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Ausgabe: | 1906 Nr. 7 |
Spalte: | 210-212 |
Autor/Hrsg.: | Paulus, Nikolaus |
Titel/Untertitel: | Luther und die Gewissensfreiheit 1906 |
Rezensent: | Köhler, Walther |
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Theologifche Literaturzeitung 1906 Nr. 7.
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hängte nämlich Rutenftrafe für Weiber, die fich felbft als j des gemeinen und des idealifchen Lebens, worin fo viele
Hexen denunzierten. Für andere Auswücbfe des Aber- 1 gleißende und prächtige Teufel in den mannigfaltigften
glaubens hatte es, foweit es nach Burchard ging, meid: j Verpuppungen die Mitfpieler werden können, hat er
fein Bewenden mit verhältnismäßig geringen Bußen ( nimmer in diefcn feinen höheren Sonnenkreis hinein
(S. 235. 238). Trotz alledem fpielte bereits 1090 der
erfte förmliche Hexenprozeß in Deutfchland.
K.s Schreibweife ift angenehm und flüffig, der Index
laufen laffen'. Mächtig kommt es heraus: ,er war ein
Begeifterter, er glaubte Gott und feine Winke und Regungen
unmittelbar in fich, er kämpfte mit dem Teufel und dem
hätte etwas reichlicher ausfallen dürfen. Belonders ver- j ganzen höllifchen Heere als mit gegenwärtigen Streitern,
mißt man auch ein Quellenregifter, das über den Umfang 1 und in diefem Sinne und Gefühl fah er die Gewalt und
des herangezogenen Materiales genauer orientierte. Heftigkeit, womit er durchfuhr und was ihm widerftehen
o c:~~™„t,^ i^^ll^r wollte, niederwarf, auch für eine Kraft Gottes und für
Bonn. biegmund rveiier. , . > , > TT , ...
__a _ fein gebührliches Recht an. Und was wurde er ausge-
Eckart Rudolf Luther im Urteile bedeutender Männer, richtet haben, wäre diefer Glaube nicht in ihm gewefen?
r, j I;,,. . . ___. „ „__ k Pprlin ...Kein Sterblicher weiß, was er fäet; aber wie er es fäet,
Zufammengeftellt und herausgegeben von L. Berlin, | ^ ^ ^ fchöne MflH
A. Kohler 1905. (V, 104 S.) gr. 8Ü M. 2
Es ift auch ein Verdienft des Deniflefchen .Luther',
wenn auch ein indirektes, die Blicke gelenkt zu haben
in die Richtung einer Gefchichte der Lutherforfchung
an der Spitze eines vergehenden Zeitalters; er glaubte,
es fei der Anfang einer neuen Zeit: es war nur der Anfang
eines langen, lahmen und traurigen Uberganges zu
einer neuen herrlicheren Zeit des Chriftentums, die
in dem Sinne einer Gefchichte des Urteils über den künftig werden foll'. Man fieht hier deutlich den zeitgroßen
Deutfchen. Pfarrer Eckart nimmt im Vorwort gefchichtlichen Hintergrund der Demütigung Deutfch-
ausdrücklich auf ,diefe Zeit der Verkleinerung und Schmä- lands und die Hoffnung auf ,die Zeit, die da kommen
hung der Verdie'nfte D. Martin Luthers' Bezug. O. Hege- foll', die Zeit der .Morgenröte, die Luther fchon zu fehen
mann hat foeben die Gefchichte des katholifchen glaubte'. Und fchon kündet fich auchdieNeilbelebung der
Lutherurteils gefchrieben, und Georg Loefche aus dem Theologie an: ,die Nichtigkeit des Verftandes, welcher
Nachlaffe feines Wiener Kollegen Frank einen Effay zur I Vernunft fein will, follte in der Theologie, Philofophie
Gefchichte der Meinung über Luther veröffentlicht. In 1 und Politik, kurz in allen höchften menchlichen Dingen
der Tat eine fehr dankbare, aber auch fehr fchwierige | bis zur klaren Albernheit bewiefen werden. Ift dies
Aufgabe! Es muß die Darftellung des Urteils über Luther
ein Zeitfpiegel werden; denn im Urteil über die Heroen
der Vergangenheit fchlägt fich das eigene Denken
und Empfinden nieder. Weinel hat in feinem Jefus im
ipten Jahrhundert' die fchwere Aufgabe richtig erfaßt
vollbracht, dann tritt der alte Luther wieder ein'. Was
Heinrich Heine fagt, ift ,echt Heine'. ,Er war voll der
fchauerlichen Gottesfurcht, voll Aufopferung zu Ehren
des heiligen Geiftes, er konnte fich ganz verfenken ins
reine Chriftentum, und dennoch kannte er fehr gut die
und meifterhaft für den Heros Jefus durchgeführt, ana- ■ Herrlichkeiten diefer Erde und wußte fie zu fchätzen,
log würde ich mir einen ,Luther im Urteil der Gefchichte' , und aus feinem Munde erblühte der famofe Wahlfpruch:
denken. Eckart hat eine folch hohe Aufgabe fich nicht ,Wer nicht liebt Wein, Weib und Gefang, der bleibt ein
geftellt, er reiht ohne verbindenden Text, in von Will- 1 Narr fein Leben lang'. ,Er war ein kompletter Mann,
kür nicht freier Auswahl Meinungsäußerungen über Lu- 1 ich möchte fagen ein abfoluter Mann, in welchem Geift
ther aneinander von Erasmus an (der aber auch ganz j und Materie ungetrennt find'. Gut ifl beobachtet: ,die
anders über Luther geurteilt hat als in dem angezogenen ! Feinheit des Erasmus und die Milde des Melanchthon
Worte) bis auf Erich Mareks. Den geiftesgefchichtlichen ; hätten uns nimmer fo weit gebracht als die göttliche
Hintergrund muß fich der Lefer felbft fchaffen. Dennoch ', Brutalität des Bruder Martin'. —
ift die Sammlung dankenswert als Bauftein für jenes Mit Ausnahme der erften drei Nummern hat E. den
höhere Ziel; es ift manches Intereffante in den Aus- , Standort der Auszüge genau angegeben; daß er nicht
fprüchen. Bei den älteften Lutheranern fehlt die Kritik, | immer aus erfter Hand fchöpft, fcheint kein Schade.
fie wandeln in den Fußftapfen Melanchthons: ,er hat be-
Händig die reine Lehre verfochten und fein Gewiffen
unverletzt erhalten'. Die Kritik fetzt mit dem Pietismus
ein. Spener betont fehr ftark, daß Luther ein Menfch
gewefen: ,Ich fehe auch nicht, warum wir nicht bekennen
follten, daß eben auch diefem lieben Mann ... etwas Menfch-
liches angeklebt, fo wir als Warze an einem fchönen
Leibe doch eben nicht hoch zu loben haben'. Ganz
ähnlich urteilt Aug. Herrn. Franckc (S. 49), fo gewiß beide
anerkennen, ,daß feine Lehre an und für fich felbft die
lautere, evangelifche Lehre' fei. Gottfried Arnold betont
unter Hinweis auf Luthers .Freiheit eines Chriftenmenfchen',
daß Luther .mächtig auf die wahre Heiligung drang' —
fehr charakteriftifch. Die Aufklärung, als deren Vertreter
Friedrich d. Große figuriert, fieht in dem Werke der
Reformation ,einen Teil der Fortbildung des Menfchen-
geiftes' in der Richtung auf Befreiung von Aberglauben
und Schaffung der Toleranz — ein Lutherbild, das trotz
feiner Verzeichnung noch heute als ein gutes Porträt
vielfach gilt. Voltaire zwar ahnt den Zeitunterfchied
wenn er es für ,ein Großes erklärt, wenn man zur rechten
Zeit zur Welt kommt', und fagt, ,daß Luther kein fon
Gießen. Köhler.
Paulus, Dr. Nikolaus, Luther und die Gewiiiensfreiheit.
(Glaube und Wiffen, Heft 4.) München, Münchener
Volksfchriftenverlag 1905. (112 S.) kl. 8° M. — 30
Vorliegendes Heft bildet die vierte Nummer eines
katholifchen Unternehmens, das unter dem Titel .Glaube
und Wiffen' ein Analogon zu Schieies religionsgefchicht-
lichen Volksbüchern ift. Das auf der letzten Seite
verzeichnete Programm ift fehr weit gefaßt, gefchicht-
liche, dogmatifche, ethifche Themata follen behandelt
werden. Dem Unternehmen kann nur befter Fortgang
gewünfeht werden, wenn es das leidet, was es ver-
fpricht: ,eine möglichft erfchöpfende Begründung und
Verteidigung der gefamten katholifchen Glaubenslehre
in abgerundeten Einzeldarftellungen', und zwar ,in gründlicher
Weife', unter Verwertung ,nur wiffenfehaftlich haltbaren
Beweismaterials'.
D. Paulus, deffen großes Wiffen auf dem Gebiete
der Reformationsgefchichte fich allgemeiner Anerkennung
erfreut, behandelt ein Thema, dem fchon früher kleinere
derliches Glück machen würde, wenn er heutzutage auf- [ und größere Studien galten (vgl. vor allem: Die Straßträte
'. Nach Herder gab Luther .ganzen Völkern, und j burger Reformatoren und die Gewiffensfreiheit 1895). Er
zwar zuerft in den fchwerften, den geiftlichen Dingen bietet zunächft eine gefchichtliche Darftellung der Anden
Gebrauch der Vernunft wieder'. Ernft Moritz Arndt
betont Luthers unverrückbare Gewiffen haftigkeit: ,das den Ketzern gegenüber, und fügt die Anfchauungen Me-
Politifche, jenes Unbefchreibliche aus der Mittelregion lanchthons, Julius Jonas', des Julius Menius, des Urbanus
fchauung Luthers von der Toleranz, insbefondere auch