. Erich Bifchof f.

Matagrin, AmedeT, Histoirede la tolerance religieuse. Evolution
d'un principe social. Paris, Fischbacher 1905.
(447 p.) gr. 8° fr. 6 —

Wir werden wohl kaum fehlgreifen, wenn wir annehmen
, daß der Verfaffer durch die Schriften Voltaires
zur Behandlung feines Gegenftandes angeregt und für
die weitere Bearbeitung desfelben begeiftert wurde. Denn
nicht nur ift das fehr ausführliche Kapitel über Voltaire
das Glanzftück des ganzen Buchs, fondern auch die Frage-
ftellung und die Beurteilung ift wefentlich durch den
Einfluß des /Patriarchen von Ferney' beftimmt. Damit
find bereits die Vorzüge und die Mängel des Werks angedeutet
: die warme Teilnahme, die er feinem Thema
entgegenbringt, der Abfcheu, den ihm Gewiffenszwang
und Intoleranz in allen ihren Formen einflößt, aber auch
die ungenügende Begründung des Toleranzgedankens,
fowie die oft einfeitige und oberflächliche Gefchichtsbe-
trachtung. In der Wertfehätzung der antiken Gefellfchaft,
der Urfprünge des Chriftentums, der mittelalterlichen
Kirche, felbft der Reformation und der Religionskriege,
ift Voltaire doch ein fehr bedenklicher Führer, und wenn
Herr Matagrin fich auch bemüht, die Animofität, die
Ungerechtigkeiten und den antikirchlichen Fanatismus
des modernen Toleranzapoftels auszufcheiden, fo räumt
er doch dem Didionnaire philosophique, dem Essai sur les
moeurs et l'esprit des nations, dem Tratte sur la tolerance,
und andern durchweg polemifch orientierten Schriften
Voltaires eine zwar der damaligen gefchichtlichen Situation
entfprechende, in der Sache aber nicht begründete Bedeutung
ein. Der Verf. ift durch das Beftreben geleitet,
feinen Gegenftand in einen umfaffenderen Zufammenhang
einzufügen, und die allgemeinen politifchen und kultur-
gefchichtlichen Faktoren des Toleranzbegriffs zur Geltung